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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Schutzzöllner in England.

auf Messerschmiede- und andre Kurzwcmrcn beträgt die Verminderung 15, in
Töpferwaaren 3'/z und in Leinenstoffen 6^ Prozent. Kam je so häufig eine
Herabsetzung der Löhne in Zeiten wie heute vor, wo die Nahrung so wohlfeil
und das Rohmaterial in solcher Überfülle zu haben ist? Wo man Weizen den
Quarter für 32 Schilling, Zucker das Pfund für 2 Pence kauft, liegt die In¬
dustrie darnieder! Alles das zeigt, daß wir in eine Periode, in eine Ordnung
der Dinge eingetreten sind, die von allen früheren verschieden ist. . . . Aber wie
lange sollen wir der unbeschränkte" ausländischen Konkurrenz ausgesetzt bleiben?
Die niedrigen Preise der eingeführten Gegenstände kommen unsern Arbeitern in
geringem Maße zu gute, aber wir bezahlen dafür einen hohen Preis im Nieder¬
gange der Pachtgelder, der Erträge der Fabriken und der Arbeitslöhne. In
jedem Mittelpunkte der Industrie werden die Übeln Folgen dieser unbeschränkten
Konkurrenz des Auslandes empfunden, während eine kleine Klasse von Personen
aus Kapitalanlagen in fremden Ländern ungeheure Einkünfte bezieht." Es gebe,
so fuhr der Redner fort, keinen Teil des Vereinigten Königreiches, für welches
"dieses grob unbillige System" (der unbeschränkte Freihandel) unseligere Folgen
gehabt habe als Irland, welches so sehr von inländischer Gütererzeugung ab¬
hänge. Und von London habe er vernommen, daß in dessen östlichen Bezirken
dreißig Prozent der arbeitenden Bevölkerung ohne Beschäftigung seien. Man
werde sagen (und es wurde in der That gesagt), daß England hier nicht mehr
litte als die Nationen, die durch Zölle geschützt seien und daß wir Gott danken
sollten, nicht schlimmer daran zu sein als sie. Aber wäre denn das alles, was
sich nach vierzig Jahren einseitigen Freihandels sagen lasse? Er verlange nichts
als Billigkeit, keine Begünstigung. Weniger als das werde nach seiner festen
Überzeugung das Land nicht ertragen. Die Politik, zu gestatten, daß ein Er¬
werbszweig nach dem andern zu gründe gerichtet werde, und daß die Beschäf¬
tigung und der Verdienst der arbeitenden Klassen des Landes Einbuße erleide,
sei eine Politik, welche des Geistes und der Thatkraft Englands nicht würdig sei.
Es leide keinen Zweifel, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge im äußersten
Grade beunruhigend sei. Es sei keine Frage, daß das Volk in Liverpool,
Stockton, Birmingham und andern großen Mittelpunkten der Arbeit einmütig
des Glaubens sei, die Regierung müsse Maßregeln ergreifen, um die der-
malige traurige Lage der Fabriken und Manufakturen zu bessern. Das wären
jetzt noch fiskalische Fragen, es könnten aber leicht soziale Fragen höchst ge¬
fährlichen Charakters daraus werden, die zu Forderungen führten, welche ganz
unverträglich mit einer festbegründeten Sicherheit alles Eigentums wären.
"Die Frage ist, sagte der Redner gegen den Schluß hin, so verwickelter Natur,
daß sie nur von einer königlichen Kommission in geeigneter Weise behandelt
werden kann."

Es konnte nicht fehlen, daß die Freihändler im Hause diese und ähnliche
Ansichten zu widerlegen und namentlich mit Gründen, die sich hören lassen, die


Schutzzöllner in England.

auf Messerschmiede- und andre Kurzwcmrcn beträgt die Verminderung 15, in
Töpferwaaren 3'/z und in Leinenstoffen 6^ Prozent. Kam je so häufig eine
Herabsetzung der Löhne in Zeiten wie heute vor, wo die Nahrung so wohlfeil
und das Rohmaterial in solcher Überfülle zu haben ist? Wo man Weizen den
Quarter für 32 Schilling, Zucker das Pfund für 2 Pence kauft, liegt die In¬
dustrie darnieder! Alles das zeigt, daß wir in eine Periode, in eine Ordnung
der Dinge eingetreten sind, die von allen früheren verschieden ist. . . . Aber wie
lange sollen wir der unbeschränkte» ausländischen Konkurrenz ausgesetzt bleiben?
Die niedrigen Preise der eingeführten Gegenstände kommen unsern Arbeitern in
geringem Maße zu gute, aber wir bezahlen dafür einen hohen Preis im Nieder¬
gange der Pachtgelder, der Erträge der Fabriken und der Arbeitslöhne. In
jedem Mittelpunkte der Industrie werden die Übeln Folgen dieser unbeschränkten
Konkurrenz des Auslandes empfunden, während eine kleine Klasse von Personen
aus Kapitalanlagen in fremden Ländern ungeheure Einkünfte bezieht." Es gebe,
so fuhr der Redner fort, keinen Teil des Vereinigten Königreiches, für welches
„dieses grob unbillige System" (der unbeschränkte Freihandel) unseligere Folgen
gehabt habe als Irland, welches so sehr von inländischer Gütererzeugung ab¬
hänge. Und von London habe er vernommen, daß in dessen östlichen Bezirken
dreißig Prozent der arbeitenden Bevölkerung ohne Beschäftigung seien. Man
werde sagen (und es wurde in der That gesagt), daß England hier nicht mehr
litte als die Nationen, die durch Zölle geschützt seien und daß wir Gott danken
sollten, nicht schlimmer daran zu sein als sie. Aber wäre denn das alles, was
sich nach vierzig Jahren einseitigen Freihandels sagen lasse? Er verlange nichts
als Billigkeit, keine Begünstigung. Weniger als das werde nach seiner festen
Überzeugung das Land nicht ertragen. Die Politik, zu gestatten, daß ein Er¬
werbszweig nach dem andern zu gründe gerichtet werde, und daß die Beschäf¬
tigung und der Verdienst der arbeitenden Klassen des Landes Einbuße erleide,
sei eine Politik, welche des Geistes und der Thatkraft Englands nicht würdig sei.
Es leide keinen Zweifel, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge im äußersten
Grade beunruhigend sei. Es sei keine Frage, daß das Volk in Liverpool,
Stockton, Birmingham und andern großen Mittelpunkten der Arbeit einmütig
des Glaubens sei, die Regierung müsse Maßregeln ergreifen, um die der-
malige traurige Lage der Fabriken und Manufakturen zu bessern. Das wären
jetzt noch fiskalische Fragen, es könnten aber leicht soziale Fragen höchst ge¬
fährlichen Charakters daraus werden, die zu Forderungen führten, welche ganz
unverträglich mit einer festbegründeten Sicherheit alles Eigentums wären.
„Die Frage ist, sagte der Redner gegen den Schluß hin, so verwickelter Natur,
daß sie nur von einer königlichen Kommission in geeigneter Weise behandelt
werden kann."

Es konnte nicht fehlen, daß die Freihändler im Hause diese und ähnliche
Ansichten zu widerlegen und namentlich mit Gründen, die sich hören lassen, die


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[0355] Schutzzöllner in England. auf Messerschmiede- und andre Kurzwcmrcn beträgt die Verminderung 15, in Töpferwaaren 3'/z und in Leinenstoffen 6^ Prozent. Kam je so häufig eine Herabsetzung der Löhne in Zeiten wie heute vor, wo die Nahrung so wohlfeil und das Rohmaterial in solcher Überfülle zu haben ist? Wo man Weizen den Quarter für 32 Schilling, Zucker das Pfund für 2 Pence kauft, liegt die In¬ dustrie darnieder! Alles das zeigt, daß wir in eine Periode, in eine Ordnung der Dinge eingetreten sind, die von allen früheren verschieden ist. . . . Aber wie lange sollen wir der unbeschränkte» ausländischen Konkurrenz ausgesetzt bleiben? Die niedrigen Preise der eingeführten Gegenstände kommen unsern Arbeitern in geringem Maße zu gute, aber wir bezahlen dafür einen hohen Preis im Nieder¬ gange der Pachtgelder, der Erträge der Fabriken und der Arbeitslöhne. In jedem Mittelpunkte der Industrie werden die Übeln Folgen dieser unbeschränkten Konkurrenz des Auslandes empfunden, während eine kleine Klasse von Personen aus Kapitalanlagen in fremden Ländern ungeheure Einkünfte bezieht." Es gebe, so fuhr der Redner fort, keinen Teil des Vereinigten Königreiches, für welches „dieses grob unbillige System" (der unbeschränkte Freihandel) unseligere Folgen gehabt habe als Irland, welches so sehr von inländischer Gütererzeugung ab¬ hänge. Und von London habe er vernommen, daß in dessen östlichen Bezirken dreißig Prozent der arbeitenden Bevölkerung ohne Beschäftigung seien. Man werde sagen (und es wurde in der That gesagt), daß England hier nicht mehr litte als die Nationen, die durch Zölle geschützt seien und daß wir Gott danken sollten, nicht schlimmer daran zu sein als sie. Aber wäre denn das alles, was sich nach vierzig Jahren einseitigen Freihandels sagen lasse? Er verlange nichts als Billigkeit, keine Begünstigung. Weniger als das werde nach seiner festen Überzeugung das Land nicht ertragen. Die Politik, zu gestatten, daß ein Er¬ werbszweig nach dem andern zu gründe gerichtet werde, und daß die Beschäf¬ tigung und der Verdienst der arbeitenden Klassen des Landes Einbuße erleide, sei eine Politik, welche des Geistes und der Thatkraft Englands nicht würdig sei. Es leide keinen Zweifel, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge im äußersten Grade beunruhigend sei. Es sei keine Frage, daß das Volk in Liverpool, Stockton, Birmingham und andern großen Mittelpunkten der Arbeit einmütig des Glaubens sei, die Regierung müsse Maßregeln ergreifen, um die der- malige traurige Lage der Fabriken und Manufakturen zu bessern. Das wären jetzt noch fiskalische Fragen, es könnten aber leicht soziale Fragen höchst ge¬ fährlichen Charakters daraus werden, die zu Forderungen führten, welche ganz unverträglich mit einer festbegründeten Sicherheit alles Eigentums wären. „Die Frage ist, sagte der Redner gegen den Schluß hin, so verwickelter Natur, daß sie nur von einer königlichen Kommission in geeigneter Weise behandelt werden kann." Es konnte nicht fehlen, daß die Freihändler im Hause diese und ähnliche Ansichten zu widerlegen und namentlich mit Gründen, die sich hören lassen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/355>, abgerufen am 29.12.2024.