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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Venezianer zu Hause.

von Rialto auf die Insel Murcmo verlegt, wo damals bereits eine Zunft be¬
stand, machte diese Industrie diese Insel zu einer der merkwürdigsten Stätten
des Gewerbefleißes, zu einem Vevölkerungszentrnm von 30000 Menschen,
während sie gegenwärtig nicht mehr als den zehnten Teil dieser Ziffer zählt.
Die Zunft der "Glasmacher" (votM) wurde von einem jährlich gewählten
Vorstände unter einem Gastalden geleitet und zerfiel in sechs Abteilungen ver¬
möge der durchgebildeten Arbeitsteilung. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil ein
der Entwicklung gebührt den Deutschen, welche im fünfzehnten Jahrhundert
das Glasziehen einführte". Perlen, imitirte Edelsteine, Gefäße aller Art,
vor allem die feinen Tafelgläser und die kostbaren Spiegel wurden hier her¬
gestellt, die letztern in höchster Vollkommenheit allerdings erst seit dem siebzehnten
Jahrhundert, während die Fabrikation des zu den Mosaiken gebrauchten Glases
darunter mancher Arten, die noch heute einzelne Familien monopolisiren (so das
ÄVÄnwrinc"), jedenfalls in die ältesten Zeiten zurückreicht. Eine ununterbrochen
Tag und Nacht in sechsstündigen Schichten (mute) fortgehende Arbeit erfüllte
Murcmo mit emsigen Leben; nur am Sonnabend, an den Sonn- und Fest¬
tagen bis zum Dunkelwerden wurde sie überall eingestellt. "Daher war während
des Sonnabends alles Lust und Freude auf der Insel, und der Arbeiter, rein¬
gewaschen und rasirt, that seine schönsten Kleider an. Da es im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert nur zwei öffentliche Weinsäufer auf ganz Murcmv
gab, so sammelten sich die Arbeiter in den sogenannten Kasinos oder in Privat¬
zimmern, wo sie ihr Kartenspiel machten. Es fehlte dann nicht an Unter¬
haltungen, Theatervorstellungen, Festen, zu denen auch die Nobili kamen, wie
das Ballspiel und das berühmte "Stierfest," bei dem die Meister und die Be¬
sitzer der Werkstätten in Narrenkleidung erschienen." So wechselte die ange¬
strengteste Arbeit -- durchschnittlich achtzehn von vierundzwanzig Stunden --
mit heiterer Erholung. Der invalid gewordene Zunftgenosfc aber hatte eine
Altersversorgung von jährlich siebzig Dukaten (etwa dreihundertfünfzig Mark)
zu erwarten.

Wir übergehen andre Gewerbtreibende, wie die Goldarbeiter und Juweliere,
deren Auslagen am Rialto eine der hervorragendsten Sehenswürdigkeiten Ve¬
nedigs bildeten, die Fabrikation von Luxuswaffen, die Arbeiten in Intarsia,
welche besonders in den Klöstern gepflegt wurden, u. a. in. Das Gesagte wird
genügen, um die Lagunenstadt als eine der ersten Industriestädte der damaligen
Welt zu charakteristreu.

Umso unermeßlicher mußte nun der Reichtum sein, der auf dieser an sich
so unwirtbaren Küste zusammenströmte. Als im Jahre 1423 der Doge
Tommaso Mocenigo starb, schätzte er den Wert sämtlicher Häuser Venedigs
auf sieben Millionen Dukaten, das Einkommen von tausend Edelleuten auf
durchschnittlich 700 bis 4000 Dukaten. Einige freilich häuften viel größeren
Reichtum an. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts besaß Antonio Grimani


Die Venezianer zu Hause.

von Rialto auf die Insel Murcmo verlegt, wo damals bereits eine Zunft be¬
stand, machte diese Industrie diese Insel zu einer der merkwürdigsten Stätten
des Gewerbefleißes, zu einem Vevölkerungszentrnm von 30000 Menschen,
während sie gegenwärtig nicht mehr als den zehnten Teil dieser Ziffer zählt.
Die Zunft der „Glasmacher" (votM) wurde von einem jährlich gewählten
Vorstände unter einem Gastalden geleitet und zerfiel in sechs Abteilungen ver¬
möge der durchgebildeten Arbeitsteilung. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil ein
der Entwicklung gebührt den Deutschen, welche im fünfzehnten Jahrhundert
das Glasziehen einführte». Perlen, imitirte Edelsteine, Gefäße aller Art,
vor allem die feinen Tafelgläser und die kostbaren Spiegel wurden hier her¬
gestellt, die letztern in höchster Vollkommenheit allerdings erst seit dem siebzehnten
Jahrhundert, während die Fabrikation des zu den Mosaiken gebrauchten Glases
darunter mancher Arten, die noch heute einzelne Familien monopolisiren (so das
ÄVÄnwrinc»), jedenfalls in die ältesten Zeiten zurückreicht. Eine ununterbrochen
Tag und Nacht in sechsstündigen Schichten (mute) fortgehende Arbeit erfüllte
Murcmo mit emsigen Leben; nur am Sonnabend, an den Sonn- und Fest¬
tagen bis zum Dunkelwerden wurde sie überall eingestellt. „Daher war während
des Sonnabends alles Lust und Freude auf der Insel, und der Arbeiter, rein¬
gewaschen und rasirt, that seine schönsten Kleider an. Da es im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert nur zwei öffentliche Weinsäufer auf ganz Murcmv
gab, so sammelten sich die Arbeiter in den sogenannten Kasinos oder in Privat¬
zimmern, wo sie ihr Kartenspiel machten. Es fehlte dann nicht an Unter¬
haltungen, Theatervorstellungen, Festen, zu denen auch die Nobili kamen, wie
das Ballspiel und das berühmte »Stierfest,« bei dem die Meister und die Be¬
sitzer der Werkstätten in Narrenkleidung erschienen." So wechselte die ange¬
strengteste Arbeit — durchschnittlich achtzehn von vierundzwanzig Stunden —
mit heiterer Erholung. Der invalid gewordene Zunftgenosfc aber hatte eine
Altersversorgung von jährlich siebzig Dukaten (etwa dreihundertfünfzig Mark)
zu erwarten.

Wir übergehen andre Gewerbtreibende, wie die Goldarbeiter und Juweliere,
deren Auslagen am Rialto eine der hervorragendsten Sehenswürdigkeiten Ve¬
nedigs bildeten, die Fabrikation von Luxuswaffen, die Arbeiten in Intarsia,
welche besonders in den Klöstern gepflegt wurden, u. a. in. Das Gesagte wird
genügen, um die Lagunenstadt als eine der ersten Industriestädte der damaligen
Welt zu charakteristreu.

Umso unermeßlicher mußte nun der Reichtum sein, der auf dieser an sich
so unwirtbaren Küste zusammenströmte. Als im Jahre 1423 der Doge
Tommaso Mocenigo starb, schätzte er den Wert sämtlicher Häuser Venedigs
auf sieben Millionen Dukaten, das Einkommen von tausend Edelleuten auf
durchschnittlich 700 bis 4000 Dukaten. Einige freilich häuften viel größeren
Reichtum an. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts besaß Antonio Grimani


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[0334] Die Venezianer zu Hause. von Rialto auf die Insel Murcmo verlegt, wo damals bereits eine Zunft be¬ stand, machte diese Industrie diese Insel zu einer der merkwürdigsten Stätten des Gewerbefleißes, zu einem Vevölkerungszentrnm von 30000 Menschen, während sie gegenwärtig nicht mehr als den zehnten Teil dieser Ziffer zählt. Die Zunft der „Glasmacher" (votM) wurde von einem jährlich gewählten Vorstände unter einem Gastalden geleitet und zerfiel in sechs Abteilungen ver¬ möge der durchgebildeten Arbeitsteilung. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil ein der Entwicklung gebührt den Deutschen, welche im fünfzehnten Jahrhundert das Glasziehen einführte». Perlen, imitirte Edelsteine, Gefäße aller Art, vor allem die feinen Tafelgläser und die kostbaren Spiegel wurden hier her¬ gestellt, die letztern in höchster Vollkommenheit allerdings erst seit dem siebzehnten Jahrhundert, während die Fabrikation des zu den Mosaiken gebrauchten Glases darunter mancher Arten, die noch heute einzelne Familien monopolisiren (so das ÄVÄnwrinc»), jedenfalls in die ältesten Zeiten zurückreicht. Eine ununterbrochen Tag und Nacht in sechsstündigen Schichten (mute) fortgehende Arbeit erfüllte Murcmo mit emsigen Leben; nur am Sonnabend, an den Sonn- und Fest¬ tagen bis zum Dunkelwerden wurde sie überall eingestellt. „Daher war während des Sonnabends alles Lust und Freude auf der Insel, und der Arbeiter, rein¬ gewaschen und rasirt, that seine schönsten Kleider an. Da es im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert nur zwei öffentliche Weinsäufer auf ganz Murcmv gab, so sammelten sich die Arbeiter in den sogenannten Kasinos oder in Privat¬ zimmern, wo sie ihr Kartenspiel machten. Es fehlte dann nicht an Unter¬ haltungen, Theatervorstellungen, Festen, zu denen auch die Nobili kamen, wie das Ballspiel und das berühmte »Stierfest,« bei dem die Meister und die Be¬ sitzer der Werkstätten in Narrenkleidung erschienen." So wechselte die ange¬ strengteste Arbeit — durchschnittlich achtzehn von vierundzwanzig Stunden — mit heiterer Erholung. Der invalid gewordene Zunftgenosfc aber hatte eine Altersversorgung von jährlich siebzig Dukaten (etwa dreihundertfünfzig Mark) zu erwarten. Wir übergehen andre Gewerbtreibende, wie die Goldarbeiter und Juweliere, deren Auslagen am Rialto eine der hervorragendsten Sehenswürdigkeiten Ve¬ nedigs bildeten, die Fabrikation von Luxuswaffen, die Arbeiten in Intarsia, welche besonders in den Klöstern gepflegt wurden, u. a. in. Das Gesagte wird genügen, um die Lagunenstadt als eine der ersten Industriestädte der damaligen Welt zu charakteristreu. Umso unermeßlicher mußte nun der Reichtum sein, der auf dieser an sich so unwirtbaren Küste zusammenströmte. Als im Jahre 1423 der Doge Tommaso Mocenigo starb, schätzte er den Wert sämtlicher Häuser Venedigs auf sieben Millionen Dukaten, das Einkommen von tausend Edelleuten auf durchschnittlich 700 bis 4000 Dukaten. Einige freilich häuften viel größeren Reichtum an. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts besaß Antonio Grimani

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/334>, abgerufen am 29.12.2024.