Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die Braunschweiger Frage. und den Versuch zu machen, sie durch irgendetwas zu versöhnen, was sie als Man spricht von Atavismus, von Familiengeist, der sich von Generation Die Braunschweiger Frage. und den Versuch zu machen, sie durch irgendetwas zu versöhnen, was sie als Man spricht von Atavismus, von Familiengeist, der sich von Generation <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157233"/> <fw type="header" place="top"> Die Braunschweiger Frage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1080" prev="#ID_1079"> und den Versuch zu machen, sie durch irgendetwas zu versöhnen, was sie als<lb/> „Einlenken auf den Weg des Rechtes" ansehen könnten. Das wahre Recht<lb/> ist in diesem Falle das Kriegs-, das Eroberungsrecht, da es zugleich<lb/> das über allen andern Rechten stehende historische Recht ist, das durch die<lb/> Münstersche Schöpfung von 1815 in seinem Gange nur aufgehalten wurde.<lb/> Das Blatt des Kanzlers hat dies mit deutlichen Worten gesagt. Es hat den<lb/> welfischen Redner ohne viele Umschweife daran erinnert, daß auf derartiges<lb/> Gerede langjährige Zuchthausstrafe gesetzt ist, und es scheidet die politische Frage<lb/> ganz entschieden von der rechtlichen. Es weist auf die Gefahr hin, die man<lb/> heraufbeschwören würde, wenn man „einem Anhänger der Welfenpartei" ge¬<lb/> statten wollte, als Herzog von Braunschweig souveränes Mitglied des Reiches<lb/> zu werden. Die souveränen Rechte, die er dann über ein gewisses Gebiet aus¬<lb/> zuüben befugt sein würde, würde er benutzen, um seinen Hof zu einem Kry¬<lb/> stallisationspunkte für welfische Intriguen zu gestalten und Mittel zur Erreichung<lb/> der Ziele der Welfenpartei vorzubereiten, um bei Verwicklungen des deutschen<lb/> Reiches und dadurch etwa gegebener Gelegenheit ohne Verzug vorgehen zu<lb/> können. Der Kanzler will der welfischen Partei unter keinen Umständen durch<lb/> Einsetzung eines Mitgliedes derselben als Souverän in Braunschweig einen<lb/> Punkt schaffen, wo sie ihren Hebel gegen das Reich mit einigem Erfolge wirken<lb/> lassen kann. Das heißt völlig unbedingt sprechen. Mit keiner Silbe wird<lb/> auch nur angedeutet, daß der Gmundener Prätendent, wenn er Hannover fahren<lb/> ließe und sich mit der Existenz des deutschen Reiches versöhnte, ruhig das Erb¬<lb/> teil des kleineren Staates antreten könnte, das ihm nach legitimen Grundsätzen<lb/> zugefallen ist. Fürst Bismarck nimmt auch keinen solchen Welsen an,<lb/> der bereut und Buße thun will, denn das wäre gegen das Interesse<lb/> Preußens und des Reiches. Die Sicherheit des Reiches ist dem Kanzler das<lb/> oberste Gesetz, vor dem die Art von Legitimität, die das Reich schwächt und<lb/> gefährdet, nichts gelten darf. Er zieht es als praktischer Geist vor, den Roh<lb/> der Welsen draußen, über der Reichsgrenze, sitzen zu sehen, als ihn mit den<lb/> Millionen, die er geerbt hat, innerhalb der Mauern der Reichsfcstung zu wissen,<lb/> und so kann man wohl mit Zuversicht prophezeien, daß der Sohn Georgs des<lb/> Fünften vor dem schönen Morgen, wo die Sonne im Westen und in Gestalt<lb/> des hannoverschen Wappens mit dem weißen Pferde aufgeht, nicht Herzog von<lb/> Braunschweig werden wird. Wenn Geld ihn trösten kann über Nichtbeachtung<lb/> seiner Expektanz, so wird er sich bis zu jenem Wunder trotzdem trösten und<lb/> guter Dinge sein können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1081" next="#ID_1082"> Man spricht von Atavismus, von Familiengeist, der sich von Generation<lb/> zu Generation fortpflanzt und in den Individuen bald mehr, bald weniger ver¬<lb/> körpert erscheint. Die Kurfürsten von Hannover, welche Könige von England<lb/> wurden, verdanken ihren Londoner Thron ihrer Abstammung in weiblicher Linie<lb/> von den Stuarts, und nicht wenige von den Charakterzügen dieses von Übeln</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
Die Braunschweiger Frage.
und den Versuch zu machen, sie durch irgendetwas zu versöhnen, was sie als
„Einlenken auf den Weg des Rechtes" ansehen könnten. Das wahre Recht
ist in diesem Falle das Kriegs-, das Eroberungsrecht, da es zugleich
das über allen andern Rechten stehende historische Recht ist, das durch die
Münstersche Schöpfung von 1815 in seinem Gange nur aufgehalten wurde.
Das Blatt des Kanzlers hat dies mit deutlichen Worten gesagt. Es hat den
welfischen Redner ohne viele Umschweife daran erinnert, daß auf derartiges
Gerede langjährige Zuchthausstrafe gesetzt ist, und es scheidet die politische Frage
ganz entschieden von der rechtlichen. Es weist auf die Gefahr hin, die man
heraufbeschwören würde, wenn man „einem Anhänger der Welfenpartei" ge¬
statten wollte, als Herzog von Braunschweig souveränes Mitglied des Reiches
zu werden. Die souveränen Rechte, die er dann über ein gewisses Gebiet aus¬
zuüben befugt sein würde, würde er benutzen, um seinen Hof zu einem Kry¬
stallisationspunkte für welfische Intriguen zu gestalten und Mittel zur Erreichung
der Ziele der Welfenpartei vorzubereiten, um bei Verwicklungen des deutschen
Reiches und dadurch etwa gegebener Gelegenheit ohne Verzug vorgehen zu
können. Der Kanzler will der welfischen Partei unter keinen Umständen durch
Einsetzung eines Mitgliedes derselben als Souverän in Braunschweig einen
Punkt schaffen, wo sie ihren Hebel gegen das Reich mit einigem Erfolge wirken
lassen kann. Das heißt völlig unbedingt sprechen. Mit keiner Silbe wird
auch nur angedeutet, daß der Gmundener Prätendent, wenn er Hannover fahren
ließe und sich mit der Existenz des deutschen Reiches versöhnte, ruhig das Erb¬
teil des kleineren Staates antreten könnte, das ihm nach legitimen Grundsätzen
zugefallen ist. Fürst Bismarck nimmt auch keinen solchen Welsen an,
der bereut und Buße thun will, denn das wäre gegen das Interesse
Preußens und des Reiches. Die Sicherheit des Reiches ist dem Kanzler das
oberste Gesetz, vor dem die Art von Legitimität, die das Reich schwächt und
gefährdet, nichts gelten darf. Er zieht es als praktischer Geist vor, den Roh
der Welsen draußen, über der Reichsgrenze, sitzen zu sehen, als ihn mit den
Millionen, die er geerbt hat, innerhalb der Mauern der Reichsfcstung zu wissen,
und so kann man wohl mit Zuversicht prophezeien, daß der Sohn Georgs des
Fünften vor dem schönen Morgen, wo die Sonne im Westen und in Gestalt
des hannoverschen Wappens mit dem weißen Pferde aufgeht, nicht Herzog von
Braunschweig werden wird. Wenn Geld ihn trösten kann über Nichtbeachtung
seiner Expektanz, so wird er sich bis zu jenem Wunder trotzdem trösten und
guter Dinge sein können.
Man spricht von Atavismus, von Familiengeist, der sich von Generation
zu Generation fortpflanzt und in den Individuen bald mehr, bald weniger ver¬
körpert erscheint. Die Kurfürsten von Hannover, welche Könige von England
wurden, verdanken ihren Londoner Thron ihrer Abstammung in weiblicher Linie
von den Stuarts, und nicht wenige von den Charakterzügen dieses von Übeln
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