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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

scherzhaft mich durch einen Nasenstüber zu erwecken und dabei in eine seiner
wundervollen braunen Flechten kichernd mir zu insinuirm:


Drei Teile seines Lebens
Verschläft der Dachs vergebens --

sieh doch nur die Sonne, Ebert! wir sollten schon seit einer Stunde draußen
unter den Bäumen sein. Du bist doch eigentlich ein zu furchtbarer Faulpelz,
liebstes Männchen!

Seit einer Stunde schon saß ich unter den Bäumen meines alten Mühl¬
gartens und hatte den wonnigsten Morgen unsrer Sommerfrische für mich allein.

Mit dem Kaffee warte ich wohl, bis unser Frauchen kommt? hatte Christine
gemeint, und ich hatte selbstverständlich durchaus kein Bedürfnis gehabt nach
dem Kaffee in Abwesenheit meines "Fräuleins," wie Doktor Martin Luther
übersetzt.

Endlich hatte das Fenster geklungen und der Vorhang sich bewegt. In
rosiger Verschlafenheit hatte sich mein Kind, meine holdselige Sommerfrischlerin,
herausgebeugt, in der Sicherheit, daß keine fremden Leute, keine frühen Gäste,
Brunnentrinker und Lustwandler aus der Stadt mehr von den Tischen und
Bänken des alten Gartens aus sie belauschen konnten:

Nun seh' einer den Durchgänger! Gott, wie lange sitzest du denn da schon,
Ebert? Himmel, wie spät ists denn eigentlich? . . . Laß dir nur den Kaffee
bringen; in fünf Minuten bin ich bei euch!

Der weiße Vorhang war von neuem zugefallen, und wirklich nicht länger
als eine gute halbe Stunde hatte es gedauert, bis mir meine zweite noch lieb¬
lichere Sonne aufging an dem neuen Lebenstage unter den Bäumen, den ver¬
wirkten Paradiesesbäumen von Pfisters Mühle.

Sie -- Emmy Pfister, geborene Schulze -- trippelte daher vom Hause
im leichten, lichten Morgenkleide und verlor einen zierlichen Pantoffel auf dem
Wege und kehrte sich um, ihn aufzuheben, hüpfte mit ihm in der Hand --
natürlich in meine Arme und -- weg hatte ich ihn -- den Klaps mit dem
ersten Kuß am Tage:

Weißt du wohl, daß du mir gestern Abend ganz dumme Geschichten erzählt
haben mußt, Ebert? So unruhig wie in vergangener Nacht, habe ich lange
nicht geschlafen, und so schwer geträumt auch nicht.

Armes Vögelchen! Na, jedenfalls kannst du sie mir wiedererzählen.

Meine Träume? Ja. . . warte mal. ..

Nein, meine Geschichten meine ich!

O die! Ja natürlich! Selbstverständlich vom Anfang bis zum Ende!

Ich meine jetzt noch etwas. Nämlich, daß es mehr als bloß mich giebt, die
es aus Erfahrung wissen können, daß die letzte Behauptung meines Weibes
eine von der Weiber siegessichersten Lügen war und es gewesen wäre, selbst wenn
sie im Buch der Bücher auch schon von Frau Eva vorgebracht worden wäre.


Pfisters Mühle.

scherzhaft mich durch einen Nasenstüber zu erwecken und dabei in eine seiner
wundervollen braunen Flechten kichernd mir zu insinuirm:


Drei Teile seines Lebens
Verschläft der Dachs vergebens —

sieh doch nur die Sonne, Ebert! wir sollten schon seit einer Stunde draußen
unter den Bäumen sein. Du bist doch eigentlich ein zu furchtbarer Faulpelz,
liebstes Männchen!

Seit einer Stunde schon saß ich unter den Bäumen meines alten Mühl¬
gartens und hatte den wonnigsten Morgen unsrer Sommerfrische für mich allein.

Mit dem Kaffee warte ich wohl, bis unser Frauchen kommt? hatte Christine
gemeint, und ich hatte selbstverständlich durchaus kein Bedürfnis gehabt nach
dem Kaffee in Abwesenheit meines „Fräuleins," wie Doktor Martin Luther
übersetzt.

Endlich hatte das Fenster geklungen und der Vorhang sich bewegt. In
rosiger Verschlafenheit hatte sich mein Kind, meine holdselige Sommerfrischlerin,
herausgebeugt, in der Sicherheit, daß keine fremden Leute, keine frühen Gäste,
Brunnentrinker und Lustwandler aus der Stadt mehr von den Tischen und
Bänken des alten Gartens aus sie belauschen konnten:

Nun seh' einer den Durchgänger! Gott, wie lange sitzest du denn da schon,
Ebert? Himmel, wie spät ists denn eigentlich? . . . Laß dir nur den Kaffee
bringen; in fünf Minuten bin ich bei euch!

Der weiße Vorhang war von neuem zugefallen, und wirklich nicht länger
als eine gute halbe Stunde hatte es gedauert, bis mir meine zweite noch lieb¬
lichere Sonne aufging an dem neuen Lebenstage unter den Bäumen, den ver¬
wirkten Paradiesesbäumen von Pfisters Mühle.

Sie — Emmy Pfister, geborene Schulze — trippelte daher vom Hause
im leichten, lichten Morgenkleide und verlor einen zierlichen Pantoffel auf dem
Wege und kehrte sich um, ihn aufzuheben, hüpfte mit ihm in der Hand —
natürlich in meine Arme und — weg hatte ich ihn — den Klaps mit dem
ersten Kuß am Tage:

Weißt du wohl, daß du mir gestern Abend ganz dumme Geschichten erzählt
haben mußt, Ebert? So unruhig wie in vergangener Nacht, habe ich lange
nicht geschlafen, und so schwer geträumt auch nicht.

Armes Vögelchen! Na, jedenfalls kannst du sie mir wiedererzählen.

Meine Träume? Ja. . . warte mal. ..

Nein, meine Geschichten meine ich!

O die! Ja natürlich! Selbstverständlich vom Anfang bis zum Ende!

Ich meine jetzt noch etwas. Nämlich, daß es mehr als bloß mich giebt, die
es aus Erfahrung wissen können, daß die letzte Behauptung meines Weibes
eine von der Weiber siegessichersten Lügen war und es gewesen wäre, selbst wenn
sie im Buch der Bücher auch schon von Frau Eva vorgebracht worden wäre.


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[0250] Pfisters Mühle. scherzhaft mich durch einen Nasenstüber zu erwecken und dabei in eine seiner wundervollen braunen Flechten kichernd mir zu insinuirm: Drei Teile seines Lebens Verschläft der Dachs vergebens — sieh doch nur die Sonne, Ebert! wir sollten schon seit einer Stunde draußen unter den Bäumen sein. Du bist doch eigentlich ein zu furchtbarer Faulpelz, liebstes Männchen! Seit einer Stunde schon saß ich unter den Bäumen meines alten Mühl¬ gartens und hatte den wonnigsten Morgen unsrer Sommerfrische für mich allein. Mit dem Kaffee warte ich wohl, bis unser Frauchen kommt? hatte Christine gemeint, und ich hatte selbstverständlich durchaus kein Bedürfnis gehabt nach dem Kaffee in Abwesenheit meines „Fräuleins," wie Doktor Martin Luther übersetzt. Endlich hatte das Fenster geklungen und der Vorhang sich bewegt. In rosiger Verschlafenheit hatte sich mein Kind, meine holdselige Sommerfrischlerin, herausgebeugt, in der Sicherheit, daß keine fremden Leute, keine frühen Gäste, Brunnentrinker und Lustwandler aus der Stadt mehr von den Tischen und Bänken des alten Gartens aus sie belauschen konnten: Nun seh' einer den Durchgänger! Gott, wie lange sitzest du denn da schon, Ebert? Himmel, wie spät ists denn eigentlich? . . . Laß dir nur den Kaffee bringen; in fünf Minuten bin ich bei euch! Der weiße Vorhang war von neuem zugefallen, und wirklich nicht länger als eine gute halbe Stunde hatte es gedauert, bis mir meine zweite noch lieb¬ lichere Sonne aufging an dem neuen Lebenstage unter den Bäumen, den ver¬ wirkten Paradiesesbäumen von Pfisters Mühle. Sie — Emmy Pfister, geborene Schulze — trippelte daher vom Hause im leichten, lichten Morgenkleide und verlor einen zierlichen Pantoffel auf dem Wege und kehrte sich um, ihn aufzuheben, hüpfte mit ihm in der Hand — natürlich in meine Arme und — weg hatte ich ihn — den Klaps mit dem ersten Kuß am Tage: Weißt du wohl, daß du mir gestern Abend ganz dumme Geschichten erzählt haben mußt, Ebert? So unruhig wie in vergangener Nacht, habe ich lange nicht geschlafen, und so schwer geträumt auch nicht. Armes Vögelchen! Na, jedenfalls kannst du sie mir wiedererzählen. Meine Träume? Ja. . . warte mal. .. Nein, meine Geschichten meine ich! O die! Ja natürlich! Selbstverständlich vom Anfang bis zum Ende! Ich meine jetzt noch etwas. Nämlich, daß es mehr als bloß mich giebt, die es aus Erfahrung wissen können, daß die letzte Behauptung meines Weibes eine von der Weiber siegessichersten Lügen war und es gewesen wäre, selbst wenn sie im Buch der Bücher auch schon von Frau Eva vorgebracht worden wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/250>, abgerufen am 28.12.2024.