Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Schiller und Bürger. geschont worden wäre, wird sich nicht behaupten lassen, aber anch, daß ihm zu Bürgern sollte es nie vergessen werden, daß er es sich zur Lebensaufgabe Schiller und Bürger. geschont worden wäre, wird sich nicht behaupten lassen, aber anch, daß ihm zu Bürgern sollte es nie vergessen werden, daß er es sich zur Lebensaufgabe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156949"/> <fw type="header" place="top"> Schiller und Bürger.</fw><lb/> <p xml:id="ID_45" prev="#ID_44"> geschont worden wäre, wird sich nicht behaupten lassen, aber anch, daß ihm zu<lb/> viel geschehen sei, wird nach reiflicher Erwägung nicht aufrecht erhalten werden<lb/> können. Dies darzuthun, ist der nächste Zweck dieser Zeilen. Gleichzeitig han¬<lb/> delt es sich jedoch bei meiner Untersuchung um den Unterschied von Ballade<lb/> und Romanze. Echtermeycrs Definitionen in betreff dieser beiden Gattungen<lb/> der Dichtung sind bereits aufgegeben worden. Bischer ist ihm nur denkbar,<lb/> weil er zu den Benennungen Ballade und Romanze noch das Wort „Märe"<lb/> hinzugefügt hat. Allerdings paßt es recht gut für Gedichte wie Uhlands<lb/> „Schwäbische Kunde." Für die epischen Produkte Anastasius Grüns und mancher<lb/> andern Lyriker, obgleich sie sich der Form nach dem alten Heldcnliede durch<lb/> die neuere Nibelungeustrophc wieder etwas genähert haben, paßt aber stets nur<lb/> der allgemeinste Name „erzählendes Gedicht."</p><lb/> <p xml:id="ID_46" next="#ID_47"> Bürgern sollte es nie vergessen werden, daß er es sich zur Lebensaufgabe<lb/> gemacht hatte, innerhalb der Kunstpoesie einer volkstümlichen Richtung Bahn<lb/> zu brechen, und daß er letztere mit seinem höchst bedeutenden dichterischen Ver¬<lb/> mögen sogleich auf einen gewissen Höhepunkt erhob. Schon in der Vorrede zur<lb/> ersten Auslage seiner Gedichte 1778 wollte er diese seine Absicht auch theoretisch<lb/> begründen. Er erklärte: „Alle darstellende Bildnerei kann und soll volks¬<lb/> mäßig sein. Denn das ist das Siegel ihrer Vollkommenheit." Weitere Er¬<lb/> klärungen behielt er sich vor und gab dieselben in der Vorrede zur zweiten<lb/> Auflage von 1789. Hier gebrauchte er statt „volksmäßig" das Wort „Popu¬<lb/> larität" und wiederholte zunächst: „Popularität eines poetischen Werkes ist das<lb/> Siegel seiner Vollkommenheit." Popularität aber erklärt er als Anschaulichkeit<lb/> und Leben „sür unser ganzes gebildetes Volk — Volk, nicht Pöbel!" Nicht<lb/> seinen „Hurre, dürre, Hoy Hoy Hoy" glaubte er seine Erfolge zu verdanken,<lb/> sondern dem Bestreben, daß dem Leser „sogleich alles blank und baar, ohne<lb/> Verwirrung in das Auge der Phantasie springe," „daß alles sogleich die rechte<lb/> Seite seiner Empfindung treffe." Hiernach könnte es scheinen, als ob Bürger<lb/> unter Popularität nur Deutlichkeit und allgemeine Zugänglichkeit verstünde<lb/> und das Siegel der Vollkommenheit nicht bloß an einem Gedichte erkennen<lb/> würde, dessen Inhalt dem Leben und dem Gedankenkreise des Volkes entnommen<lb/> wäre. Allein schon in der Vorrede zur ersten Auflage hatte er noch angedeutet,<lb/> daß dies uicht seine Ansicht sei. In der Vorrede zur zweiten von 1789, als<lb/> Schiller dreißig Jahre alt war, erklärte sich Bürger entschieden gegen denjenigen,<lb/> der die Poesie von dem Markte des Lebens hinwegziehe und sie in enge Zellen<lb/> verbanne, „ähnlich denen, worin der Meßkünstler mißt und rechnet oder der<lb/> Metaphysiker wenigen Schülern höchst schwer oder garnicht verständlich etwas<lb/> vorgrübelt." Kurz, Schiller wurde von Bürger nicht anerkannt, wenn er einen<lb/> metaphysischen Gegenstand durch seine wunderbare Poesie auch noch so sehr ver¬<lb/> deutlicht hätte. Weil sür Bürger die volkstümlichen Stoffe die besten waren,<lb/> sollten in der Poesie keine andern mehr gelten. Das volkstümliche Gebiet sollte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Schiller und Bürger.
geschont worden wäre, wird sich nicht behaupten lassen, aber anch, daß ihm zu
viel geschehen sei, wird nach reiflicher Erwägung nicht aufrecht erhalten werden
können. Dies darzuthun, ist der nächste Zweck dieser Zeilen. Gleichzeitig han¬
delt es sich jedoch bei meiner Untersuchung um den Unterschied von Ballade
und Romanze. Echtermeycrs Definitionen in betreff dieser beiden Gattungen
der Dichtung sind bereits aufgegeben worden. Bischer ist ihm nur denkbar,
weil er zu den Benennungen Ballade und Romanze noch das Wort „Märe"
hinzugefügt hat. Allerdings paßt es recht gut für Gedichte wie Uhlands
„Schwäbische Kunde." Für die epischen Produkte Anastasius Grüns und mancher
andern Lyriker, obgleich sie sich der Form nach dem alten Heldcnliede durch
die neuere Nibelungeustrophc wieder etwas genähert haben, paßt aber stets nur
der allgemeinste Name „erzählendes Gedicht."
Bürgern sollte es nie vergessen werden, daß er es sich zur Lebensaufgabe
gemacht hatte, innerhalb der Kunstpoesie einer volkstümlichen Richtung Bahn
zu brechen, und daß er letztere mit seinem höchst bedeutenden dichterischen Ver¬
mögen sogleich auf einen gewissen Höhepunkt erhob. Schon in der Vorrede zur
ersten Auslage seiner Gedichte 1778 wollte er diese seine Absicht auch theoretisch
begründen. Er erklärte: „Alle darstellende Bildnerei kann und soll volks¬
mäßig sein. Denn das ist das Siegel ihrer Vollkommenheit." Weitere Er¬
klärungen behielt er sich vor und gab dieselben in der Vorrede zur zweiten
Auflage von 1789. Hier gebrauchte er statt „volksmäßig" das Wort „Popu¬
larität" und wiederholte zunächst: „Popularität eines poetischen Werkes ist das
Siegel seiner Vollkommenheit." Popularität aber erklärt er als Anschaulichkeit
und Leben „sür unser ganzes gebildetes Volk — Volk, nicht Pöbel!" Nicht
seinen „Hurre, dürre, Hoy Hoy Hoy" glaubte er seine Erfolge zu verdanken,
sondern dem Bestreben, daß dem Leser „sogleich alles blank und baar, ohne
Verwirrung in das Auge der Phantasie springe," „daß alles sogleich die rechte
Seite seiner Empfindung treffe." Hiernach könnte es scheinen, als ob Bürger
unter Popularität nur Deutlichkeit und allgemeine Zugänglichkeit verstünde
und das Siegel der Vollkommenheit nicht bloß an einem Gedichte erkennen
würde, dessen Inhalt dem Leben und dem Gedankenkreise des Volkes entnommen
wäre. Allein schon in der Vorrede zur ersten Auflage hatte er noch angedeutet,
daß dies uicht seine Ansicht sei. In der Vorrede zur zweiten von 1789, als
Schiller dreißig Jahre alt war, erklärte sich Bürger entschieden gegen denjenigen,
der die Poesie von dem Markte des Lebens hinwegziehe und sie in enge Zellen
verbanne, „ähnlich denen, worin der Meßkünstler mißt und rechnet oder der
Metaphysiker wenigen Schülern höchst schwer oder garnicht verständlich etwas
vorgrübelt." Kurz, Schiller wurde von Bürger nicht anerkannt, wenn er einen
metaphysischen Gegenstand durch seine wunderbare Poesie auch noch so sehr ver¬
deutlicht hätte. Weil sür Bürger die volkstümlichen Stoffe die besten waren,
sollten in der Poesie keine andern mehr gelten. Das volkstümliche Gebiet sollte
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