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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Tragödie Dantes.

abgekommen war, kehrt in der dritten (1879) zu ihm, wenn auch nicht un¬
befangen, zurück. Bescheiden zweifelnd und leise abwehrend verhält sich der
herrschenden Theorie gegenüber nur noch Theodor Pauer. Dieser herrschenden
Ansicht stellt er nun, wie Klaczlo weiter in der deutsch geschriebenen Vorrede
erklärt, seine Darstellung entgegen. Er stellt die Frage nach der Tragödie
Dantes im umfassendsten Sinne auf und sucht ihre Erklärung zu geben.

Nach sovielen Richtungen, als die gewaltige Persönlichkeit des Florentiners
ihre Energie entfaltet hat, untersucht der gelehrte Causeur die Frage nach der
Tragödie derselben. Dante war Künstler -- ist er etwa tragisch als solcher?
Dante hat in unsterblichen Gesängen seine Liebe zu Beatrice verherrlicht, die er
doch nur vom Sehen aus kannte und die am ersten Lebensfrühling der grausame
Tod dahinraffte -- ist das seine Tragödie? Dante hat das gesamte Wissen
seiner Zeit umfaßt, hatte tiefe Blicke in ihre scholastische Philosophie gethan,
war ein gewaltiger Gegner vieler Päpste, die im Kampf um die Weltherrschaft
mit den Kaisern standen, kein Dichter der Welt hat so wie er über Päpste
ungestraft von der Kurie sprechen dürfen, und noch immer ist er der katholische
Dichter -- liegt da vielleicht seine Tragödie? Dante war schließlich ein leiden¬
schaftlicher Politiker, ja sein Hauptwerk selbst, das göttliche Gedicht, ist der
politische Ausdruck seines politischen Glaubensbekenntnisses geworden, man weiß,
wieviel Leid er zu tragen hatte, als ihn seine politischen Ansichten in extremsten
Gegensatz zu seiner Vaterstadt brachten, die er regieren wollte, und wenn man
nichts von Dante kennt, so weiß man dies, daß er jahrelang im Exil weilte
und zu Ravenna, in der Fremde also, begraben wurde -- ist das die Tra¬
gödie Dantes?

Diese vier Fragen werden in den vier Kapiteln des Buches erwogen, und
dabei eine Fülle von Gelehrsamkeit und originalen, geistvollen Bemerkungen nicht
über Dante allein, sondern ebenso über Michelangelo wie über Petrarca, über
Shakespeare wie über Milton, über die Poesie des Mittelalters und die der
Renaissance, über Katholizismus, Politik und alle möglichen großen Dinge hin¬
geworfen. , Denn Klaczko behandelt seinen Stoff in großer und weltmännischer
Weise. Ein so geschulter Kritiker er ist, der die historische wie philologische
Methode meisterlich beherrscht, so verfällt er doch selbst nie in die Pedanterie
der Schule. Immer spricht er als lebendiger Mensch der Gegenwart und erreicht
dadurch umsomehr seinen Zweck, die Gestalt seines Helden in ihrem eigentüm¬
lichen historischen Kolorit festzubannen, alles Moderne, alles subjektiv Hinein¬
getragene säuberlich zu entfernen, jede sentimentale Jdealisirung wegzuwischen
und das Bild seines Helden in den schärfsten Umrissen, deutlich unterschieden
als eigne Individualität in der Geschichte der Genies, aufzurichten. Er geht
daher über viele Kleinigkeiten hinweg, er setzt da eine gewisse Kenntnis des
Lebens und der Dichtungen seines Helden voraus; die großen Konturen allein
will er feststellen. So werden die "Florentiner Plaudereien" mehr zu einem


Die Tragödie Dantes.

abgekommen war, kehrt in der dritten (1879) zu ihm, wenn auch nicht un¬
befangen, zurück. Bescheiden zweifelnd und leise abwehrend verhält sich der
herrschenden Theorie gegenüber nur noch Theodor Pauer. Dieser herrschenden
Ansicht stellt er nun, wie Klaczlo weiter in der deutsch geschriebenen Vorrede
erklärt, seine Darstellung entgegen. Er stellt die Frage nach der Tragödie
Dantes im umfassendsten Sinne auf und sucht ihre Erklärung zu geben.

Nach sovielen Richtungen, als die gewaltige Persönlichkeit des Florentiners
ihre Energie entfaltet hat, untersucht der gelehrte Causeur die Frage nach der
Tragödie derselben. Dante war Künstler — ist er etwa tragisch als solcher?
Dante hat in unsterblichen Gesängen seine Liebe zu Beatrice verherrlicht, die er
doch nur vom Sehen aus kannte und die am ersten Lebensfrühling der grausame
Tod dahinraffte — ist das seine Tragödie? Dante hat das gesamte Wissen
seiner Zeit umfaßt, hatte tiefe Blicke in ihre scholastische Philosophie gethan,
war ein gewaltiger Gegner vieler Päpste, die im Kampf um die Weltherrschaft
mit den Kaisern standen, kein Dichter der Welt hat so wie er über Päpste
ungestraft von der Kurie sprechen dürfen, und noch immer ist er der katholische
Dichter — liegt da vielleicht seine Tragödie? Dante war schließlich ein leiden¬
schaftlicher Politiker, ja sein Hauptwerk selbst, das göttliche Gedicht, ist der
politische Ausdruck seines politischen Glaubensbekenntnisses geworden, man weiß,
wieviel Leid er zu tragen hatte, als ihn seine politischen Ansichten in extremsten
Gegensatz zu seiner Vaterstadt brachten, die er regieren wollte, und wenn man
nichts von Dante kennt, so weiß man dies, daß er jahrelang im Exil weilte
und zu Ravenna, in der Fremde also, begraben wurde — ist das die Tra¬
gödie Dantes?

Diese vier Fragen werden in den vier Kapiteln des Buches erwogen, und
dabei eine Fülle von Gelehrsamkeit und originalen, geistvollen Bemerkungen nicht
über Dante allein, sondern ebenso über Michelangelo wie über Petrarca, über
Shakespeare wie über Milton, über die Poesie des Mittelalters und die der
Renaissance, über Katholizismus, Politik und alle möglichen großen Dinge hin¬
geworfen. , Denn Klaczko behandelt seinen Stoff in großer und weltmännischer
Weise. Ein so geschulter Kritiker er ist, der die historische wie philologische
Methode meisterlich beherrscht, so verfällt er doch selbst nie in die Pedanterie
der Schule. Immer spricht er als lebendiger Mensch der Gegenwart und erreicht
dadurch umsomehr seinen Zweck, die Gestalt seines Helden in ihrem eigentüm¬
lichen historischen Kolorit festzubannen, alles Moderne, alles subjektiv Hinein¬
getragene säuberlich zu entfernen, jede sentimentale Jdealisirung wegzuwischen
und das Bild seines Helden in den schärfsten Umrissen, deutlich unterschieden
als eigne Individualität in der Geschichte der Genies, aufzurichten. Er geht
daher über viele Kleinigkeiten hinweg, er setzt da eine gewisse Kenntnis des
Lebens und der Dichtungen seines Helden voraus; die großen Konturen allein
will er feststellen. So werden die „Florentiner Plaudereien" mehr zu einem


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[0232] Die Tragödie Dantes. abgekommen war, kehrt in der dritten (1879) zu ihm, wenn auch nicht un¬ befangen, zurück. Bescheiden zweifelnd und leise abwehrend verhält sich der herrschenden Theorie gegenüber nur noch Theodor Pauer. Dieser herrschenden Ansicht stellt er nun, wie Klaczlo weiter in der deutsch geschriebenen Vorrede erklärt, seine Darstellung entgegen. Er stellt die Frage nach der Tragödie Dantes im umfassendsten Sinne auf und sucht ihre Erklärung zu geben. Nach sovielen Richtungen, als die gewaltige Persönlichkeit des Florentiners ihre Energie entfaltet hat, untersucht der gelehrte Causeur die Frage nach der Tragödie derselben. Dante war Künstler — ist er etwa tragisch als solcher? Dante hat in unsterblichen Gesängen seine Liebe zu Beatrice verherrlicht, die er doch nur vom Sehen aus kannte und die am ersten Lebensfrühling der grausame Tod dahinraffte — ist das seine Tragödie? Dante hat das gesamte Wissen seiner Zeit umfaßt, hatte tiefe Blicke in ihre scholastische Philosophie gethan, war ein gewaltiger Gegner vieler Päpste, die im Kampf um die Weltherrschaft mit den Kaisern standen, kein Dichter der Welt hat so wie er über Päpste ungestraft von der Kurie sprechen dürfen, und noch immer ist er der katholische Dichter — liegt da vielleicht seine Tragödie? Dante war schließlich ein leiden¬ schaftlicher Politiker, ja sein Hauptwerk selbst, das göttliche Gedicht, ist der politische Ausdruck seines politischen Glaubensbekenntnisses geworden, man weiß, wieviel Leid er zu tragen hatte, als ihn seine politischen Ansichten in extremsten Gegensatz zu seiner Vaterstadt brachten, die er regieren wollte, und wenn man nichts von Dante kennt, so weiß man dies, daß er jahrelang im Exil weilte und zu Ravenna, in der Fremde also, begraben wurde — ist das die Tra¬ gödie Dantes? Diese vier Fragen werden in den vier Kapiteln des Buches erwogen, und dabei eine Fülle von Gelehrsamkeit und originalen, geistvollen Bemerkungen nicht über Dante allein, sondern ebenso über Michelangelo wie über Petrarca, über Shakespeare wie über Milton, über die Poesie des Mittelalters und die der Renaissance, über Katholizismus, Politik und alle möglichen großen Dinge hin¬ geworfen. , Denn Klaczko behandelt seinen Stoff in großer und weltmännischer Weise. Ein so geschulter Kritiker er ist, der die historische wie philologische Methode meisterlich beherrscht, so verfällt er doch selbst nie in die Pedanterie der Schule. Immer spricht er als lebendiger Mensch der Gegenwart und erreicht dadurch umsomehr seinen Zweck, die Gestalt seines Helden in ihrem eigentüm¬ lichen historischen Kolorit festzubannen, alles Moderne, alles subjektiv Hinein¬ getragene säuberlich zu entfernen, jede sentimentale Jdealisirung wegzuwischen und das Bild seines Helden in den schärfsten Umrissen, deutlich unterschieden als eigne Individualität in der Geschichte der Genies, aufzurichten. Er geht daher über viele Kleinigkeiten hinweg, er setzt da eine gewisse Kenntnis des Lebens und der Dichtungen seines Helden voraus; die großen Konturen allein will er feststellen. So werden die „Florentiner Plaudereien" mehr zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/232>, abgerufen am 29.12.2024.