Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Englische Sünden in Irland. auch für Irland Staatskirche, obwohl ihre Anhänger hier noch kein Siebentel Endlich wurde Irland von den Engländern, seinen Nachbarn und tyran¬ Englische Sünden in Irland. auch für Irland Staatskirche, obwohl ihre Anhänger hier noch kein Siebentel Endlich wurde Irland von den Engländern, seinen Nachbarn und tyran¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157145"/> <fw type="header" place="top"> Englische Sünden in Irland.</fw><lb/> <p xml:id="ID_786" prev="#ID_785"> auch für Irland Staatskirche, obwohl ihre Anhänger hier noch kein Siebentel<lb/> der Bevölkerung bildeten. Diese Kirche lebte von den Steuern der sechs andern<lb/> Siebentel, namentlich von denen der Armen unter ihnen, welche dieselben in<lb/> Gestalt von Zehnten entrichteten. Diese äußerst drückende Abgabe mußte umso<lb/> verhaßter sein, als sie für Geistliche abgefordert wurde, von deren Amtshand¬<lb/> lungen die Steuerpflichtigen nicht den mindesten Nutzen hatten, und die ihre<lb/> Religion nach Kräften anfeindeten. Dazu kam, daß die Pfarrer den Zehnten<lb/> an Eintreiber verpachteten, die aus habgierigen und herzlosen Menschen be¬<lb/> standen. Der tiefe Groll des irischen Landvolkes über diese Einrichtungen<lb/> wurde Hauptursache zu den Freveln der Whiteboys, die im vorigen Jahrhundert,<lb/> und zu zahllosen Aufständen und Mordthaten, die in den ersten drei Dezennien<lb/> des jetzigen vorzüglich im Süden und Westen Irlands vorkamen. Das war<lb/> aber noch lange nicht alles. Der katholische Kultus war in tief demütigender<lb/> Weise beschränkt. Das bloße Bekenntnis zum katholischen Glauben schloß von<lb/> jeder politischen und munizipalen Machtsphäre aus, von fast allen wissenschaft¬<lb/> lichen Berufszweigen, von beinahe jeder Gelegenheit, sich Kenntnisse und Ver¬<lb/> mögen zu erwerben. Durch verschiedne Bestimmungen des Strafkodex waren<lb/> die Katholiken von den Erziehungsanstalten des Landes ausgeschlossen; sie<lb/> mußten ihre Kinder ohne Unterricht lassen, wenn sie dieselben nicht in die „Charter<lb/> schools" schicken wollten, was nach deren Programm mit Einwilligung der Eltern<lb/> in eine protestantische Erziehung zusammenfiel; sie durften nach dem Strafkodex<lb/> kein Land kaufen, kein Geld hypothekarisch auf Grundbesitz verleihen, keine<lb/> großen und keine langen Pachtungen übernehmen. Der Zweck war eben der,<lb/> ihnen allmählich alles Recht an irischen Boden zu entziehen, worauf auch die<lb/> Verordnungen hinausliefen, welche die gleiche Teilung des von einem Katholiken<lb/> hinterlassenen Landes unter dessen Kinder geboten. Die natürliche Wirkung<lb/> solcher Gesetze war, daß eine Aristokratie der Protestanten geschaffen wurde, die<lb/> zugleich eine Aristokratie der englischen Rasse war und, gestützt auf ihre Privi¬<lb/> legien, bald äußerst despotisch auftrat.</p><lb/> <p xml:id="ID_787"> Endlich wurde Irland von den Engländern, seinen Nachbarn und tyran¬<lb/> nischen Herren, auch in Sachen des Handels und Gewerbes rücksichtslos zu<lb/> gunsten ihrer Interessen gemißhandelt und gemaßregelt. Die Insel war sehr<lb/> fruchtbar, namentlich aber reich an trefflichen Weidegründen. Berühmt waren<lb/> ihre Rinder und ihre Wolle. Es lag daher nahe, diese Produkte durch Ver¬<lb/> schiffung nach England am geeignetsten zu verwerten. Aber kaum war dies<lb/> versucht, so gerieten die englischen Landwirte in Aufregung und klagten über die<lb/> irische Konkurrenz auf den britischen Märkten, und ohne Verzug erließ das<lb/> Londoner Parlament 1665 und 1680 Gesetze, durch welche die Einfuhr von<lb/> Vieh und Fleisch, ja von Butter und Käse aus Irland nach England verboten<lb/> und so die Hauptquelle des irischen Wohlstandes mit einem einzigen derben<lb/> Griffe verstopft wurde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0220]
Englische Sünden in Irland.
auch für Irland Staatskirche, obwohl ihre Anhänger hier noch kein Siebentel
der Bevölkerung bildeten. Diese Kirche lebte von den Steuern der sechs andern
Siebentel, namentlich von denen der Armen unter ihnen, welche dieselben in
Gestalt von Zehnten entrichteten. Diese äußerst drückende Abgabe mußte umso
verhaßter sein, als sie für Geistliche abgefordert wurde, von deren Amtshand¬
lungen die Steuerpflichtigen nicht den mindesten Nutzen hatten, und die ihre
Religion nach Kräften anfeindeten. Dazu kam, daß die Pfarrer den Zehnten
an Eintreiber verpachteten, die aus habgierigen und herzlosen Menschen be¬
standen. Der tiefe Groll des irischen Landvolkes über diese Einrichtungen
wurde Hauptursache zu den Freveln der Whiteboys, die im vorigen Jahrhundert,
und zu zahllosen Aufständen und Mordthaten, die in den ersten drei Dezennien
des jetzigen vorzüglich im Süden und Westen Irlands vorkamen. Das war
aber noch lange nicht alles. Der katholische Kultus war in tief demütigender
Weise beschränkt. Das bloße Bekenntnis zum katholischen Glauben schloß von
jeder politischen und munizipalen Machtsphäre aus, von fast allen wissenschaft¬
lichen Berufszweigen, von beinahe jeder Gelegenheit, sich Kenntnisse und Ver¬
mögen zu erwerben. Durch verschiedne Bestimmungen des Strafkodex waren
die Katholiken von den Erziehungsanstalten des Landes ausgeschlossen; sie
mußten ihre Kinder ohne Unterricht lassen, wenn sie dieselben nicht in die „Charter
schools" schicken wollten, was nach deren Programm mit Einwilligung der Eltern
in eine protestantische Erziehung zusammenfiel; sie durften nach dem Strafkodex
kein Land kaufen, kein Geld hypothekarisch auf Grundbesitz verleihen, keine
großen und keine langen Pachtungen übernehmen. Der Zweck war eben der,
ihnen allmählich alles Recht an irischen Boden zu entziehen, worauf auch die
Verordnungen hinausliefen, welche die gleiche Teilung des von einem Katholiken
hinterlassenen Landes unter dessen Kinder geboten. Die natürliche Wirkung
solcher Gesetze war, daß eine Aristokratie der Protestanten geschaffen wurde, die
zugleich eine Aristokratie der englischen Rasse war und, gestützt auf ihre Privi¬
legien, bald äußerst despotisch auftrat.
Endlich wurde Irland von den Engländern, seinen Nachbarn und tyran¬
nischen Herren, auch in Sachen des Handels und Gewerbes rücksichtslos zu
gunsten ihrer Interessen gemißhandelt und gemaßregelt. Die Insel war sehr
fruchtbar, namentlich aber reich an trefflichen Weidegründen. Berühmt waren
ihre Rinder und ihre Wolle. Es lag daher nahe, diese Produkte durch Ver¬
schiffung nach England am geeignetsten zu verwerten. Aber kaum war dies
versucht, so gerieten die englischen Landwirte in Aufregung und klagten über die
irische Konkurrenz auf den britischen Märkten, und ohne Verzug erließ das
Londoner Parlament 1665 und 1680 Gesetze, durch welche die Einfuhr von
Vieh und Fleisch, ja von Butter und Käse aus Irland nach England verboten
und so die Hauptquelle des irischen Wohlstandes mit einem einzigen derben
Griffe verstopft wurde.
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