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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Lin Franzose über Bismarcks Politik.

manu weder Freunde noch Feinde, hat er gestern ein Abkommen getroffen, so ist
er heute bereit, es zu brechen, wenn sich ein besseres darbietet, und die Gesichter,
die ihm mißfallen, werden ihm angenehm, wenn sie ihm zu irgend etwas dienen
können, er ist der Meinung, daß die Rache nicht unter die politischen Dinge ge¬
höre. So lebhaft, so ungestüm seine Sinnesart ist, er weiß sie zu bemeistern, so¬
bald es sich um seiue Interessen handelt, denen er alles, selbst seine Heftigkeit
opfert, und dieser kurzangebundcne Geist setzt die Welt durch die lange Geduld
seines Wesens in Staunen. Nach dem Erfolge läßt er sich nicht den Sieg zu
Kopfe steigen, er mißtraut seineu Glücksfällen, er rechnet mit den Aussichten, die
sich ihm darbieten, er erschöpft sein Glück nicht, er verzichtet auf Unternehmungen,
wenn sie ein abenteuerliches Aussehen haben u. s. w.

Hier mischt sich Wahres mit Falschen, und einige mittelmäßige Feuille-
tvniftenwitze, wie der Vergleich mit dem Roßtäuscher und der mit dem Taschen¬
spieler, hätten als ebenso unschicklich wie lahm mit Nutzen für das Ganze
wegbleiben können. Der richtige Gedanke, daß die Politik des deutschen Reichs¬
kanzlers Züge von dem Wesen und Denken des norddeutschen Bauern hat,
würde dann klarer hervorgetreten sein und sich dem Leser besser eingeprägt
haben. Dieser Gedanke ist übrigens nicht neu; denn Busch hat ihn schon in
einer frühern Schrift angedeutet und in seinem letzten Buche vielfache Belege
dafür geliefert. In den 1879 erschienenen "Neuen Tagebuchsblättern" sagt er
(S. 370 ff.):

Der Fürst ist nicht bloß ein Mehrer seines kleinen Reiches "er etwa 30 000
Morgen großen Herrschaft Varzin, die er durch die Güter Selitz und Chorow ab¬
rundete), sondern zugleich ein thätiger und umsichtiger Verbesserer gewesen. Er
war immer ein tüchtiger Landwirt, und er ist es noch. Ich bin der Meinung,
daß die Neigung zu dieser Beschäftigung und die Befähigung dazu aus einer und
derselben Quelle entspringen wie die Neigung und Befähigung zu politischem Wirken
und Schaffen. Bismarck hat, wie schon seine Verwaltung von Kniephof neben
manchen jugendlichen Ausschreitungen zeigte, es immer verstanden, durch Vernach¬
lässigung heruntergekommene Güter mit umsichtigen Blick und richtig zugreifender
Hand wieder emporzubringen, und er zeigt das in Varzin von neuem. Wer das
kann, der wird unter Umständen, d. h. mit der erforderlichen politischen Bildung
und Kenntnis, meist auch befähigt sein, heruntergekommene große Güter oder Herr¬
schaften -- ich meine Länder, Völker, Staaten -- wieder dahin zu bringen, daß
sie sich mit Ehren sehen lassen können. Auf alle Fälle schärft die Landwirtschaft
in gleichem, vielleicht in noch höherm Grade als die Thätigkeit des Fabrikanten
und das kaufmännische Gewerbe den Blick für die natürlichen Verhältnisse, da sie
vorwiegend mit dem nächstliegenden zu thun hat. Sie lehrt Mögliches rasch vom
Unmöglichen unterscheiden und infolge dessen die Dinge praktisch anfassen. Sie er¬
zieht Realpolitiker im kleinen. Sie läßt unter allen Beschäftigungen am wenigsten
jene kosmopolitische Richtung sich entwickeln, die dem gesunden nationalen Egoismus
in den Weg tritt, welcher die Völker mächtig und reich macht. Sie erfährt in
ihrem Bereich am schnellsten und sichersten, was sich von fremdländischen Gewächs
zur Verpflanzung auf unsern Boden eignet und was nicht, und sie gewöhnt auch
über jenen Bereich hinaus an sachgemäßes Verfahren. Es wäre daher meines Tr¬
achtens gut, wenn die Mehrzahl der Sitze in den Sälen unsrer Landtage und nicht


Lin Franzose über Bismarcks Politik.

manu weder Freunde noch Feinde, hat er gestern ein Abkommen getroffen, so ist
er heute bereit, es zu brechen, wenn sich ein besseres darbietet, und die Gesichter,
die ihm mißfallen, werden ihm angenehm, wenn sie ihm zu irgend etwas dienen
können, er ist der Meinung, daß die Rache nicht unter die politischen Dinge ge¬
höre. So lebhaft, so ungestüm seine Sinnesart ist, er weiß sie zu bemeistern, so¬
bald es sich um seiue Interessen handelt, denen er alles, selbst seine Heftigkeit
opfert, und dieser kurzangebundcne Geist setzt die Welt durch die lange Geduld
seines Wesens in Staunen. Nach dem Erfolge läßt er sich nicht den Sieg zu
Kopfe steigen, er mißtraut seineu Glücksfällen, er rechnet mit den Aussichten, die
sich ihm darbieten, er erschöpft sein Glück nicht, er verzichtet auf Unternehmungen,
wenn sie ein abenteuerliches Aussehen haben u. s. w.

Hier mischt sich Wahres mit Falschen, und einige mittelmäßige Feuille-
tvniftenwitze, wie der Vergleich mit dem Roßtäuscher und der mit dem Taschen¬
spieler, hätten als ebenso unschicklich wie lahm mit Nutzen für das Ganze
wegbleiben können. Der richtige Gedanke, daß die Politik des deutschen Reichs¬
kanzlers Züge von dem Wesen und Denken des norddeutschen Bauern hat,
würde dann klarer hervorgetreten sein und sich dem Leser besser eingeprägt
haben. Dieser Gedanke ist übrigens nicht neu; denn Busch hat ihn schon in
einer frühern Schrift angedeutet und in seinem letzten Buche vielfache Belege
dafür geliefert. In den 1879 erschienenen „Neuen Tagebuchsblättern" sagt er
(S. 370 ff.):

Der Fürst ist nicht bloß ein Mehrer seines kleinen Reiches »er etwa 30 000
Morgen großen Herrschaft Varzin, die er durch die Güter Selitz und Chorow ab¬
rundete), sondern zugleich ein thätiger und umsichtiger Verbesserer gewesen. Er
war immer ein tüchtiger Landwirt, und er ist es noch. Ich bin der Meinung,
daß die Neigung zu dieser Beschäftigung und die Befähigung dazu aus einer und
derselben Quelle entspringen wie die Neigung und Befähigung zu politischem Wirken
und Schaffen. Bismarck hat, wie schon seine Verwaltung von Kniephof neben
manchen jugendlichen Ausschreitungen zeigte, es immer verstanden, durch Vernach¬
lässigung heruntergekommene Güter mit umsichtigen Blick und richtig zugreifender
Hand wieder emporzubringen, und er zeigt das in Varzin von neuem. Wer das
kann, der wird unter Umständen, d. h. mit der erforderlichen politischen Bildung
und Kenntnis, meist auch befähigt sein, heruntergekommene große Güter oder Herr¬
schaften — ich meine Länder, Völker, Staaten — wieder dahin zu bringen, daß
sie sich mit Ehren sehen lassen können. Auf alle Fälle schärft die Landwirtschaft
in gleichem, vielleicht in noch höherm Grade als die Thätigkeit des Fabrikanten
und das kaufmännische Gewerbe den Blick für die natürlichen Verhältnisse, da sie
vorwiegend mit dem nächstliegenden zu thun hat. Sie lehrt Mögliches rasch vom
Unmöglichen unterscheiden und infolge dessen die Dinge praktisch anfassen. Sie er¬
zieht Realpolitiker im kleinen. Sie läßt unter allen Beschäftigungen am wenigsten
jene kosmopolitische Richtung sich entwickeln, die dem gesunden nationalen Egoismus
in den Weg tritt, welcher die Völker mächtig und reich macht. Sie erfährt in
ihrem Bereich am schnellsten und sichersten, was sich von fremdländischen Gewächs
zur Verpflanzung auf unsern Boden eignet und was nicht, und sie gewöhnt auch
über jenen Bereich hinaus an sachgemäßes Verfahren. Es wäre daher meines Tr¬
achtens gut, wenn die Mehrzahl der Sitze in den Sälen unsrer Landtage und nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/12>, abgerufen am 28.12.2024.