Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Pfisters Mühle. Ich habe eine Vorahnung, daß dich nichts so sehr gegen deine Erlebnisse Geh mir nicht so weit weg, daß ich dich nicht abrufen kann, ruft eben das
es wäre auch ein wirkliches und dazu höchst jämmerliches Wunder, wenn das Wie viele der Stimmen, die mich damals von allen Seiten her riefen, Wahrlich, ich habe nicht bloß die Grundlagen meiner Kenntnis der Römer¬ In den Tagen, von welchen jetzt die Rede ist, schiebt der gelehrte Freund Pfisters Mühle. Ich habe eine Vorahnung, daß dich nichts so sehr gegen deine Erlebnisse Geh mir nicht so weit weg, daß ich dich nicht abrufen kann, ruft eben das
es wäre auch ein wirkliches und dazu höchst jämmerliches Wunder, wenn das Wie viele der Stimmen, die mich damals von allen Seiten her riefen, Wahrlich, ich habe nicht bloß die Grundlagen meiner Kenntnis der Römer¬ In den Tagen, von welchen jetzt die Rede ist, schiebt der gelehrte Freund <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157025"/> <fw type="header" place="top"> Pfisters Mühle.</fw><lb/> <p xml:id="ID_309"> Ich habe eine Vorahnung, daß dich nichts so sehr gegen deine Erlebnisse<lb/> abhärten wird, als eine regelrechte Beschäftigung mit den Wissenschaften, mein<lb/> Junge, sagte mein Vater, und — es ist immer, in diesem Augenblick, noch<lb/> Sommerabend, und Pfisters Mühle in ihrer Glorie, ohne Schaden für Leib und<lb/> Leben in meiner abgehärteten Phantasie. Wie freilich meine Stimmung sein<lb/> würde, ohne Ennnys Arbeitskörbchen auf dem Tische und ihr Taschentuch ans<lb/> der Bank neben mir und ohne die Gewißheit ihres Vorhandenseins in dem stillen<lb/> Hause unter den Kastanien und Linden hinter mir, soll trotz aller Bücher und<lb/> Wissenschaften in der Welt eine offene Frage bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_310"> Geh mir nicht so weit weg, daß ich dich nicht abrufen kann, ruft eben das<lb/> süße Herz im Weißen Küchenschürzchen von meines'Vaters verkauften Hause her;<lb/> ich aber habe wahrlich nicht die Absicht und Neigung, jetzt weit wegzugehen.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> Das Wasser rauschet neben mir hin,<lb/> Als wußt? es, was ich flehte,<lb/> Und nimmermehr will aus dem Sinn<lb/> Mir die verlass'ne Mühle;</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_311"> es wäre auch ein wirkliches und dazu höchst jämmerliches Wunder, wenn das<lb/> trotz allem, was ich auf und vor Schulbänken und Kathedern zur Abhärtung<lb/> des „bessern Bewußtseins" in Erfahrung brachte, möglich sein könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_312"> Wie viele der Stimmen, die mich damals von allen Seiten her riefen,<lb/> können mich heute nicht mehr abrufen! Wie groß die Gefahr für meines Vaters<lb/> Sohn, sich in Stadtkuchen an Dutzenden von Tischen ans Handtaschen und dein<lb/> Papier der gestrigen Zeitung zu überfressen! Und doch gehe ich den geputzten,<lb/> feinen Stadtdamen und den kleinen Fräuleins so gern aus dem Wege und<lb/> ziehe am liebsten in grinsender Dorfblödigkeit den Ärmel unter der Nase her,<lb/> wenn man mir zuwinkt und zulacht und das Behagen und Wohlgefallen an<lb/> Vater Pfister auch auf seinen Sprößling überträgt. Am liebsten halte ich mich<lb/> jetzt bereits so dicht als möglich hinter meinem vor kurzem noch so sehr ge-<lb/> fürchteten. gelehrten lateinischen Freund aus dem Hinterstübchen, und es ist<lb/> möglich, daß ich auch wie er die Hände in die Hosentaschen geschoben halte und<lb/> dasselbe Stück ihm nachsumme oder zwischen den Zähnen pfeife, wie wir uns<lb/> zwischen den Tischen hinschieben und die heutigen Gäste von Pfisters Mühle<lb/> einer mehr oder weniger gemütlichen Betrachtung unterwerfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_313"> Wahrlich, ich habe nicht bloß die Grundlagen meiner Kenntnis der Römer¬<lb/> sprache von meinem, für einen Strich durch sein Kneipkonto, fernerweitige gute<lb/> Verköstigung und ein Taschengeld allmonatlich angeworbenen eigentümlichen<lb/> Mentor! Freilich ist es in damals erst kommenden Jahren, wo ich vollkommen<lb/> einsehen lerne, was alles man in Pfisters Mühle und Garten sehen, lernen, in<lb/> die Erfahrung bringen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_314" next="#ID_315"> In den Tagen, von welchen jetzt die Rede ist, schiebt der gelehrte Freund<lb/> gewöhnlich so rasch als möglich irgendwo einen krassen Fuchs vom Stuhl, schickt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
Pfisters Mühle.
Ich habe eine Vorahnung, daß dich nichts so sehr gegen deine Erlebnisse
abhärten wird, als eine regelrechte Beschäftigung mit den Wissenschaften, mein
Junge, sagte mein Vater, und — es ist immer, in diesem Augenblick, noch
Sommerabend, und Pfisters Mühle in ihrer Glorie, ohne Schaden für Leib und
Leben in meiner abgehärteten Phantasie. Wie freilich meine Stimmung sein
würde, ohne Ennnys Arbeitskörbchen auf dem Tische und ihr Taschentuch ans
der Bank neben mir und ohne die Gewißheit ihres Vorhandenseins in dem stillen
Hause unter den Kastanien und Linden hinter mir, soll trotz aller Bücher und
Wissenschaften in der Welt eine offene Frage bleiben.
Geh mir nicht so weit weg, daß ich dich nicht abrufen kann, ruft eben das
süße Herz im Weißen Küchenschürzchen von meines'Vaters verkauften Hause her;
ich aber habe wahrlich nicht die Absicht und Neigung, jetzt weit wegzugehen.
Das Wasser rauschet neben mir hin,
Als wußt? es, was ich flehte,
Und nimmermehr will aus dem Sinn
Mir die verlass'ne Mühle;
es wäre auch ein wirkliches und dazu höchst jämmerliches Wunder, wenn das
trotz allem, was ich auf und vor Schulbänken und Kathedern zur Abhärtung
des „bessern Bewußtseins" in Erfahrung brachte, möglich sein könnte.
Wie viele der Stimmen, die mich damals von allen Seiten her riefen,
können mich heute nicht mehr abrufen! Wie groß die Gefahr für meines Vaters
Sohn, sich in Stadtkuchen an Dutzenden von Tischen ans Handtaschen und dein
Papier der gestrigen Zeitung zu überfressen! Und doch gehe ich den geputzten,
feinen Stadtdamen und den kleinen Fräuleins so gern aus dem Wege und
ziehe am liebsten in grinsender Dorfblödigkeit den Ärmel unter der Nase her,
wenn man mir zuwinkt und zulacht und das Behagen und Wohlgefallen an
Vater Pfister auch auf seinen Sprößling überträgt. Am liebsten halte ich mich
jetzt bereits so dicht als möglich hinter meinem vor kurzem noch so sehr ge-
fürchteten. gelehrten lateinischen Freund aus dem Hinterstübchen, und es ist
möglich, daß ich auch wie er die Hände in die Hosentaschen geschoben halte und
dasselbe Stück ihm nachsumme oder zwischen den Zähnen pfeife, wie wir uns
zwischen den Tischen hinschieben und die heutigen Gäste von Pfisters Mühle
einer mehr oder weniger gemütlichen Betrachtung unterwerfen.
Wahrlich, ich habe nicht bloß die Grundlagen meiner Kenntnis der Römer¬
sprache von meinem, für einen Strich durch sein Kneipkonto, fernerweitige gute
Verköstigung und ein Taschengeld allmonatlich angeworbenen eigentümlichen
Mentor! Freilich ist es in damals erst kommenden Jahren, wo ich vollkommen
einsehen lerne, was alles man in Pfisters Mühle und Garten sehen, lernen, in
die Erfahrung bringen kann.
In den Tagen, von welchen jetzt die Rede ist, schiebt der gelehrte Freund
gewöhnlich so rasch als möglich irgendwo einen krassen Fuchs vom Stuhl, schickt
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