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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

besieglichste Hemmnis der Anschauung seien, welche man wieder zu verbreiten
wünschte. Dorothea rast und wütet, sobald sie von Goethe spricht. "Goethe
ist in Töplitz gewesen; ich weiß nicht, ob er noch dort ist. Der flüchtet vor
dem äußern Feinde und giebt seine ganze Seele ungehindert dem innern Feinde
preis. Es giebt nicht viele Bücher, die meiner innern Natur so zuwider sind
als seine letzteren, vollends sein sogenanntes Leben! Was er über die Sakra¬
mente und was er über Ihr Werk kund thut, ist doch so bei den Haaren herbei¬
gezogen." (An Sulpiz Boisseree; Wien, den 24. August 1813.) Als Goethe
sich erlaubt, in "Kunst und Altertum" Anschauungen auszusprechen, welche dem
Fanatismus Dorotheas für die altdeutschen Bilder nicht nachkommen, heißt es
gar: "Da ist nun endlich das Kunstadelsdiplvm, was zu erlangen die Boisserees
solange um den alten Heiden herumgeschwenzelt haben. Eine Stelle ist darin
über das Christentum als Gegenstand der Malerei, diese ist nicht allein das
klare, kecke Geständnis seiner antichristlichen Denkart, sondern durch Stil und
Schreibart so über alle Maßen platt und bierbrudergemein, daß ich heftig im
Lesen darüber erschrocken bin; es war mir zumute, als sehe ich einen ver¬
ehrten Mann vollbetrunken herumtaumeln, in Gefahr, sich im Kote zu wälzen. --
Zum Teil kömmt mir das Ganze armutselig und geistesarm vor; zum Teil aber
ist mir durch diese verruchte Entwürdigung der heiligen Geheimnisse auch das
übrige in Asche und Graus verwandelt. Das Ganze ist Lug und Trug!" (An
ihre Söhne, Frankfurt, 3. Juli 1816.)

Keck, platt, bierbrudergemein, geistesarm, verrucht, Lug und Trug und alle
diese Epitheta für den ersten Dichter der Nation, kaum ein Menschenalter,
nachdem tausende von Katholiken den erwärmenden, belebenden Hauch der edelsten
Bildung empfangen und empfunden und sich in Einklang mit den reinsten
Resultaten der deutschen Literaturentwicklung gesetzt hatten -- es war viel auf
einmal, es war leider nur zu charakteristisch für die Stellung, welche der neue,
mit den Restaurationen von 1814 und 1815 mächtig erstarkende Ultramontanis¬
mus zum deutschen Geistesleben überhaupt nahm. Die Konvertiten drückten die
Gesinnung aus, welche die Katholiken zur Zeit nicht hegten, welche ihnen aber
demnächst wieder auferlegt werden sollte. Wenn sich einer der neuen Wort¬
führer dahin äußerte, daß man einem Dalberg leichter seine politischen Sünden
der Rheinbundszeit als sein geistiges Kokettiren mit Schiller und Herder ver¬
zeihen könne, so blieb dies bald nicht mehr der Ausspruch eines vereinzelten Fana¬
tikers. Und die poetisch produktiven Romantiker der zweiten Generation sahen
gleichsam Schritt für Schritt in Pfade gedrängt, denen sie anfänglich mit dem
sich feinsten Instinkt ihres Talents und ihrer Bildung ausgewichen waren.

Auch Zacharias Werner, der Dichter der Schicksalstragödie "Der vier-
undzwanzigste Februar" und jener Tragödien, die eine Übersteigerung und in
gewissem Sinne eine Karikatur der letzten Schillerschen Dramen darstellten
("Die Söhne des Thals," "Das Kreuz an der Ostsee," "Die Weihe der Kraft,"


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

besieglichste Hemmnis der Anschauung seien, welche man wieder zu verbreiten
wünschte. Dorothea rast und wütet, sobald sie von Goethe spricht. „Goethe
ist in Töplitz gewesen; ich weiß nicht, ob er noch dort ist. Der flüchtet vor
dem äußern Feinde und giebt seine ganze Seele ungehindert dem innern Feinde
preis. Es giebt nicht viele Bücher, die meiner innern Natur so zuwider sind
als seine letzteren, vollends sein sogenanntes Leben! Was er über die Sakra¬
mente und was er über Ihr Werk kund thut, ist doch so bei den Haaren herbei¬
gezogen." (An Sulpiz Boisseree; Wien, den 24. August 1813.) Als Goethe
sich erlaubt, in „Kunst und Altertum" Anschauungen auszusprechen, welche dem
Fanatismus Dorotheas für die altdeutschen Bilder nicht nachkommen, heißt es
gar: „Da ist nun endlich das Kunstadelsdiplvm, was zu erlangen die Boisserees
solange um den alten Heiden herumgeschwenzelt haben. Eine Stelle ist darin
über das Christentum als Gegenstand der Malerei, diese ist nicht allein das
klare, kecke Geständnis seiner antichristlichen Denkart, sondern durch Stil und
Schreibart so über alle Maßen platt und bierbrudergemein, daß ich heftig im
Lesen darüber erschrocken bin; es war mir zumute, als sehe ich einen ver¬
ehrten Mann vollbetrunken herumtaumeln, in Gefahr, sich im Kote zu wälzen. —
Zum Teil kömmt mir das Ganze armutselig und geistesarm vor; zum Teil aber
ist mir durch diese verruchte Entwürdigung der heiligen Geheimnisse auch das
übrige in Asche und Graus verwandelt. Das Ganze ist Lug und Trug!" (An
ihre Söhne, Frankfurt, 3. Juli 1816.)

Keck, platt, bierbrudergemein, geistesarm, verrucht, Lug und Trug und alle
diese Epitheta für den ersten Dichter der Nation, kaum ein Menschenalter,
nachdem tausende von Katholiken den erwärmenden, belebenden Hauch der edelsten
Bildung empfangen und empfunden und sich in Einklang mit den reinsten
Resultaten der deutschen Literaturentwicklung gesetzt hatten — es war viel auf
einmal, es war leider nur zu charakteristisch für die Stellung, welche der neue,
mit den Restaurationen von 1814 und 1815 mächtig erstarkende Ultramontanis¬
mus zum deutschen Geistesleben überhaupt nahm. Die Konvertiten drückten die
Gesinnung aus, welche die Katholiken zur Zeit nicht hegten, welche ihnen aber
demnächst wieder auferlegt werden sollte. Wenn sich einer der neuen Wort¬
führer dahin äußerte, daß man einem Dalberg leichter seine politischen Sünden
der Rheinbundszeit als sein geistiges Kokettiren mit Schiller und Herder ver¬
zeihen könne, so blieb dies bald nicht mehr der Ausspruch eines vereinzelten Fana¬
tikers. Und die poetisch produktiven Romantiker der zweiten Generation sahen
gleichsam Schritt für Schritt in Pfade gedrängt, denen sie anfänglich mit dem
sich feinsten Instinkt ihres Talents und ihrer Bildung ausgewichen waren.

Auch Zacharias Werner, der Dichter der Schicksalstragödie „Der vier-
undzwanzigste Februar" und jener Tragödien, die eine Übersteigerung und in
gewissem Sinne eine Karikatur der letzten Schillerschen Dramen darstellten
(„Die Söhne des Thals," „Das Kreuz an der Ostsee," „Die Weihe der Kraft,"


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[0094] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. besieglichste Hemmnis der Anschauung seien, welche man wieder zu verbreiten wünschte. Dorothea rast und wütet, sobald sie von Goethe spricht. „Goethe ist in Töplitz gewesen; ich weiß nicht, ob er noch dort ist. Der flüchtet vor dem äußern Feinde und giebt seine ganze Seele ungehindert dem innern Feinde preis. Es giebt nicht viele Bücher, die meiner innern Natur so zuwider sind als seine letzteren, vollends sein sogenanntes Leben! Was er über die Sakra¬ mente und was er über Ihr Werk kund thut, ist doch so bei den Haaren herbei¬ gezogen." (An Sulpiz Boisseree; Wien, den 24. August 1813.) Als Goethe sich erlaubt, in „Kunst und Altertum" Anschauungen auszusprechen, welche dem Fanatismus Dorotheas für die altdeutschen Bilder nicht nachkommen, heißt es gar: „Da ist nun endlich das Kunstadelsdiplvm, was zu erlangen die Boisserees solange um den alten Heiden herumgeschwenzelt haben. Eine Stelle ist darin über das Christentum als Gegenstand der Malerei, diese ist nicht allein das klare, kecke Geständnis seiner antichristlichen Denkart, sondern durch Stil und Schreibart so über alle Maßen platt und bierbrudergemein, daß ich heftig im Lesen darüber erschrocken bin; es war mir zumute, als sehe ich einen ver¬ ehrten Mann vollbetrunken herumtaumeln, in Gefahr, sich im Kote zu wälzen. — Zum Teil kömmt mir das Ganze armutselig und geistesarm vor; zum Teil aber ist mir durch diese verruchte Entwürdigung der heiligen Geheimnisse auch das übrige in Asche und Graus verwandelt. Das Ganze ist Lug und Trug!" (An ihre Söhne, Frankfurt, 3. Juli 1816.) Keck, platt, bierbrudergemein, geistesarm, verrucht, Lug und Trug und alle diese Epitheta für den ersten Dichter der Nation, kaum ein Menschenalter, nachdem tausende von Katholiken den erwärmenden, belebenden Hauch der edelsten Bildung empfangen und empfunden und sich in Einklang mit den reinsten Resultaten der deutschen Literaturentwicklung gesetzt hatten — es war viel auf einmal, es war leider nur zu charakteristisch für die Stellung, welche der neue, mit den Restaurationen von 1814 und 1815 mächtig erstarkende Ultramontanis¬ mus zum deutschen Geistesleben überhaupt nahm. Die Konvertiten drückten die Gesinnung aus, welche die Katholiken zur Zeit nicht hegten, welche ihnen aber demnächst wieder auferlegt werden sollte. Wenn sich einer der neuen Wort¬ führer dahin äußerte, daß man einem Dalberg leichter seine politischen Sünden der Rheinbundszeit als sein geistiges Kokettiren mit Schiller und Herder ver¬ zeihen könne, so blieb dies bald nicht mehr der Ausspruch eines vereinzelten Fana¬ tikers. Und die poetisch produktiven Romantiker der zweiten Generation sahen gleichsam Schritt für Schritt in Pfade gedrängt, denen sie anfänglich mit dem sich feinsten Instinkt ihres Talents und ihrer Bildung ausgewichen waren. Auch Zacharias Werner, der Dichter der Schicksalstragödie „Der vier- undzwanzigste Februar" und jener Tragödien, die eine Übersteigerung und in gewissem Sinne eine Karikatur der letzten Schillerschen Dramen darstellten („Die Söhne des Thals," „Das Kreuz an der Ostsee," „Die Weihe der Kraft,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/94>, abgerufen am 27.06.2024.