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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Die gebornen Katholiken unter den deutschen Dichtern, welche sich dem
großen Entwicklungszuge unsrer Literatur angeschlossen hatten, trugen zunächst
kein konfessionelles Element, am wenigsten konfessionelle Polemik wieder in die
Dichtung. Bei Grillparzer z, B. tritt der Katholik nur da zutage, wo er sich
(und das doch auch aus vorwiegend ästhetischen Gründen) an Lope de Vega
anschließt. Aber mit dem ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts be¬
ginnt die spezifisch katholische, die ultramontane Tendenz in einem Teile der
deutschen Dichtung wieder aufzuleben, nicht durch die gebornen Katholiken,
sondern durch die Konvertiten. Rasch aufeinander erfolgten die Rücktritte des
Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg und des Ehepaars Friedrich und
Dorothea Schlegel zur alten Kirche, die innere Verwandtschaft gewisser Ele¬
mente der Sturm- und Drangperiode und der Romantik zum Überfluß erweisend
Wohl lag die poetisch produktive Thätigkeit beinahe soweit wie die Tage des
Göttinger Hainbundes hinter dem Grafen Friedrich Leopold Stolberg, als er
seinen Übertritt vollzog, wohl nahm das poetische Schaffen Friedrich Schlegels,
das selten innerlich lebensvoll und niemals erquicklich gewesen war, durch seine
Unterwerfung unter die "Macht der Objektivität" keinen neuen Aufschwung.
Aber gegeben war doch die Losung, daß nur im unbedingten Anschluß des Dick¬
ters an die Kirche das Heil für die Poesie liege, wiedcrvertundet ward der alte
Grundsatz, daß es nur ein wahrhaft Schönes, die Wirkung des Glaubens im
menschlichen Geist, gebe. Eingekleidet wurde die neue Forderung zunächst in
einen Appell an den höchsten Idealismus. Aber nur zu rasch schaute aus diesem
Idealismus die bedenklichste Einseitigkeit heraus. "Alles, was der Menschen
Kunst und Empfindung hervorbringt, das soll dazu dienen, des Herrn Dienst
zu verherrlichen und ein ewiges Gut der ewigen Kirche sein und bleiben. Da,
wo alle Kraft herkommt, von Gott, dort soll sie auch wieder zurückströmen; jeder
andre Gebrauch zu vorübergehender Eitelkeit der Menschenleiber und Leben ist
unheilig und des göttlichen Ursprungs nicht würdig," schrieb Dorothea Schlegel
wenige Monate nach ihres Gatten und ihrem eignen Übertritt an ihre Söhne.
(Naich, Dorotha Schlegel, Bd. 1, S. 317.) Und wie rasch sich zu dieser Em¬
pfindung die ganze inquisitorische Härte, Unduldsamkeit und die Neigung für
jede Art Geisteszwang gesellten, davon legen die Briefe der geistvollen Frau
vvllgiltig Zeugnis ab. Im Oktober 1810 wurde in Wien Klingemauus Drama
"Kolumbus" gegeben, erbittert berichtete Dorothea an Friedrich Schlegel; (Wien,
3. Oktober 1810): "Hätte man Ehre und ein Gewissen vor Gott, so führte
man jetzt nicht Schauspiele auf, worin die Spanier, die katholische Religion
und der Papst verächtlich gemacht werden. Kolumbus ist hier als eine Art
von Naturalist vorgestellt, und alles, was ans die katholische Religion bezug
hat, teils lächerlich, teils gehässig dargestellt." Und die vollste Schale der
Erbitterung und des Hasses wird über Goethes Haupt ergossen, weil man in
den Kreisen der Konvertiten wohl fühlte, daß er und seine Dichtung das un-


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Die gebornen Katholiken unter den deutschen Dichtern, welche sich dem
großen Entwicklungszuge unsrer Literatur angeschlossen hatten, trugen zunächst
kein konfessionelles Element, am wenigsten konfessionelle Polemik wieder in die
Dichtung. Bei Grillparzer z, B. tritt der Katholik nur da zutage, wo er sich
(und das doch auch aus vorwiegend ästhetischen Gründen) an Lope de Vega
anschließt. Aber mit dem ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts be¬
ginnt die spezifisch katholische, die ultramontane Tendenz in einem Teile der
deutschen Dichtung wieder aufzuleben, nicht durch die gebornen Katholiken,
sondern durch die Konvertiten. Rasch aufeinander erfolgten die Rücktritte des
Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg und des Ehepaars Friedrich und
Dorothea Schlegel zur alten Kirche, die innere Verwandtschaft gewisser Ele¬
mente der Sturm- und Drangperiode und der Romantik zum Überfluß erweisend
Wohl lag die poetisch produktive Thätigkeit beinahe soweit wie die Tage des
Göttinger Hainbundes hinter dem Grafen Friedrich Leopold Stolberg, als er
seinen Übertritt vollzog, wohl nahm das poetische Schaffen Friedrich Schlegels,
das selten innerlich lebensvoll und niemals erquicklich gewesen war, durch seine
Unterwerfung unter die „Macht der Objektivität" keinen neuen Aufschwung.
Aber gegeben war doch die Losung, daß nur im unbedingten Anschluß des Dick¬
ters an die Kirche das Heil für die Poesie liege, wiedcrvertundet ward der alte
Grundsatz, daß es nur ein wahrhaft Schönes, die Wirkung des Glaubens im
menschlichen Geist, gebe. Eingekleidet wurde die neue Forderung zunächst in
einen Appell an den höchsten Idealismus. Aber nur zu rasch schaute aus diesem
Idealismus die bedenklichste Einseitigkeit heraus. „Alles, was der Menschen
Kunst und Empfindung hervorbringt, das soll dazu dienen, des Herrn Dienst
zu verherrlichen und ein ewiges Gut der ewigen Kirche sein und bleiben. Da,
wo alle Kraft herkommt, von Gott, dort soll sie auch wieder zurückströmen; jeder
andre Gebrauch zu vorübergehender Eitelkeit der Menschenleiber und Leben ist
unheilig und des göttlichen Ursprungs nicht würdig," schrieb Dorothea Schlegel
wenige Monate nach ihres Gatten und ihrem eignen Übertritt an ihre Söhne.
(Naich, Dorotha Schlegel, Bd. 1, S. 317.) Und wie rasch sich zu dieser Em¬
pfindung die ganze inquisitorische Härte, Unduldsamkeit und die Neigung für
jede Art Geisteszwang gesellten, davon legen die Briefe der geistvollen Frau
vvllgiltig Zeugnis ab. Im Oktober 1810 wurde in Wien Klingemauus Drama
„Kolumbus" gegeben, erbittert berichtete Dorothea an Friedrich Schlegel; (Wien,
3. Oktober 1810): „Hätte man Ehre und ein Gewissen vor Gott, so führte
man jetzt nicht Schauspiele auf, worin die Spanier, die katholische Religion
und der Papst verächtlich gemacht werden. Kolumbus ist hier als eine Art
von Naturalist vorgestellt, und alles, was ans die katholische Religion bezug
hat, teils lächerlich, teils gehässig dargestellt." Und die vollste Schale der
Erbitterung und des Hasses wird über Goethes Haupt ergossen, weil man in
den Kreisen der Konvertiten wohl fühlte, daß er und seine Dichtung das un-


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[0093] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. Die gebornen Katholiken unter den deutschen Dichtern, welche sich dem großen Entwicklungszuge unsrer Literatur angeschlossen hatten, trugen zunächst kein konfessionelles Element, am wenigsten konfessionelle Polemik wieder in die Dichtung. Bei Grillparzer z, B. tritt der Katholik nur da zutage, wo er sich (und das doch auch aus vorwiegend ästhetischen Gründen) an Lope de Vega anschließt. Aber mit dem ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts be¬ ginnt die spezifisch katholische, die ultramontane Tendenz in einem Teile der deutschen Dichtung wieder aufzuleben, nicht durch die gebornen Katholiken, sondern durch die Konvertiten. Rasch aufeinander erfolgten die Rücktritte des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg und des Ehepaars Friedrich und Dorothea Schlegel zur alten Kirche, die innere Verwandtschaft gewisser Ele¬ mente der Sturm- und Drangperiode und der Romantik zum Überfluß erweisend Wohl lag die poetisch produktive Thätigkeit beinahe soweit wie die Tage des Göttinger Hainbundes hinter dem Grafen Friedrich Leopold Stolberg, als er seinen Übertritt vollzog, wohl nahm das poetische Schaffen Friedrich Schlegels, das selten innerlich lebensvoll und niemals erquicklich gewesen war, durch seine Unterwerfung unter die „Macht der Objektivität" keinen neuen Aufschwung. Aber gegeben war doch die Losung, daß nur im unbedingten Anschluß des Dick¬ ters an die Kirche das Heil für die Poesie liege, wiedcrvertundet ward der alte Grundsatz, daß es nur ein wahrhaft Schönes, die Wirkung des Glaubens im menschlichen Geist, gebe. Eingekleidet wurde die neue Forderung zunächst in einen Appell an den höchsten Idealismus. Aber nur zu rasch schaute aus diesem Idealismus die bedenklichste Einseitigkeit heraus. „Alles, was der Menschen Kunst und Empfindung hervorbringt, das soll dazu dienen, des Herrn Dienst zu verherrlichen und ein ewiges Gut der ewigen Kirche sein und bleiben. Da, wo alle Kraft herkommt, von Gott, dort soll sie auch wieder zurückströmen; jeder andre Gebrauch zu vorübergehender Eitelkeit der Menschenleiber und Leben ist unheilig und des göttlichen Ursprungs nicht würdig," schrieb Dorothea Schlegel wenige Monate nach ihres Gatten und ihrem eignen Übertritt an ihre Söhne. (Naich, Dorotha Schlegel, Bd. 1, S. 317.) Und wie rasch sich zu dieser Em¬ pfindung die ganze inquisitorische Härte, Unduldsamkeit und die Neigung für jede Art Geisteszwang gesellten, davon legen die Briefe der geistvollen Frau vvllgiltig Zeugnis ab. Im Oktober 1810 wurde in Wien Klingemauus Drama „Kolumbus" gegeben, erbittert berichtete Dorothea an Friedrich Schlegel; (Wien, 3. Oktober 1810): „Hätte man Ehre und ein Gewissen vor Gott, so führte man jetzt nicht Schauspiele auf, worin die Spanier, die katholische Religion und der Papst verächtlich gemacht werden. Kolumbus ist hier als eine Art von Naturalist vorgestellt, und alles, was ans die katholische Religion bezug hat, teils lächerlich, teils gehässig dargestellt." Und die vollste Schale der Erbitterung und des Hasses wird über Goethes Haupt ergossen, weil man in den Kreisen der Konvertiten wohl fühlte, daß er und seine Dichtung das un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/93>, abgerufen am 20.09.2024.