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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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August von Jochmus' Schriften.

Österreich ergänzen sich gegenseitig, und eine Trennung oder, was auf eins
hinausläuft, eine Zweiteilung wäre ein noch größeres Unglück für Kleindeutsch-
land als Österreich, denn dieses kann im Falle der Not für sich selbst be¬
stehen. . . Ich bleibe bei meiner Ansicht: Staatenbund oder Anarchie. Der
Erfurter Schwank wird hieran nichts ändern... Preußen ist ein Emporschö߬
ling, eine Art Treibhauspflanze. Seine Konformativn ist schlecht, es muß sich
verdicken. . . Ich habe mich dieses vulgären Ausdrucks seit vielen Jahren be¬
dient, um nicht den edleren der Eroberung zu gebrauchen. Ist man aber auch
geneigt, das Bedürfnis der projektirten direkten oder indirekten Verdickung eines
schlechtkoustruirten Leibes anzuerkennen, so bleiben dennoch die angewandten
Mittel falsch und gefährlich. Man spricht nicht mit einer parlamentarischen
Maschine, wie die in Erfurt errichtete. Der König von Preußen ist ein prin¬
zipieller Mensch; er will das Gute und Rechte, aber er verirrt sich im Drange
des Gefühls und der Geschäfte. Er will z. V. von Berlin nach Se. Peters¬
burg, uach acht Tagen aber findet er zu seinem Erstaunen, das man ihn auf
den Weg nach Madrid geführt hat. Er ist dann ehrlich genug, um umzukehren,
daher denn aber auch das ewige leidige Schwanken der preußischen Politik.
Radowitz ist ebenfalls ein prinzipieller Mensch, aber im Gegensatze zum Könige,
der sich im Gebiete der Gefühlspolitik verläuft, ist der General rein dvktrinell
zu nennen."

Wiederholt nannte der Fürst damals von der Pfordten und Stüve "die
bedeutendsten unter den Ministern der kleinern deutschen Staaten." "Es bedarf,
äußerte er ferner, frischer und jüngerer Kräfte für die Reorganisation Deutsch¬
lands. Die Menschen werden alt, mir die Kanonen nützen sich nicht so leicht
ab." Den Prinzen Albert, den Gemahl der Königin Viktoria, bezeichnete
Metternich als einen reinen Ideologen unter dem Einflüsse zweier Freunde und
Faiseurs des Herrn Bunsen, womit er Meyer, den Sekretär des Prinzen, und
den bekannten Baron Stockmar meinte. Palmerstons große Politik verurteilte
er, indem er bemerkte, die "hohe und eigentliche Diplomatie sei ein Richteramt,
Palmerston aber ein advokatorischer Geist." Vom alten Freiherrn von Gagern
sagte er: "Der alte Gagern ist ein Vielwisser, ein Jdeolog, aber zugleich ein
Schwätzer und Spekulant, der über seinen sogenannten patriotischen Projekten
nie seine persönlichen, namentlich seine pekuniären Interessen vergaß. Vor
Jahren schickte er mir ein Memoire über die deutschen Angelegenheiten zu, in
welchem er in gutgeschriebener, aber ellenlanger Auseinandersetzung nachwies,
was er mir ebensogut in sechs Zeilen hätte sagen können, nämlich daß das Heil
Deutschlands in der uneigennützigen Verständigung Österreichs, Preußens und
Baierns über die gemeinsamen Zwecke und Interessen des Gesamtvaterlandes
läge. Diese Wahrheit wird niemand bestreiten. Der Zweck der Denkschrift war
also gut; welches spezielle Mittel aber schlug Gagern zur Erreichung desselben
vor? Die Anstellung seiner drei Sohne in den drei Staatsdiensten Österreichs,


August von Jochmus' Schriften.

Österreich ergänzen sich gegenseitig, und eine Trennung oder, was auf eins
hinausläuft, eine Zweiteilung wäre ein noch größeres Unglück für Kleindeutsch-
land als Österreich, denn dieses kann im Falle der Not für sich selbst be¬
stehen. . . Ich bleibe bei meiner Ansicht: Staatenbund oder Anarchie. Der
Erfurter Schwank wird hieran nichts ändern... Preußen ist ein Emporschö߬
ling, eine Art Treibhauspflanze. Seine Konformativn ist schlecht, es muß sich
verdicken. . . Ich habe mich dieses vulgären Ausdrucks seit vielen Jahren be¬
dient, um nicht den edleren der Eroberung zu gebrauchen. Ist man aber auch
geneigt, das Bedürfnis der projektirten direkten oder indirekten Verdickung eines
schlechtkoustruirten Leibes anzuerkennen, so bleiben dennoch die angewandten
Mittel falsch und gefährlich. Man spricht nicht mit einer parlamentarischen
Maschine, wie die in Erfurt errichtete. Der König von Preußen ist ein prin¬
zipieller Mensch; er will das Gute und Rechte, aber er verirrt sich im Drange
des Gefühls und der Geschäfte. Er will z. V. von Berlin nach Se. Peters¬
burg, uach acht Tagen aber findet er zu seinem Erstaunen, das man ihn auf
den Weg nach Madrid geführt hat. Er ist dann ehrlich genug, um umzukehren,
daher denn aber auch das ewige leidige Schwanken der preußischen Politik.
Radowitz ist ebenfalls ein prinzipieller Mensch, aber im Gegensatze zum Könige,
der sich im Gebiete der Gefühlspolitik verläuft, ist der General rein dvktrinell
zu nennen."

Wiederholt nannte der Fürst damals von der Pfordten und Stüve „die
bedeutendsten unter den Ministern der kleinern deutschen Staaten." „Es bedarf,
äußerte er ferner, frischer und jüngerer Kräfte für die Reorganisation Deutsch¬
lands. Die Menschen werden alt, mir die Kanonen nützen sich nicht so leicht
ab." Den Prinzen Albert, den Gemahl der Königin Viktoria, bezeichnete
Metternich als einen reinen Ideologen unter dem Einflüsse zweier Freunde und
Faiseurs des Herrn Bunsen, womit er Meyer, den Sekretär des Prinzen, und
den bekannten Baron Stockmar meinte. Palmerstons große Politik verurteilte
er, indem er bemerkte, die „hohe und eigentliche Diplomatie sei ein Richteramt,
Palmerston aber ein advokatorischer Geist." Vom alten Freiherrn von Gagern
sagte er: „Der alte Gagern ist ein Vielwisser, ein Jdeolog, aber zugleich ein
Schwätzer und Spekulant, der über seinen sogenannten patriotischen Projekten
nie seine persönlichen, namentlich seine pekuniären Interessen vergaß. Vor
Jahren schickte er mir ein Memoire über die deutschen Angelegenheiten zu, in
welchem er in gutgeschriebener, aber ellenlanger Auseinandersetzung nachwies,
was er mir ebensogut in sechs Zeilen hätte sagen können, nämlich daß das Heil
Deutschlands in der uneigennützigen Verständigung Österreichs, Preußens und
Baierns über die gemeinsamen Zwecke und Interessen des Gesamtvaterlandes
läge. Diese Wahrheit wird niemand bestreiten. Der Zweck der Denkschrift war
also gut; welches spezielle Mittel aber schlug Gagern zur Erreichung desselben
vor? Die Anstellung seiner drei Sohne in den drei Staatsdiensten Österreichs,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/87>, abgerufen am 27.06.2024.