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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Wirtschaftsbetrieb des Staates.

hervor. Auf welche Grunde hin dieser Gedanken bei den neuerdings gepflogenen
Verhandlungen im Reichstage gescheitert ist, lebt noch in aller Erinnerung.
Wir enthalten uns hier jedes Urteils darüber.

Eine weitere Angelegenheit, bei welcher man die Frage über die Berech¬
tigung eines Wirtschaftsbetriebes des Staates hineingezogen hat, ist die jetzt
glücklich zum Abschluß gelangte Unfallversicherung. Auch dieser be¬
gegnete man mit dem Satze, daß der Staat Gewerbe nicht betreiben dürfe,
und deshalb sollten um jeden Preis die Privatversicherungen aufrechterhalten
werden. Wohl selten ist von jenem Satze eine verkehrtere Anwendung gemacht
worden. Wenn der Staat die Verpflichtung übernimmt, für die verunglückten
Arbeiter zu sorgen, und dafür namhafte Geldopfer fordert, so kann er unmög¬
lich die Gewähr der Erfüllung dieser Verpflichtung dem Privatverkehr über¬
lassen. Und einem so großartigen sozialen Gedanken hätte man doch wahr¬
lich nicht mit der kleinlichen Frage entgegentreten sollen: "Aber wo bleiben
denn unsre Kapitalisten?" Ebensogut hätte mau, als jüngst im Reich und
in Preußen Pensionsgesetze für die Hinterbliebenen der Beamten geschaffen
wurden, fordern können, der Staat solle die Pensionszahlung durch Einsatz
bei einer der Lebensversicherungsgesellschaften erwirken, damit diese doch nichts
verlören.

Man hat sich in neuester Zeit auch mit der Sorge getragen, daß das
Versicherungswesen überhaupt vom Reiche mit "Verstaatlichung" bedroht sei. Wir
glauben nicht, daß dies in Absicht liegt. An und für sich aber würden wir nichts
dabei finden, wenn das Reich oder ein Staat irgendeinen Zweig der Versiche¬
rung, bei welchem ein schwerwiegendes öffentliches Interesse obwaltet, seinerseits
in die Hand nähme. Selbstverständlich konnte dies nur geschehen im Gegensatz
zu den auf Spekulation gegründeten Gesellschaften, also nur zum Zweck der
Organisation eines Gegenseitigkeitsbetriebes. Jedes staatsseitige Unternehmen
eines derartigen Geschäftes als eines auf Gewinn berechneten würde völlig
verwerflich sein. Zur Zeit bestehen bereits viele öffentliche Feuerversicherungs-
gesellschafteu, welche teils kleinere Staaten, teils Provinzen und Städte, öfters
schon im vorigen Jahrhundert, für ihre Angehörigen errichtet haben. Gereicht
ihnen das zum Vorwurf? Sicherlich nicht! Daß ein öffentlicher Verband durch
seine Beamten eine solche Anstalt nicht ebensogut verwalten könnte wie eine
Privatgesellschaft, die ja auch der Beamten bedarf, ist doch schwerlich zu be¬
haupten.

Eine der eingangs gedachten Reden Wagners regte noch besonders dadurch
die öffentliche Meinung auf, daß man am Schlüsse derselben auch mit einer
Verstaatlichung des Kredits gedroht fand. Aber erwäge man nur, was
allein damit gemeint sein kann. Bestehen denn nicht schon jetzt in Deutschland
zahlreiche öffentliche Kreditinstitute, welche die Aufgabe einer Verstaatlichung
des Kredits erfüllen? Wir unterlassen es, auf einzelne dieser Institute als


Der Wirtschaftsbetrieb des Staates.

hervor. Auf welche Grunde hin dieser Gedanken bei den neuerdings gepflogenen
Verhandlungen im Reichstage gescheitert ist, lebt noch in aller Erinnerung.
Wir enthalten uns hier jedes Urteils darüber.

Eine weitere Angelegenheit, bei welcher man die Frage über die Berech¬
tigung eines Wirtschaftsbetriebes des Staates hineingezogen hat, ist die jetzt
glücklich zum Abschluß gelangte Unfallversicherung. Auch dieser be¬
gegnete man mit dem Satze, daß der Staat Gewerbe nicht betreiben dürfe,
und deshalb sollten um jeden Preis die Privatversicherungen aufrechterhalten
werden. Wohl selten ist von jenem Satze eine verkehrtere Anwendung gemacht
worden. Wenn der Staat die Verpflichtung übernimmt, für die verunglückten
Arbeiter zu sorgen, und dafür namhafte Geldopfer fordert, so kann er unmög¬
lich die Gewähr der Erfüllung dieser Verpflichtung dem Privatverkehr über¬
lassen. Und einem so großartigen sozialen Gedanken hätte man doch wahr¬
lich nicht mit der kleinlichen Frage entgegentreten sollen: „Aber wo bleiben
denn unsre Kapitalisten?" Ebensogut hätte mau, als jüngst im Reich und
in Preußen Pensionsgesetze für die Hinterbliebenen der Beamten geschaffen
wurden, fordern können, der Staat solle die Pensionszahlung durch Einsatz
bei einer der Lebensversicherungsgesellschaften erwirken, damit diese doch nichts
verlören.

Man hat sich in neuester Zeit auch mit der Sorge getragen, daß das
Versicherungswesen überhaupt vom Reiche mit „Verstaatlichung" bedroht sei. Wir
glauben nicht, daß dies in Absicht liegt. An und für sich aber würden wir nichts
dabei finden, wenn das Reich oder ein Staat irgendeinen Zweig der Versiche¬
rung, bei welchem ein schwerwiegendes öffentliches Interesse obwaltet, seinerseits
in die Hand nähme. Selbstverständlich konnte dies nur geschehen im Gegensatz
zu den auf Spekulation gegründeten Gesellschaften, also nur zum Zweck der
Organisation eines Gegenseitigkeitsbetriebes. Jedes staatsseitige Unternehmen
eines derartigen Geschäftes als eines auf Gewinn berechneten würde völlig
verwerflich sein. Zur Zeit bestehen bereits viele öffentliche Feuerversicherungs-
gesellschafteu, welche teils kleinere Staaten, teils Provinzen und Städte, öfters
schon im vorigen Jahrhundert, für ihre Angehörigen errichtet haben. Gereicht
ihnen das zum Vorwurf? Sicherlich nicht! Daß ein öffentlicher Verband durch
seine Beamten eine solche Anstalt nicht ebensogut verwalten könnte wie eine
Privatgesellschaft, die ja auch der Beamten bedarf, ist doch schwerlich zu be¬
haupten.

Eine der eingangs gedachten Reden Wagners regte noch besonders dadurch
die öffentliche Meinung auf, daß man am Schlüsse derselben auch mit einer
Verstaatlichung des Kredits gedroht fand. Aber erwäge man nur, was
allein damit gemeint sein kann. Bestehen denn nicht schon jetzt in Deutschland
zahlreiche öffentliche Kreditinstitute, welche die Aufgabe einer Verstaatlichung
des Kredits erfüllen? Wir unterlassen es, auf einzelne dieser Institute als


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[0078] Der Wirtschaftsbetrieb des Staates. hervor. Auf welche Grunde hin dieser Gedanken bei den neuerdings gepflogenen Verhandlungen im Reichstage gescheitert ist, lebt noch in aller Erinnerung. Wir enthalten uns hier jedes Urteils darüber. Eine weitere Angelegenheit, bei welcher man die Frage über die Berech¬ tigung eines Wirtschaftsbetriebes des Staates hineingezogen hat, ist die jetzt glücklich zum Abschluß gelangte Unfallversicherung. Auch dieser be¬ gegnete man mit dem Satze, daß der Staat Gewerbe nicht betreiben dürfe, und deshalb sollten um jeden Preis die Privatversicherungen aufrechterhalten werden. Wohl selten ist von jenem Satze eine verkehrtere Anwendung gemacht worden. Wenn der Staat die Verpflichtung übernimmt, für die verunglückten Arbeiter zu sorgen, und dafür namhafte Geldopfer fordert, so kann er unmög¬ lich die Gewähr der Erfüllung dieser Verpflichtung dem Privatverkehr über¬ lassen. Und einem so großartigen sozialen Gedanken hätte man doch wahr¬ lich nicht mit der kleinlichen Frage entgegentreten sollen: „Aber wo bleiben denn unsre Kapitalisten?" Ebensogut hätte mau, als jüngst im Reich und in Preußen Pensionsgesetze für die Hinterbliebenen der Beamten geschaffen wurden, fordern können, der Staat solle die Pensionszahlung durch Einsatz bei einer der Lebensversicherungsgesellschaften erwirken, damit diese doch nichts verlören. Man hat sich in neuester Zeit auch mit der Sorge getragen, daß das Versicherungswesen überhaupt vom Reiche mit „Verstaatlichung" bedroht sei. Wir glauben nicht, daß dies in Absicht liegt. An und für sich aber würden wir nichts dabei finden, wenn das Reich oder ein Staat irgendeinen Zweig der Versiche¬ rung, bei welchem ein schwerwiegendes öffentliches Interesse obwaltet, seinerseits in die Hand nähme. Selbstverständlich konnte dies nur geschehen im Gegensatz zu den auf Spekulation gegründeten Gesellschaften, also nur zum Zweck der Organisation eines Gegenseitigkeitsbetriebes. Jedes staatsseitige Unternehmen eines derartigen Geschäftes als eines auf Gewinn berechneten würde völlig verwerflich sein. Zur Zeit bestehen bereits viele öffentliche Feuerversicherungs- gesellschafteu, welche teils kleinere Staaten, teils Provinzen und Städte, öfters schon im vorigen Jahrhundert, für ihre Angehörigen errichtet haben. Gereicht ihnen das zum Vorwurf? Sicherlich nicht! Daß ein öffentlicher Verband durch seine Beamten eine solche Anstalt nicht ebensogut verwalten könnte wie eine Privatgesellschaft, die ja auch der Beamten bedarf, ist doch schwerlich zu be¬ haupten. Eine der eingangs gedachten Reden Wagners regte noch besonders dadurch die öffentliche Meinung auf, daß man am Schlüsse derselben auch mit einer Verstaatlichung des Kredits gedroht fand. Aber erwäge man nur, was allein damit gemeint sein kann. Bestehen denn nicht schon jetzt in Deutschland zahlreiche öffentliche Kreditinstitute, welche die Aufgabe einer Verstaatlichung des Kredits erfüllen? Wir unterlassen es, auf einzelne dieser Institute als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/78>, abgerufen am 27.06.2024.