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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

Golde trägt, zur Estrade empor. Im Hintergründe sieht mein eine bedeckte
Tribüne oder Laube, welche dicht mit Zuschauern besetzt ist. So ist die ganze
riesige Leinwand bis obenhin gefüllt. Wo nur ein Fleckchen leer war, hat der
Künstler noch einen Kopf und ein Gewandstück hiugemcilt. Rot in verschiednen
Schattirungen, ein grelles Gelb und Schwarz, die Lieblingsfarben des Malers,
herrschen auch auf diesem Bilde vor. Namentlich spielt das Rot eine so vor¬
laute Rolle, daß von einer feinen und vornehmen Farbenstimmung umsoweniger
die Rede sein kann, als das versöhnende und Harmonisirende Element der Luft
für Matejko nicht existirt. Dieses Jgnoriren der Luft steht in innigstem Zu¬
sammenhange mit seinem brutalen Farbensystem. Und wie Matejko bei der kolo¬
ristischen Behandlung zu den stärksten Mitteln greift, so spannt er auch in der
Charakteristik der Köpfe seine Darstellungsmethode zum Fortissimo an. Wenn
man den einen oder den andern Kopf für sich allein betrachtet, wird man die
Energie der Auffassung anerkennen müssen. Aber eine Massenansammlung solcher
Charakterköpfe, alle mit gleichmäßig gesteigertem Gesichtsausdruck, macht zunächst
einen verwirrenden und bei längerer Betrachtung einen unerträglichen Eindruck.
Alles ist bis zur Grimasse übertrieben, und ebenso schwülstig und unwahr ist
die Muskulatur der Hände und der ganze Gliederbau der Figuren.

Was man aber auch gegen die Gemälde Matejkos kritisch einzuwenden
hat, der eine Vorzug bleibt dem polnischen Maler vor allen seinen deutschen
Rivalen, daß er von der Liebe und dem Enthusiasmus seiner Landsleute ge¬
tragen wird. Die Berliner Nationalgalerie weist Bilder von vaterländischen
Interesse, wie z. B. Räubers treffliche "Übergabe von Warschau an den großen
Kurfürsten im Juli 1656," zurück. In Krakau beeifert man sich, alle Gemälde
Matejkos für das Land zu erhalten, und man überbietet sich in Ehrenbezeigungen
für den nationalen Maler. Das ist die einzige, wenn mich bittere Lehre, die
wir aus den Arbeiten Matejkos zu ziehen vermögen. Im übrigen stehen sie
dem deutschen Gefühl nach Inhalt und Form gleich fremdartig und unsympathisch
gegenüber. Denn Matejko hat es nicht verstanden, seine Kunst über die nationale
Leidenschaft zu erheben.




Die große Kunstausstellung in Berlin.

Golde trägt, zur Estrade empor. Im Hintergründe sieht mein eine bedeckte
Tribüne oder Laube, welche dicht mit Zuschauern besetzt ist. So ist die ganze
riesige Leinwand bis obenhin gefüllt. Wo nur ein Fleckchen leer war, hat der
Künstler noch einen Kopf und ein Gewandstück hiugemcilt. Rot in verschiednen
Schattirungen, ein grelles Gelb und Schwarz, die Lieblingsfarben des Malers,
herrschen auch auf diesem Bilde vor. Namentlich spielt das Rot eine so vor¬
laute Rolle, daß von einer feinen und vornehmen Farbenstimmung umsoweniger
die Rede sein kann, als das versöhnende und Harmonisirende Element der Luft
für Matejko nicht existirt. Dieses Jgnoriren der Luft steht in innigstem Zu¬
sammenhange mit seinem brutalen Farbensystem. Und wie Matejko bei der kolo¬
ristischen Behandlung zu den stärksten Mitteln greift, so spannt er auch in der
Charakteristik der Köpfe seine Darstellungsmethode zum Fortissimo an. Wenn
man den einen oder den andern Kopf für sich allein betrachtet, wird man die
Energie der Auffassung anerkennen müssen. Aber eine Massenansammlung solcher
Charakterköpfe, alle mit gleichmäßig gesteigertem Gesichtsausdruck, macht zunächst
einen verwirrenden und bei längerer Betrachtung einen unerträglichen Eindruck.
Alles ist bis zur Grimasse übertrieben, und ebenso schwülstig und unwahr ist
die Muskulatur der Hände und der ganze Gliederbau der Figuren.

Was man aber auch gegen die Gemälde Matejkos kritisch einzuwenden
hat, der eine Vorzug bleibt dem polnischen Maler vor allen seinen deutschen
Rivalen, daß er von der Liebe und dem Enthusiasmus seiner Landsleute ge¬
tragen wird. Die Berliner Nationalgalerie weist Bilder von vaterländischen
Interesse, wie z. B. Räubers treffliche „Übergabe von Warschau an den großen
Kurfürsten im Juli 1656," zurück. In Krakau beeifert man sich, alle Gemälde
Matejkos für das Land zu erhalten, und man überbietet sich in Ehrenbezeigungen
für den nationalen Maler. Das ist die einzige, wenn mich bittere Lehre, die
wir aus den Arbeiten Matejkos zu ziehen vermögen. Im übrigen stehen sie
dem deutschen Gefühl nach Inhalt und Form gleich fremdartig und unsympathisch
gegenüber. Denn Matejko hat es nicht verstanden, seine Kunst über die nationale
Leidenschaft zu erheben.




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[0627] Die große Kunstausstellung in Berlin. Golde trägt, zur Estrade empor. Im Hintergründe sieht mein eine bedeckte Tribüne oder Laube, welche dicht mit Zuschauern besetzt ist. So ist die ganze riesige Leinwand bis obenhin gefüllt. Wo nur ein Fleckchen leer war, hat der Künstler noch einen Kopf und ein Gewandstück hiugemcilt. Rot in verschiednen Schattirungen, ein grelles Gelb und Schwarz, die Lieblingsfarben des Malers, herrschen auch auf diesem Bilde vor. Namentlich spielt das Rot eine so vor¬ laute Rolle, daß von einer feinen und vornehmen Farbenstimmung umsoweniger die Rede sein kann, als das versöhnende und Harmonisirende Element der Luft für Matejko nicht existirt. Dieses Jgnoriren der Luft steht in innigstem Zu¬ sammenhange mit seinem brutalen Farbensystem. Und wie Matejko bei der kolo¬ ristischen Behandlung zu den stärksten Mitteln greift, so spannt er auch in der Charakteristik der Köpfe seine Darstellungsmethode zum Fortissimo an. Wenn man den einen oder den andern Kopf für sich allein betrachtet, wird man die Energie der Auffassung anerkennen müssen. Aber eine Massenansammlung solcher Charakterköpfe, alle mit gleichmäßig gesteigertem Gesichtsausdruck, macht zunächst einen verwirrenden und bei längerer Betrachtung einen unerträglichen Eindruck. Alles ist bis zur Grimasse übertrieben, und ebenso schwülstig und unwahr ist die Muskulatur der Hände und der ganze Gliederbau der Figuren. Was man aber auch gegen die Gemälde Matejkos kritisch einzuwenden hat, der eine Vorzug bleibt dem polnischen Maler vor allen seinen deutschen Rivalen, daß er von der Liebe und dem Enthusiasmus seiner Landsleute ge¬ tragen wird. Die Berliner Nationalgalerie weist Bilder von vaterländischen Interesse, wie z. B. Räubers treffliche „Übergabe von Warschau an den großen Kurfürsten im Juli 1656," zurück. In Krakau beeifert man sich, alle Gemälde Matejkos für das Land zu erhalten, und man überbietet sich in Ehrenbezeigungen für den nationalen Maler. Das ist die einzige, wenn mich bittere Lehre, die wir aus den Arbeiten Matejkos zu ziehen vermögen. Im übrigen stehen sie dem deutschen Gefühl nach Inhalt und Form gleich fremdartig und unsympathisch gegenüber. Denn Matejko hat es nicht verstanden, seine Kunst über die nationale Leidenschaft zu erheben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/627>, abgerufen am 19.10.2024.