Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Kunstausstellung in Berlin.

zu erhalten. Wenn ich recht gezählt habe, hat unsre Ausstellung nur vier
solcher Malereien aufzuweisen: neben dem Bilde A. v. Werners eine frisch und
lebhaft geschilderte Szene ans der Verteidigung von Saarbrücken von Nöchling:
die Erquickung verwundeter und ermüdeter Soldaten dnrch Frauen und Knaben,
ferner eine keck behandelte Aquarelle von G. Koch, die Wirkung eines Granat¬
schusses auf französische Kürassiere darstellend, und die "Vergeltung," ein Aquarell
von Camphausen, welches in Form eines Doppelbildes auf der einen Seite die
schmerzliche und demütigende Zusammenkunft der Königin Luise mit Napoleon I.
in Tilsit, auf der andern Seite die Begegnung ihres siegreichen Sohnes Wil¬
helm mit dem geschlagenen und gefangenen Cäsar vor Sedan schildert.

Daß solche Bilder schon nach vierzehn, seit dem großen Kriege verflossenen
Jahren so selten geworden sind, hat einen doppelten Grund. Einmal sind einige
unsrer bedeutendsten Kricgsmaler, wie Bleibtreu, Hunden und Steffeck, mit um¬
fangreichen Wandgemälden im Zeughause beschäftigt, dann aber ist der Vernich¬
tungskampf, welcher in fortschrittlichen Blättern gegen die "blutigen Schlächtereien"
geführt wurde, am Ende doch nicht ohne Einfluß auf Käufer und Künstler geblieben.
Den fortschrittlichen Blättern, namentlich denjenigen, welche die Aufgabe der Tages¬
presse in der Demagogie erblicken, ist natürlich nichts unbequemer, als die Verherr¬
lichung der Armee und die Popularisirung ihrer ruhmvollen Thaten. Sie haben
solange versucht, den unglücklichen Malern das Verwerfliche ihres Treibens klar
zu machen und die ganze Kriegsmalerei als ästhetisch völlig haltlos und un¬
berechtigt darzustellen, bis eine Anzahl von Künstlern wirklich entmutigt worden
ist. Den deutschen Malern wird anch die leiseste Regung des patriotischen
Ehrgeizes als verabschenungswürdiger Chauvinismus ausgelegt, während man
den politischen Rodomontaden auswärtiger Maler, auch wenn ihre Spitzen gegen
Preußen und Deutschland gerichtet sind, bereitwilligst Thür und Thor öffnet,
um sich dann im Glänze der Selbstüberwindung und internationalen Un¬
befangenheit zu spiegeln.

Von der Beurteilung eines Kunstwerkes sollen Politik und nationales
Vorurteil fern bleiben. Das ist ein Grundsatz von unbestreitbarer Richtigkeit.
Aber im deutschen Volke, welches in seiner Majorität wieder in das alte,
traurige Kosmopoliten- und Micheltum zurückzuversinken im besten Zuge ist,
scheint dieser Grundsatz nur in seiner Anwendung auf fremde Nationen Geltung
zu haben, wenn man die Stimme derjenigen als die Volksstimme ansieht,
welche sich mit lautem Geschrei als die Wortführer des Volkes aufspielen.
Ein deutscher Künstler darf die Ruhmesthaten seiner Nation nicht verherrlichen,
weil Großmut dem Sieger ziemt und Franzosen, Polen, Tschechen, Ungarn und
Slowaken um keinen Preis verletzt werden dürfen, um die allgemeine Völker¬
verbrüderung und Weltharmonie nicht zu stören. Jene Volksgruppen aber
haben das Recht, uns zu beleidigen und zu verhöhnen, uns alte Niederlagen
und Demütigungen in Wort, Schrift und Bild vor Augen zu halten, und uns


Grenzboten III. 1884, 73
Die große Kunstausstellung in Berlin.

zu erhalten. Wenn ich recht gezählt habe, hat unsre Ausstellung nur vier
solcher Malereien aufzuweisen: neben dem Bilde A. v. Werners eine frisch und
lebhaft geschilderte Szene ans der Verteidigung von Saarbrücken von Nöchling:
die Erquickung verwundeter und ermüdeter Soldaten dnrch Frauen und Knaben,
ferner eine keck behandelte Aquarelle von G. Koch, die Wirkung eines Granat¬
schusses auf französische Kürassiere darstellend, und die „Vergeltung," ein Aquarell
von Camphausen, welches in Form eines Doppelbildes auf der einen Seite die
schmerzliche und demütigende Zusammenkunft der Königin Luise mit Napoleon I.
in Tilsit, auf der andern Seite die Begegnung ihres siegreichen Sohnes Wil¬
helm mit dem geschlagenen und gefangenen Cäsar vor Sedan schildert.

Daß solche Bilder schon nach vierzehn, seit dem großen Kriege verflossenen
Jahren so selten geworden sind, hat einen doppelten Grund. Einmal sind einige
unsrer bedeutendsten Kricgsmaler, wie Bleibtreu, Hunden und Steffeck, mit um¬
fangreichen Wandgemälden im Zeughause beschäftigt, dann aber ist der Vernich¬
tungskampf, welcher in fortschrittlichen Blättern gegen die „blutigen Schlächtereien"
geführt wurde, am Ende doch nicht ohne Einfluß auf Käufer und Künstler geblieben.
Den fortschrittlichen Blättern, namentlich denjenigen, welche die Aufgabe der Tages¬
presse in der Demagogie erblicken, ist natürlich nichts unbequemer, als die Verherr¬
lichung der Armee und die Popularisirung ihrer ruhmvollen Thaten. Sie haben
solange versucht, den unglücklichen Malern das Verwerfliche ihres Treibens klar
zu machen und die ganze Kriegsmalerei als ästhetisch völlig haltlos und un¬
berechtigt darzustellen, bis eine Anzahl von Künstlern wirklich entmutigt worden
ist. Den deutschen Malern wird anch die leiseste Regung des patriotischen
Ehrgeizes als verabschenungswürdiger Chauvinismus ausgelegt, während man
den politischen Rodomontaden auswärtiger Maler, auch wenn ihre Spitzen gegen
Preußen und Deutschland gerichtet sind, bereitwilligst Thür und Thor öffnet,
um sich dann im Glänze der Selbstüberwindung und internationalen Un¬
befangenheit zu spiegeln.

Von der Beurteilung eines Kunstwerkes sollen Politik und nationales
Vorurteil fern bleiben. Das ist ein Grundsatz von unbestreitbarer Richtigkeit.
Aber im deutschen Volke, welches in seiner Majorität wieder in das alte,
traurige Kosmopoliten- und Micheltum zurückzuversinken im besten Zuge ist,
scheint dieser Grundsatz nur in seiner Anwendung auf fremde Nationen Geltung
zu haben, wenn man die Stimme derjenigen als die Volksstimme ansieht,
welche sich mit lautem Geschrei als die Wortführer des Volkes aufspielen.
Ein deutscher Künstler darf die Ruhmesthaten seiner Nation nicht verherrlichen,
weil Großmut dem Sieger ziemt und Franzosen, Polen, Tschechen, Ungarn und
Slowaken um keinen Preis verletzt werden dürfen, um die allgemeine Völker¬
verbrüderung und Weltharmonie nicht zu stören. Jene Volksgruppen aber
haben das Recht, uns zu beleidigen und zu verhöhnen, uns alte Niederlagen
und Demütigungen in Wort, Schrift und Bild vor Augen zu halten, und uns


Grenzboten III. 1884, 73
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0625" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156896"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2843" prev="#ID_2842"> zu erhalten. Wenn ich recht gezählt habe, hat unsre Ausstellung nur vier<lb/>
solcher Malereien aufzuweisen: neben dem Bilde A. v. Werners eine frisch und<lb/>
lebhaft geschilderte Szene ans der Verteidigung von Saarbrücken von Nöchling:<lb/>
die Erquickung verwundeter und ermüdeter Soldaten dnrch Frauen und Knaben,<lb/>
ferner eine keck behandelte Aquarelle von G. Koch, die Wirkung eines Granat¬<lb/>
schusses auf französische Kürassiere darstellend, und die &#x201E;Vergeltung," ein Aquarell<lb/>
von Camphausen, welches in Form eines Doppelbildes auf der einen Seite die<lb/>
schmerzliche und demütigende Zusammenkunft der Königin Luise mit Napoleon I.<lb/>
in Tilsit, auf der andern Seite die Begegnung ihres siegreichen Sohnes Wil¬<lb/>
helm mit dem geschlagenen und gefangenen Cäsar vor Sedan schildert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2844"> Daß solche Bilder schon nach vierzehn, seit dem großen Kriege verflossenen<lb/>
Jahren so selten geworden sind, hat einen doppelten Grund. Einmal sind einige<lb/>
unsrer bedeutendsten Kricgsmaler, wie Bleibtreu, Hunden und Steffeck, mit um¬<lb/>
fangreichen Wandgemälden im Zeughause beschäftigt, dann aber ist der Vernich¬<lb/>
tungskampf, welcher in fortschrittlichen Blättern gegen die &#x201E;blutigen Schlächtereien"<lb/>
geführt wurde, am Ende doch nicht ohne Einfluß auf Käufer und Künstler geblieben.<lb/>
Den fortschrittlichen Blättern, namentlich denjenigen, welche die Aufgabe der Tages¬<lb/>
presse in der Demagogie erblicken, ist natürlich nichts unbequemer, als die Verherr¬<lb/>
lichung der Armee und die Popularisirung ihrer ruhmvollen Thaten. Sie haben<lb/>
solange versucht, den unglücklichen Malern das Verwerfliche ihres Treibens klar<lb/>
zu machen und die ganze Kriegsmalerei als ästhetisch völlig haltlos und un¬<lb/>
berechtigt darzustellen, bis eine Anzahl von Künstlern wirklich entmutigt worden<lb/>
ist. Den deutschen Malern wird anch die leiseste Regung des patriotischen<lb/>
Ehrgeizes als verabschenungswürdiger Chauvinismus ausgelegt, während man<lb/>
den politischen Rodomontaden auswärtiger Maler, auch wenn ihre Spitzen gegen<lb/>
Preußen und Deutschland gerichtet sind, bereitwilligst Thür und Thor öffnet,<lb/>
um sich dann im Glänze der Selbstüberwindung und internationalen Un¬<lb/>
befangenheit zu spiegeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2845" next="#ID_2846"> Von der Beurteilung eines Kunstwerkes sollen Politik und nationales<lb/>
Vorurteil fern bleiben. Das ist ein Grundsatz von unbestreitbarer Richtigkeit.<lb/>
Aber im deutschen Volke, welches in seiner Majorität wieder in das alte,<lb/>
traurige Kosmopoliten- und Micheltum zurückzuversinken im besten Zuge ist,<lb/>
scheint dieser Grundsatz nur in seiner Anwendung auf fremde Nationen Geltung<lb/>
zu haben, wenn man die Stimme derjenigen als die Volksstimme ansieht,<lb/>
welche sich mit lautem Geschrei als die Wortführer des Volkes aufspielen.<lb/>
Ein deutscher Künstler darf die Ruhmesthaten seiner Nation nicht verherrlichen,<lb/>
weil Großmut dem Sieger ziemt und Franzosen, Polen, Tschechen, Ungarn und<lb/>
Slowaken um keinen Preis verletzt werden dürfen, um die allgemeine Völker¬<lb/>
verbrüderung und Weltharmonie nicht zu stören. Jene Volksgruppen aber<lb/>
haben das Recht, uns zu beleidigen und zu verhöhnen, uns alte Niederlagen<lb/>
und Demütigungen in Wort, Schrift und Bild vor Augen zu halten, und uns</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1884, 73</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0625] Die große Kunstausstellung in Berlin. zu erhalten. Wenn ich recht gezählt habe, hat unsre Ausstellung nur vier solcher Malereien aufzuweisen: neben dem Bilde A. v. Werners eine frisch und lebhaft geschilderte Szene ans der Verteidigung von Saarbrücken von Nöchling: die Erquickung verwundeter und ermüdeter Soldaten dnrch Frauen und Knaben, ferner eine keck behandelte Aquarelle von G. Koch, die Wirkung eines Granat¬ schusses auf französische Kürassiere darstellend, und die „Vergeltung," ein Aquarell von Camphausen, welches in Form eines Doppelbildes auf der einen Seite die schmerzliche und demütigende Zusammenkunft der Königin Luise mit Napoleon I. in Tilsit, auf der andern Seite die Begegnung ihres siegreichen Sohnes Wil¬ helm mit dem geschlagenen und gefangenen Cäsar vor Sedan schildert. Daß solche Bilder schon nach vierzehn, seit dem großen Kriege verflossenen Jahren so selten geworden sind, hat einen doppelten Grund. Einmal sind einige unsrer bedeutendsten Kricgsmaler, wie Bleibtreu, Hunden und Steffeck, mit um¬ fangreichen Wandgemälden im Zeughause beschäftigt, dann aber ist der Vernich¬ tungskampf, welcher in fortschrittlichen Blättern gegen die „blutigen Schlächtereien" geführt wurde, am Ende doch nicht ohne Einfluß auf Käufer und Künstler geblieben. Den fortschrittlichen Blättern, namentlich denjenigen, welche die Aufgabe der Tages¬ presse in der Demagogie erblicken, ist natürlich nichts unbequemer, als die Verherr¬ lichung der Armee und die Popularisirung ihrer ruhmvollen Thaten. Sie haben solange versucht, den unglücklichen Malern das Verwerfliche ihres Treibens klar zu machen und die ganze Kriegsmalerei als ästhetisch völlig haltlos und un¬ berechtigt darzustellen, bis eine Anzahl von Künstlern wirklich entmutigt worden ist. Den deutschen Malern wird anch die leiseste Regung des patriotischen Ehrgeizes als verabschenungswürdiger Chauvinismus ausgelegt, während man den politischen Rodomontaden auswärtiger Maler, auch wenn ihre Spitzen gegen Preußen und Deutschland gerichtet sind, bereitwilligst Thür und Thor öffnet, um sich dann im Glänze der Selbstüberwindung und internationalen Un¬ befangenheit zu spiegeln. Von der Beurteilung eines Kunstwerkes sollen Politik und nationales Vorurteil fern bleiben. Das ist ein Grundsatz von unbestreitbarer Richtigkeit. Aber im deutschen Volke, welches in seiner Majorität wieder in das alte, traurige Kosmopoliten- und Micheltum zurückzuversinken im besten Zuge ist, scheint dieser Grundsatz nur in seiner Anwendung auf fremde Nationen Geltung zu haben, wenn man die Stimme derjenigen als die Volksstimme ansieht, welche sich mit lautem Geschrei als die Wortführer des Volkes aufspielen. Ein deutscher Künstler darf die Ruhmesthaten seiner Nation nicht verherrlichen, weil Großmut dem Sieger ziemt und Franzosen, Polen, Tschechen, Ungarn und Slowaken um keinen Preis verletzt werden dürfen, um die allgemeine Völker¬ verbrüderung und Weltharmonie nicht zu stören. Jene Volksgruppen aber haben das Recht, uns zu beleidigen und zu verhöhnen, uns alte Niederlagen und Demütigungen in Wort, Schrift und Bild vor Augen zu halten, und uns Grenzboten III. 1884, 73

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/625
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/625>, abgerufen am 27.06.2024.