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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Lornelius und das Weltgericht.

waren, hatte sich die kosmische Anschauung geändert. Unser Planet war aus
seiner stolzer Stellung im Mittelpunkt des Weltalls, dessen ganzes Geschehen
sich nur auf die Erde bezog und nur Bedeutung und Wert hatte, insofern es
zu diesem in Beziehung stand, bescheiden zur Seite getreten, und in der ge¬
bildeten Christenheit hatte der Gedanke an die erlösende Liebe die Vorstellung
von der erbarmungslos richtenden Gerechtigkeit mehr und mehr verdrängt.
Gerade hier wäre, wenn der Gegenstand dennoch in alter Weise bildlich dar¬
gestellt werden sollte, die rein symbolische, nur andeutende Darstellungsweise am
Platze gewesen: gerade hier hat aber Cornelius offenbar in deutlicher Absicht
eine möglichst realistische Darstellung zu geben gesucht. Er kommt dadurch
unsrer heutigen Ansfnssungsweise der Kunst, der ästhetischen, entgegen, welche die
Kunst nicht bloß als Schrift auffaßt, sondern in ihr die Wiedergabe eines
realistisch denkbaren Korrelats der Erscheinungswelt sieht, sodaß, die Vor¬
aussetzung der Existenz desselben einmal zugegeben, die Mittel der Darstellung
dem Gegenstande der Darstellung nicht widersprechen; erst so kann von
einer Wirkung auf unser Gemüt, ans unsern Schönheitssinn die Rede
sein. Hier aber widersprechen einander Mittel und Gegenstand der Darstellung.
In der symbolischen Darstellung des Weltgerichtes, welche das Schicksal der
Menschheit im ganzen umfassen soll, bilden die Porträtgestalten bestimmter
Persönlichkeiten einen Mißklang. Wir rechnen dahin nicht die Wiedergabe des
Königs Ludwig: die Tradition, den Stifter des Bildes auf diesem anzubringen,
mag hier umso eher gelten, als König Ludwig kaum als Mitwirkender in der
Handlung erscheint. Wir meinen vielmehr unter all den das Menschengeschick
im allgemeinen andeutenden Persönlichkeiten die Hervorhebung von Dante und
Fiesole unter den Seligen. Hierdurch wird der Vorgang lokalisirt und verliert
die Allgemeingiltigkeit, die hier allein am Platze war, zumal da gerade diese beiden
Menschen so außergewöhnliche und eigenartige waren, daß sie unmöglich ganze
Gattungen von Menschen repräsentiren können. Hier waren Vertreter der
Stände, der Geschlechter, der Alter erforderlich, wie sie sich sonst hier finden,
und, wo eine Handlung angedeutet werden sollte, eine solche von so allgemeiner
Bedeutung, wie die des sich wiedererkennenden, von einem Engel bekränzten
Paares, wie die angstvolle Flucht zu dem schützenden Engel, während der
gierige Teufel die Flüchtende an dem Haare packt, aber vor dem rettend sich
über sie senkenden Schwert und Schild zurückweichen muß. Ganz besonders
"ber gehört dahin die Unwahrscheinlichkeit der Wiedergabe der Seite der
Bösen. Mit außerordentlicher Kunst und mit ergreifender Wahrheit ist hier
der in seiner Vergeblichkeit und aussichtslosen Verzweiflung erschütternde
Kampf der auferstehenden Sünder mit den ihrer Aufgabe in rücksichtsloser
Energie und satanischem Hohne waltenden Teufeln geschildert. Aber der Künstler
wollte sich einen Zug der Tradition nicht entgehen lassen, welcher nach seiner
Überzeugung die Furchtbarkeit des Weltgerichtes erst in ihrer ganzen Größe


Lornelius und das Weltgericht.

waren, hatte sich die kosmische Anschauung geändert. Unser Planet war aus
seiner stolzer Stellung im Mittelpunkt des Weltalls, dessen ganzes Geschehen
sich nur auf die Erde bezog und nur Bedeutung und Wert hatte, insofern es
zu diesem in Beziehung stand, bescheiden zur Seite getreten, und in der ge¬
bildeten Christenheit hatte der Gedanke an die erlösende Liebe die Vorstellung
von der erbarmungslos richtenden Gerechtigkeit mehr und mehr verdrängt.
Gerade hier wäre, wenn der Gegenstand dennoch in alter Weise bildlich dar¬
gestellt werden sollte, die rein symbolische, nur andeutende Darstellungsweise am
Platze gewesen: gerade hier hat aber Cornelius offenbar in deutlicher Absicht
eine möglichst realistische Darstellung zu geben gesucht. Er kommt dadurch
unsrer heutigen Ansfnssungsweise der Kunst, der ästhetischen, entgegen, welche die
Kunst nicht bloß als Schrift auffaßt, sondern in ihr die Wiedergabe eines
realistisch denkbaren Korrelats der Erscheinungswelt sieht, sodaß, die Vor¬
aussetzung der Existenz desselben einmal zugegeben, die Mittel der Darstellung
dem Gegenstande der Darstellung nicht widersprechen; erst so kann von
einer Wirkung auf unser Gemüt, ans unsern Schönheitssinn die Rede
sein. Hier aber widersprechen einander Mittel und Gegenstand der Darstellung.
In der symbolischen Darstellung des Weltgerichtes, welche das Schicksal der
Menschheit im ganzen umfassen soll, bilden die Porträtgestalten bestimmter
Persönlichkeiten einen Mißklang. Wir rechnen dahin nicht die Wiedergabe des
Königs Ludwig: die Tradition, den Stifter des Bildes auf diesem anzubringen,
mag hier umso eher gelten, als König Ludwig kaum als Mitwirkender in der
Handlung erscheint. Wir meinen vielmehr unter all den das Menschengeschick
im allgemeinen andeutenden Persönlichkeiten die Hervorhebung von Dante und
Fiesole unter den Seligen. Hierdurch wird der Vorgang lokalisirt und verliert
die Allgemeingiltigkeit, die hier allein am Platze war, zumal da gerade diese beiden
Menschen so außergewöhnliche und eigenartige waren, daß sie unmöglich ganze
Gattungen von Menschen repräsentiren können. Hier waren Vertreter der
Stände, der Geschlechter, der Alter erforderlich, wie sie sich sonst hier finden,
und, wo eine Handlung angedeutet werden sollte, eine solche von so allgemeiner
Bedeutung, wie die des sich wiedererkennenden, von einem Engel bekränzten
Paares, wie die angstvolle Flucht zu dem schützenden Engel, während der
gierige Teufel die Flüchtende an dem Haare packt, aber vor dem rettend sich
über sie senkenden Schwert und Schild zurückweichen muß. Ganz besonders
"ber gehört dahin die Unwahrscheinlichkeit der Wiedergabe der Seite der
Bösen. Mit außerordentlicher Kunst und mit ergreifender Wahrheit ist hier
der in seiner Vergeblichkeit und aussichtslosen Verzweiflung erschütternde
Kampf der auferstehenden Sünder mit den ihrer Aufgabe in rücksichtsloser
Energie und satanischem Hohne waltenden Teufeln geschildert. Aber der Künstler
wollte sich einen Zug der Tradition nicht entgehen lassen, welcher nach seiner
Überzeugung die Furchtbarkeit des Weltgerichtes erst in ihrer ganzen Größe


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[0607] Lornelius und das Weltgericht. waren, hatte sich die kosmische Anschauung geändert. Unser Planet war aus seiner stolzer Stellung im Mittelpunkt des Weltalls, dessen ganzes Geschehen sich nur auf die Erde bezog und nur Bedeutung und Wert hatte, insofern es zu diesem in Beziehung stand, bescheiden zur Seite getreten, und in der ge¬ bildeten Christenheit hatte der Gedanke an die erlösende Liebe die Vorstellung von der erbarmungslos richtenden Gerechtigkeit mehr und mehr verdrängt. Gerade hier wäre, wenn der Gegenstand dennoch in alter Weise bildlich dar¬ gestellt werden sollte, die rein symbolische, nur andeutende Darstellungsweise am Platze gewesen: gerade hier hat aber Cornelius offenbar in deutlicher Absicht eine möglichst realistische Darstellung zu geben gesucht. Er kommt dadurch unsrer heutigen Ansfnssungsweise der Kunst, der ästhetischen, entgegen, welche die Kunst nicht bloß als Schrift auffaßt, sondern in ihr die Wiedergabe eines realistisch denkbaren Korrelats der Erscheinungswelt sieht, sodaß, die Vor¬ aussetzung der Existenz desselben einmal zugegeben, die Mittel der Darstellung dem Gegenstande der Darstellung nicht widersprechen; erst so kann von einer Wirkung auf unser Gemüt, ans unsern Schönheitssinn die Rede sein. Hier aber widersprechen einander Mittel und Gegenstand der Darstellung. In der symbolischen Darstellung des Weltgerichtes, welche das Schicksal der Menschheit im ganzen umfassen soll, bilden die Porträtgestalten bestimmter Persönlichkeiten einen Mißklang. Wir rechnen dahin nicht die Wiedergabe des Königs Ludwig: die Tradition, den Stifter des Bildes auf diesem anzubringen, mag hier umso eher gelten, als König Ludwig kaum als Mitwirkender in der Handlung erscheint. Wir meinen vielmehr unter all den das Menschengeschick im allgemeinen andeutenden Persönlichkeiten die Hervorhebung von Dante und Fiesole unter den Seligen. Hierdurch wird der Vorgang lokalisirt und verliert die Allgemeingiltigkeit, die hier allein am Platze war, zumal da gerade diese beiden Menschen so außergewöhnliche und eigenartige waren, daß sie unmöglich ganze Gattungen von Menschen repräsentiren können. Hier waren Vertreter der Stände, der Geschlechter, der Alter erforderlich, wie sie sich sonst hier finden, und, wo eine Handlung angedeutet werden sollte, eine solche von so allgemeiner Bedeutung, wie die des sich wiedererkennenden, von einem Engel bekränzten Paares, wie die angstvolle Flucht zu dem schützenden Engel, während der gierige Teufel die Flüchtende an dem Haare packt, aber vor dem rettend sich über sie senkenden Schwert und Schild zurückweichen muß. Ganz besonders "ber gehört dahin die Unwahrscheinlichkeit der Wiedergabe der Seite der Bösen. Mit außerordentlicher Kunst und mit ergreifender Wahrheit ist hier der in seiner Vergeblichkeit und aussichtslosen Verzweiflung erschütternde Kampf der auferstehenden Sünder mit den ihrer Aufgabe in rücksichtsloser Energie und satanischem Hohne waltenden Teufeln geschildert. Aber der Künstler wollte sich einen Zug der Tradition nicht entgehen lassen, welcher nach seiner Überzeugung die Furchtbarkeit des Weltgerichtes erst in ihrer ganzen Größe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/607>, abgerufen am 27.06.2024.