Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Kunstausstellung in Berlin.

schaffen kann? Oder sollte jemand ein Interesse daran finden, zu erfahren,
was für Mäntel, Leibrocke, Kniehosen und Strümpfe Goethe, Voß, Schiller
oder Jffland getragen haben? Jugendliche Begeisterung und Wärme der Em¬
pfindung waren die Signatur der drei ersten Friesbilder Kullich. Über dem
letzten aber schwebt die ferne Geheimratssümmnng, welche für den Goethe der
zwanziger Jahre, nicht aber für den Goethe von 1803 bezeichnend ist.

Weitaus glücklicher sind die monumentalen Arbeiten der Plastik ausge¬
fallen, welche im, Auftrage oder mit Unterstützung des Staates ausgeführt, auf
unsrer Ausstellung zu sehen sind. Da ist in erster Linie das Ghpsmodell der
Schinkelstatue von Max Wiese für Neu-Ruppin, der Geburtsstadt des Meisters,
zu nennen. Wiese hatte bisher mit Vorliebe kleine Figuren für Bronze- und Zink¬
guß und für die Terracottaausführung modellirt und dabei ein beachtenswertes
Talent für feine und eingehende Charakteristik bekundet. Man wollte ihm deshalb
den Sinn für das Große und Monumentale nicht recht zutrauen; aber er hat
dieses Vorurteil, in erfreulichem Gegensatz zu seinen mit Staatsaufträgen bedachten
malerischen Genossen, glänzend widerlegt. Gerade seiner Kunst feiner und geist¬
voller Charakterisirung verdankt er die Überlegenheit seiner Schinkelstatue über die
Schöpfungen Tiecks in der Vorhalle des alten Museums und Drates vor der
Berliner Bauakademie, hinter denen zugleich die monumentale Haltung seiner Figur
nicht zurückbleibt. Eucles kolossale Bronzestatue des Großen Kurfürsten für die
Herrscherhalle des Zeughauses Hütte vielleicht nach der Seite der Charakteristik
des Kopfes etwas tiefer und eingehender behandelt werden können. Aber es
wäre ungerecht, ein Urteil über ein Werk zu fällen, welches für bestimmte Be-
leuchtungsverhältnisse berechnet ist. Man muß sich begnügen, mit Bezug aus
sie und auf die ebenfalls für das Zeughaus geschaffene Brvnzestatne Friedrich
Wilhelms II. von Brunow und die Bronzebttste des Grafen Tauenzien von
Büchting zu konstatiren, daß sie in der großartigen Formenbehandlung den Be¬
dingungen des monumentalen Stils vollkommen entsprechen.




Die große Kunstausstellung in Berlin.

schaffen kann? Oder sollte jemand ein Interesse daran finden, zu erfahren,
was für Mäntel, Leibrocke, Kniehosen und Strümpfe Goethe, Voß, Schiller
oder Jffland getragen haben? Jugendliche Begeisterung und Wärme der Em¬
pfindung waren die Signatur der drei ersten Friesbilder Kullich. Über dem
letzten aber schwebt die ferne Geheimratssümmnng, welche für den Goethe der
zwanziger Jahre, nicht aber für den Goethe von 1803 bezeichnend ist.

Weitaus glücklicher sind die monumentalen Arbeiten der Plastik ausge¬
fallen, welche im, Auftrage oder mit Unterstützung des Staates ausgeführt, auf
unsrer Ausstellung zu sehen sind. Da ist in erster Linie das Ghpsmodell der
Schinkelstatue von Max Wiese für Neu-Ruppin, der Geburtsstadt des Meisters,
zu nennen. Wiese hatte bisher mit Vorliebe kleine Figuren für Bronze- und Zink¬
guß und für die Terracottaausführung modellirt und dabei ein beachtenswertes
Talent für feine und eingehende Charakteristik bekundet. Man wollte ihm deshalb
den Sinn für das Große und Monumentale nicht recht zutrauen; aber er hat
dieses Vorurteil, in erfreulichem Gegensatz zu seinen mit Staatsaufträgen bedachten
malerischen Genossen, glänzend widerlegt. Gerade seiner Kunst feiner und geist¬
voller Charakterisirung verdankt er die Überlegenheit seiner Schinkelstatue über die
Schöpfungen Tiecks in der Vorhalle des alten Museums und Drates vor der
Berliner Bauakademie, hinter denen zugleich die monumentale Haltung seiner Figur
nicht zurückbleibt. Eucles kolossale Bronzestatue des Großen Kurfürsten für die
Herrscherhalle des Zeughauses Hütte vielleicht nach der Seite der Charakteristik
des Kopfes etwas tiefer und eingehender behandelt werden können. Aber es
wäre ungerecht, ein Urteil über ein Werk zu fällen, welches für bestimmte Be-
leuchtungsverhältnisse berechnet ist. Man muß sich begnügen, mit Bezug aus
sie und auf die ebenfalls für das Zeughaus geschaffene Brvnzestatne Friedrich
Wilhelms II. von Brunow und die Bronzebttste des Grafen Tauenzien von
Büchting zu konstatiren, daß sie in der großartigen Formenbehandlung den Be¬
dingungen des monumentalen Stils vollkommen entsprechen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156849"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2598" prev="#ID_2597"> schaffen kann? Oder sollte jemand ein Interesse daran finden, zu erfahren,<lb/>
was für Mäntel, Leibrocke, Kniehosen und Strümpfe Goethe, Voß, Schiller<lb/>
oder Jffland getragen haben? Jugendliche Begeisterung und Wärme der Em¬<lb/>
pfindung waren die Signatur der drei ersten Friesbilder Kullich. Über dem<lb/>
letzten aber schwebt die ferne Geheimratssümmnng, welche für den Goethe der<lb/>
zwanziger Jahre, nicht aber für den Goethe von 1803 bezeichnend ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2599"> Weitaus glücklicher sind die monumentalen Arbeiten der Plastik ausge¬<lb/>
fallen, welche im, Auftrage oder mit Unterstützung des Staates ausgeführt, auf<lb/>
unsrer Ausstellung zu sehen sind. Da ist in erster Linie das Ghpsmodell der<lb/>
Schinkelstatue von Max Wiese für Neu-Ruppin, der Geburtsstadt des Meisters,<lb/>
zu nennen. Wiese hatte bisher mit Vorliebe kleine Figuren für Bronze- und Zink¬<lb/>
guß und für die Terracottaausführung modellirt und dabei ein beachtenswertes<lb/>
Talent für feine und eingehende Charakteristik bekundet. Man wollte ihm deshalb<lb/>
den Sinn für das Große und Monumentale nicht recht zutrauen; aber er hat<lb/>
dieses Vorurteil, in erfreulichem Gegensatz zu seinen mit Staatsaufträgen bedachten<lb/>
malerischen Genossen, glänzend widerlegt. Gerade seiner Kunst feiner und geist¬<lb/>
voller Charakterisirung verdankt er die Überlegenheit seiner Schinkelstatue über die<lb/>
Schöpfungen Tiecks in der Vorhalle des alten Museums und Drates vor der<lb/>
Berliner Bauakademie, hinter denen zugleich die monumentale Haltung seiner Figur<lb/>
nicht zurückbleibt. Eucles kolossale Bronzestatue des Großen Kurfürsten für die<lb/>
Herrscherhalle des Zeughauses Hütte vielleicht nach der Seite der Charakteristik<lb/>
des Kopfes etwas tiefer und eingehender behandelt werden können. Aber es<lb/>
wäre ungerecht, ein Urteil über ein Werk zu fällen, welches für bestimmte Be-<lb/>
leuchtungsverhältnisse berechnet ist. Man muß sich begnügen, mit Bezug aus<lb/>
sie und auf die ebenfalls für das Zeughaus geschaffene Brvnzestatne Friedrich<lb/>
Wilhelms II. von Brunow und die Bronzebttste des Grafen Tauenzien von<lb/>
Büchting zu konstatiren, daß sie in der großartigen Formenbehandlung den Be¬<lb/>
dingungen des monumentalen Stils vollkommen entsprechen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0578] Die große Kunstausstellung in Berlin. schaffen kann? Oder sollte jemand ein Interesse daran finden, zu erfahren, was für Mäntel, Leibrocke, Kniehosen und Strümpfe Goethe, Voß, Schiller oder Jffland getragen haben? Jugendliche Begeisterung und Wärme der Em¬ pfindung waren die Signatur der drei ersten Friesbilder Kullich. Über dem letzten aber schwebt die ferne Geheimratssümmnng, welche für den Goethe der zwanziger Jahre, nicht aber für den Goethe von 1803 bezeichnend ist. Weitaus glücklicher sind die monumentalen Arbeiten der Plastik ausge¬ fallen, welche im, Auftrage oder mit Unterstützung des Staates ausgeführt, auf unsrer Ausstellung zu sehen sind. Da ist in erster Linie das Ghpsmodell der Schinkelstatue von Max Wiese für Neu-Ruppin, der Geburtsstadt des Meisters, zu nennen. Wiese hatte bisher mit Vorliebe kleine Figuren für Bronze- und Zink¬ guß und für die Terracottaausführung modellirt und dabei ein beachtenswertes Talent für feine und eingehende Charakteristik bekundet. Man wollte ihm deshalb den Sinn für das Große und Monumentale nicht recht zutrauen; aber er hat dieses Vorurteil, in erfreulichem Gegensatz zu seinen mit Staatsaufträgen bedachten malerischen Genossen, glänzend widerlegt. Gerade seiner Kunst feiner und geist¬ voller Charakterisirung verdankt er die Überlegenheit seiner Schinkelstatue über die Schöpfungen Tiecks in der Vorhalle des alten Museums und Drates vor der Berliner Bauakademie, hinter denen zugleich die monumentale Haltung seiner Figur nicht zurückbleibt. Eucles kolossale Bronzestatue des Großen Kurfürsten für die Herrscherhalle des Zeughauses Hütte vielleicht nach der Seite der Charakteristik des Kopfes etwas tiefer und eingehender behandelt werden können. Aber es wäre ungerecht, ein Urteil über ein Werk zu fällen, welches für bestimmte Be- leuchtungsverhältnisse berechnet ist. Man muß sich begnügen, mit Bezug aus sie und auf die ebenfalls für das Zeughaus geschaffene Brvnzestatne Friedrich Wilhelms II. von Brunow und die Bronzebttste des Grafen Tauenzien von Büchting zu konstatiren, daß sie in der großartigen Formenbehandlung den Be¬ dingungen des monumentalen Stils vollkommen entsprechen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/578
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/578>, abgerufen am 27.06.2024.