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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Lin Beitrag zur Grundsteuerfrage.

bliebe die Ungleichmäßigkeit der Grundbcsitzbewegung in der Nähe namentlich
großer Städte einerseits, auf dem platten Lande andrerseits bestehen. In der
Nähe von Städten mag es nicht nur häusig vorkommen, sondern auch eine
ganz unbedenkliche Sache sein, daß jedes ländliche Grundstück alle paar Jahre
einmal seinen Besitzer wechselt, aber der Einfluß, den die so entstehenden Zahlen
auf die Gesamtzahlen ausüben, ist eben doch ein fälschender. Aus diesen
statistischen Angaben ist also keine zuverlässige Schlußfolgerung zu ziehen, und
wir glauben bis auf weiteres an unsrer Annahme festhalten zu dürfen,
daß die Bewegung des eigentlich ländlichen Grundbesitzes eine weit geringere
sei, als man gemeinhin annimmt, sodaß eine sehr, sehr große Zahl ländlicher
Besitzer eine Aufhebung oder Ermäßigung der Grundsteuer einfach als die
Rückgängigmachung der früher gegen sie ausgeübten Konfiskation würden auf¬
fassen dürfen.

Aber noch mehr. Bleiben wir einmal bei denjenigen Besitzern stehen, die
wirklich durch Ankauf in Besitz ihrer jetzigen Grundstücke, ganz, größtenteils
oder doch zum großen Teile, gekommen sind, bei denen es also zutreffen würde,
daß die Grundsteuerbelastuug auf den Erstehungspreis ihres Besitzes eine Ein¬
wirkung ausgeübt hat. Hätte nun eine Einwanderung von so und soviel tausend
neuen Bauern in Deutschland stattgefunden, so möchte es einen Sinn haben,
diesem Punkte eine Bedeutung zuzuschreiben. Aber wer sind denn die "zufälligen
jetzigen Besitzer"? Der ungeheuer" Mehrzahl nach doch immer Angehörige des
Bauern- oder Landwirtstandes. Es sind Besitzer, die ein Grundstück verlauft
haben und nun ein andres wieder laufen; es sind Kinder von Besitzern, die
sich mit dem ererbten Gelde, welches wieder der Erlös aus ererbten Lündereien
ist, ansiedeln; es sind von Haus und Hof vertriebene Familien, die mit den
Überbleibseln ihrer Habe sich eine neue Heimat zu gründen suchen. Tritt da
nicht immerfort derjenige Zustand ein, den man "das Geld aus der rechten in
die linke Tasche stecken" nennt? Was sie auf der einen Seite am Preise der
von ihnen gekauften, mit Grundsteuer belasteten Grundstücke profitiren, das
haben sie fast alle auf der andern Seite am Preise der von ihnen verkauften,
mit Grundsteuer belasteten Grundstücke verloren! Sie berechnen sich also fort¬
während gegenseitig die Grundsteuer, und die Konfiskation kann demgemäß, der
großen Hauptsache nach, als eine stets gegen die jetzigen Besitzer gerichtete an¬
gesehen werden! Verschwindend gering ist doch die Zahl derjenigen Familien,
die aus andern Berufsklassen in den Stand der eigentlichen Landwirte über¬
gehen. "Gutsbesitzer" allerdings werden ziemlich viele Leute, und meist nicht
solche, denen man ein Geschenk an Steuer gönnen möchte; aber alle Dinge
gleichen sich aus -- diese Leute haben in der Regel ihren Besitz doch derer
genug, und sehr oft könnte bei ihnen der uns bekannte Fall vorkommen, daß
ein solcher Gutsbesitzer seinem Gaste sagte, ein Glas Milch komme ihm gerade
so teuer wie ein Glas Champagner. Wer aber vom Tagelöhner zum Bauen


Lin Beitrag zur Grundsteuerfrage.

bliebe die Ungleichmäßigkeit der Grundbcsitzbewegung in der Nähe namentlich
großer Städte einerseits, auf dem platten Lande andrerseits bestehen. In der
Nähe von Städten mag es nicht nur häusig vorkommen, sondern auch eine
ganz unbedenkliche Sache sein, daß jedes ländliche Grundstück alle paar Jahre
einmal seinen Besitzer wechselt, aber der Einfluß, den die so entstehenden Zahlen
auf die Gesamtzahlen ausüben, ist eben doch ein fälschender. Aus diesen
statistischen Angaben ist also keine zuverlässige Schlußfolgerung zu ziehen, und
wir glauben bis auf weiteres an unsrer Annahme festhalten zu dürfen,
daß die Bewegung des eigentlich ländlichen Grundbesitzes eine weit geringere
sei, als man gemeinhin annimmt, sodaß eine sehr, sehr große Zahl ländlicher
Besitzer eine Aufhebung oder Ermäßigung der Grundsteuer einfach als die
Rückgängigmachung der früher gegen sie ausgeübten Konfiskation würden auf¬
fassen dürfen.

Aber noch mehr. Bleiben wir einmal bei denjenigen Besitzern stehen, die
wirklich durch Ankauf in Besitz ihrer jetzigen Grundstücke, ganz, größtenteils
oder doch zum großen Teile, gekommen sind, bei denen es also zutreffen würde,
daß die Grundsteuerbelastuug auf den Erstehungspreis ihres Besitzes eine Ein¬
wirkung ausgeübt hat. Hätte nun eine Einwanderung von so und soviel tausend
neuen Bauern in Deutschland stattgefunden, so möchte es einen Sinn haben,
diesem Punkte eine Bedeutung zuzuschreiben. Aber wer sind denn die „zufälligen
jetzigen Besitzer"? Der ungeheuer» Mehrzahl nach doch immer Angehörige des
Bauern- oder Landwirtstandes. Es sind Besitzer, die ein Grundstück verlauft
haben und nun ein andres wieder laufen; es sind Kinder von Besitzern, die
sich mit dem ererbten Gelde, welches wieder der Erlös aus ererbten Lündereien
ist, ansiedeln; es sind von Haus und Hof vertriebene Familien, die mit den
Überbleibseln ihrer Habe sich eine neue Heimat zu gründen suchen. Tritt da
nicht immerfort derjenige Zustand ein, den man „das Geld aus der rechten in
die linke Tasche stecken" nennt? Was sie auf der einen Seite am Preise der
von ihnen gekauften, mit Grundsteuer belasteten Grundstücke profitiren, das
haben sie fast alle auf der andern Seite am Preise der von ihnen verkauften,
mit Grundsteuer belasteten Grundstücke verloren! Sie berechnen sich also fort¬
während gegenseitig die Grundsteuer, und die Konfiskation kann demgemäß, der
großen Hauptsache nach, als eine stets gegen die jetzigen Besitzer gerichtete an¬
gesehen werden! Verschwindend gering ist doch die Zahl derjenigen Familien,
die aus andern Berufsklassen in den Stand der eigentlichen Landwirte über¬
gehen. „Gutsbesitzer" allerdings werden ziemlich viele Leute, und meist nicht
solche, denen man ein Geschenk an Steuer gönnen möchte; aber alle Dinge
gleichen sich aus — diese Leute haben in der Regel ihren Besitz doch derer
genug, und sehr oft könnte bei ihnen der uns bekannte Fall vorkommen, daß
ein solcher Gutsbesitzer seinem Gaste sagte, ein Glas Milch komme ihm gerade
so teuer wie ein Glas Champagner. Wer aber vom Tagelöhner zum Bauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/562>, abgerufen am 27.06.2024.