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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Ein Beitrag zur Grundsteuorfrage.

lichen Erbgange gebliebenen Eigentums sehr viel größer ist, als die Ritter von
der "Mobilisirung des Grundbesitzes" uns glauben machen möchten. Allerdings
thun ja diese Herren so, als ob jeder Grundbesitz in deutschen Landen jährlich
ein paarmal seinen Eigentümer wechsle, und es ist auch wohl der von ihnen
erstrebte Jdealznstand, daß es dazu kommen möge; aber in Wirklichkeit verhält
es sich doch gottlob ungleich besser. Selbst in Berlin ist es als eine Un¬
geheuerlichkeit, als ein der Natur der Dinge und dem öffentlichen Wohl aufs
schwerste widerstreitender Zustand anerkannt worden, als es während der
Gründungsperiode hie und da vorkam, daß Häuser auf einfache "Schlußscheine"
von Hand zu Hand gingen, ohne daß der "Besitzer" sie auch nur gesehen hatte;
und auf dem Lande ist denn doch, zumal da, wo der jüdische Händler und
Geschäftemacher sich noch nicht zu stark eingenistet hat, die Beweglichkeit des
Bodens vielfach noch eine sehr beschränkte. Massenhaft kommt es doch gottlob
noch vor, daß nicht nur ganze ländliche Besitztümer vom Vater auf den Sohn
und Enkel übergehen, sondern daß auch einzelne Grundstücke heute noch im
Besitze der Familie sind, in deren Besitz sie schon vor Menschenaltern waren,
und es dürfte nicht ganz außer Acht zu lassen sein, daß dies gerade auf die
vielgescholtenen Großgrundbesitzer in ganz besonderen Umfange zutrifft, sodaß
gerade hier von einem "ungerechtfertigten Geschenk" in den wenigsten Fällen
, die Rede zu sein braucht. Natürlich wird man uns hier mit der "Statistik
von der Bewegung des Grundbesitzes" kommen und uns aus derselben beweisen,
daß diese Form des Besitzes in so und sovielen, diese andre Form in so
und sovielen Jahren u. s. w. vollständig aus einer Hand in die andre über¬
gehe. Aber wenn es einen Fall giebt, in dem die Statistik als trügerisch
oder vielmehr als von den wirklichen Verhältnissen gar kein Bild gebend
bezeichnet werden darf, so ist es doch dieser. Wenn irgendwo hundert Grund¬
stücke vorhanden sind, und eins derselben ist in zehn Jahren zehnmal ver¬
kauft worden, so heißt das Durchschnittsergebnis, daß alle hundert Grund¬
stücke im Laufe von hundert Jahren ihren Besitzer einmal gewechselt haben
würden, und wenn auch alle übrigen neunundneunzig Grundstücke völlig unberührt
bleiben. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, daß die einmal ins "Walzen"
gekommenen Grundstücke eine starke Tendenz haben, längere Zeit in einem
Zustande steten Überganges in eine andre Hand zu verharren, daß also jeder
derartige Vorgang das statistische Bild von der allgemeinen Grnndbesitzbewegung
fälscht. Welchen Umfang aber derartige Verhältnisse in der Nähe von Industrie¬
städten oder in Gegenden, wo Gründerei und Güterausschlachtung eine besonders
.starke Rolle gespielt haben, annehmen können, darüber dürften sich merkwür-
dige Beispiele beibringen lassen; und wie fälschend dann derartige, doch nur
"nen kleinen Bezirk betreffende Zustände auf das statistische Gesamtbild eines
ganzen Landes wirken können, das möge sich jeder selbst sagen. Sogar dann
'über, wenn von derartigen abnormen Einflüssen ganz abgesehen werden sollte,


Grenzboten III. 1834. 70
Ein Beitrag zur Grundsteuorfrage.

lichen Erbgange gebliebenen Eigentums sehr viel größer ist, als die Ritter von
der „Mobilisirung des Grundbesitzes" uns glauben machen möchten. Allerdings
thun ja diese Herren so, als ob jeder Grundbesitz in deutschen Landen jährlich
ein paarmal seinen Eigentümer wechsle, und es ist auch wohl der von ihnen
erstrebte Jdealznstand, daß es dazu kommen möge; aber in Wirklichkeit verhält
es sich doch gottlob ungleich besser. Selbst in Berlin ist es als eine Un¬
geheuerlichkeit, als ein der Natur der Dinge und dem öffentlichen Wohl aufs
schwerste widerstreitender Zustand anerkannt worden, als es während der
Gründungsperiode hie und da vorkam, daß Häuser auf einfache „Schlußscheine"
von Hand zu Hand gingen, ohne daß der „Besitzer" sie auch nur gesehen hatte;
und auf dem Lande ist denn doch, zumal da, wo der jüdische Händler und
Geschäftemacher sich noch nicht zu stark eingenistet hat, die Beweglichkeit des
Bodens vielfach noch eine sehr beschränkte. Massenhaft kommt es doch gottlob
noch vor, daß nicht nur ganze ländliche Besitztümer vom Vater auf den Sohn
und Enkel übergehen, sondern daß auch einzelne Grundstücke heute noch im
Besitze der Familie sind, in deren Besitz sie schon vor Menschenaltern waren,
und es dürfte nicht ganz außer Acht zu lassen sein, daß dies gerade auf die
vielgescholtenen Großgrundbesitzer in ganz besonderen Umfange zutrifft, sodaß
gerade hier von einem „ungerechtfertigten Geschenk" in den wenigsten Fällen
, die Rede zu sein braucht. Natürlich wird man uns hier mit der „Statistik
von der Bewegung des Grundbesitzes" kommen und uns aus derselben beweisen,
daß diese Form des Besitzes in so und sovielen, diese andre Form in so
und sovielen Jahren u. s. w. vollständig aus einer Hand in die andre über¬
gehe. Aber wenn es einen Fall giebt, in dem die Statistik als trügerisch
oder vielmehr als von den wirklichen Verhältnissen gar kein Bild gebend
bezeichnet werden darf, so ist es doch dieser. Wenn irgendwo hundert Grund¬
stücke vorhanden sind, und eins derselben ist in zehn Jahren zehnmal ver¬
kauft worden, so heißt das Durchschnittsergebnis, daß alle hundert Grund¬
stücke im Laufe von hundert Jahren ihren Besitzer einmal gewechselt haben
würden, und wenn auch alle übrigen neunundneunzig Grundstücke völlig unberührt
bleiben. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, daß die einmal ins „Walzen"
gekommenen Grundstücke eine starke Tendenz haben, längere Zeit in einem
Zustande steten Überganges in eine andre Hand zu verharren, daß also jeder
derartige Vorgang das statistische Bild von der allgemeinen Grnndbesitzbewegung
fälscht. Welchen Umfang aber derartige Verhältnisse in der Nähe von Industrie¬
städten oder in Gegenden, wo Gründerei und Güterausschlachtung eine besonders
.starke Rolle gespielt haben, annehmen können, darüber dürften sich merkwür-
dige Beispiele beibringen lassen; und wie fälschend dann derartige, doch nur
"nen kleinen Bezirk betreffende Zustände auf das statistische Gesamtbild eines
ganzen Landes wirken können, das möge sich jeder selbst sagen. Sogar dann
'über, wenn von derartigen abnormen Einflüssen ganz abgesehen werden sollte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/561>, abgerufen am 27.06.2024.