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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Polnische Offenherzigkeiten.

die Schlacht", noch ebensowenig jetzt wie früher in einem geordneten Staats¬
wesen zu brauchen sind, und daß sie jedes ihnen gemachte Zugeständnis mi߬
brauchen. Es kränkt sie vermutlich, daß über den wütenden Piuselkrieg des
Herrn Matejko gegen Deutschtum und Farbenharmonie nur gelacht wird, sie
wollen zeigen, daß sie lauter Matejkos sind, gleichviel, ob sie in schweizer Kon-
ventikeln oder im österreichischen Reichsrate Politik machen.

Österreich ist in seinen Konzessionen an die Polen bis an die äußerste
Grenze gegangen. Es hat ihnen gestattet, ganz Galizien zu polonisiren, hat ihnen
die reichstreuen Ruthenen preisgegeben. Millionen und Millionen, von den
andern Kronländern aufgebracht, in das Land gesteckt, welches allen andern
gegenüber eine Sonderstellung bis zu eigner Vertretung im Rate der Krone
genießt. Und der Dank ist die permanente Klage über Zurücksetzung, die Be¬
hauptung, daß das zu Zeiten der Republik blühende (!) Land unter österreichischer
Herrschaft verkümmert sei, die Proklamirnng des Kampfes gegen das Ger¬
manentum.

Im Jahre 1848 machten die polnischen Abgeordneten gemeinsame Sache
mit den deutschen Radikalen, und als nach zwölfjähriger Pause abermals eine
Reichsvertretung einberufen wurde, meinten die letzteren wieder auf die alte
Waffenbrüderschaft rechnen zu dürfen. Das Gegenteil trat ein. Damals mochten
die Polen gehofft haben, zur Sprengung des österreichischen Länderkomplexes
den Parlamentarismus zu benutzen; 1861 standen sie einer Negierung gegen¬
über, welche den Bachschen Einheitsstaat aufrecht erhalten wollte, wenn auch
mit Anwendung konstitutioneller Formen, und die große Mehrheit der Deut¬
schen stand insoweit hinter jener Negierung, strebte nur die Vermehrung poli¬
tischer Rechte an. Damit konnte den Polen nicht gedient sein. Sie zogen sich
gänzlich auf den nationalen Standpunkt zurück und wußten bald von der Ne¬
gierung, bald von den Liberalen Geschenke zu erwirken, ohne je den erhofften
Gegendienst zu leisten.

Nun fühlen sie sich stark genug, um jede Rücksicht beiseite zu werfen. Ein
hervorragendes Mitglied des Reichsrates, Graf Dzieduszyeki, hat in den letzten
Augusttagen vor seinen Wählern in Stanislau ein Programm entwickelt,
welches an Deutlichkeit nicht das geringste zu wünschen läßt und durch den
Beifall, der ihm von den meisten polnischen Blättern gewidmet wird, und durch
den Tadel, dem es hie und da begegnet, erhöhte Bedeutung erhält. Im Prinzip
sind nämlich wohl alle Organe mit dem Redner einverstanden, nur deuten ein¬
zelne an, daß er ein wenig zu offenherzig gewesen sei, zu früh die Karten auf¬
gedeckt habe.

Versuchen wir den Gedankengang des polnischen Grafen zu skizziren. Der
Klub der polnischen Abgeordneten zum galizischen Landtage nimmt bei ihm
gewissermaßen die Stellung des Konvents ein. Die Fraktionsbeschlüsse sind für ,
jedermann bindend, für die polnischen Abgeordneten zum Reichsrat, für den H


Polnische Offenherzigkeiten.

die Schlacht«, noch ebensowenig jetzt wie früher in einem geordneten Staats¬
wesen zu brauchen sind, und daß sie jedes ihnen gemachte Zugeständnis mi߬
brauchen. Es kränkt sie vermutlich, daß über den wütenden Piuselkrieg des
Herrn Matejko gegen Deutschtum und Farbenharmonie nur gelacht wird, sie
wollen zeigen, daß sie lauter Matejkos sind, gleichviel, ob sie in schweizer Kon-
ventikeln oder im österreichischen Reichsrate Politik machen.

Österreich ist in seinen Konzessionen an die Polen bis an die äußerste
Grenze gegangen. Es hat ihnen gestattet, ganz Galizien zu polonisiren, hat ihnen
die reichstreuen Ruthenen preisgegeben. Millionen und Millionen, von den
andern Kronländern aufgebracht, in das Land gesteckt, welches allen andern
gegenüber eine Sonderstellung bis zu eigner Vertretung im Rate der Krone
genießt. Und der Dank ist die permanente Klage über Zurücksetzung, die Be¬
hauptung, daß das zu Zeiten der Republik blühende (!) Land unter österreichischer
Herrschaft verkümmert sei, die Proklamirnng des Kampfes gegen das Ger¬
manentum.

Im Jahre 1848 machten die polnischen Abgeordneten gemeinsame Sache
mit den deutschen Radikalen, und als nach zwölfjähriger Pause abermals eine
Reichsvertretung einberufen wurde, meinten die letzteren wieder auf die alte
Waffenbrüderschaft rechnen zu dürfen. Das Gegenteil trat ein. Damals mochten
die Polen gehofft haben, zur Sprengung des österreichischen Länderkomplexes
den Parlamentarismus zu benutzen; 1861 standen sie einer Negierung gegen¬
über, welche den Bachschen Einheitsstaat aufrecht erhalten wollte, wenn auch
mit Anwendung konstitutioneller Formen, und die große Mehrheit der Deut¬
schen stand insoweit hinter jener Negierung, strebte nur die Vermehrung poli¬
tischer Rechte an. Damit konnte den Polen nicht gedient sein. Sie zogen sich
gänzlich auf den nationalen Standpunkt zurück und wußten bald von der Ne¬
gierung, bald von den Liberalen Geschenke zu erwirken, ohne je den erhofften
Gegendienst zu leisten.

Nun fühlen sie sich stark genug, um jede Rücksicht beiseite zu werfen. Ein
hervorragendes Mitglied des Reichsrates, Graf Dzieduszyeki, hat in den letzten
Augusttagen vor seinen Wählern in Stanislau ein Programm entwickelt,
welches an Deutlichkeit nicht das geringste zu wünschen läßt und durch den
Beifall, der ihm von den meisten polnischen Blättern gewidmet wird, und durch
den Tadel, dem es hie und da begegnet, erhöhte Bedeutung erhält. Im Prinzip
sind nämlich wohl alle Organe mit dem Redner einverstanden, nur deuten ein¬
zelne an, daß er ein wenig zu offenherzig gewesen sei, zu früh die Karten auf¬
gedeckt habe.

Versuchen wir den Gedankengang des polnischen Grafen zu skizziren. Der
Klub der polnischen Abgeordneten zum galizischen Landtage nimmt bei ihm
gewissermaßen die Stellung des Konvents ein. Die Fraktionsbeschlüsse sind für ,
jedermann bindend, für die polnischen Abgeordneten zum Reichsrat, für den H


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[0546] Polnische Offenherzigkeiten. die Schlacht«, noch ebensowenig jetzt wie früher in einem geordneten Staats¬ wesen zu brauchen sind, und daß sie jedes ihnen gemachte Zugeständnis mi߬ brauchen. Es kränkt sie vermutlich, daß über den wütenden Piuselkrieg des Herrn Matejko gegen Deutschtum und Farbenharmonie nur gelacht wird, sie wollen zeigen, daß sie lauter Matejkos sind, gleichviel, ob sie in schweizer Kon- ventikeln oder im österreichischen Reichsrate Politik machen. Österreich ist in seinen Konzessionen an die Polen bis an die äußerste Grenze gegangen. Es hat ihnen gestattet, ganz Galizien zu polonisiren, hat ihnen die reichstreuen Ruthenen preisgegeben. Millionen und Millionen, von den andern Kronländern aufgebracht, in das Land gesteckt, welches allen andern gegenüber eine Sonderstellung bis zu eigner Vertretung im Rate der Krone genießt. Und der Dank ist die permanente Klage über Zurücksetzung, die Be¬ hauptung, daß das zu Zeiten der Republik blühende (!) Land unter österreichischer Herrschaft verkümmert sei, die Proklamirnng des Kampfes gegen das Ger¬ manentum. Im Jahre 1848 machten die polnischen Abgeordneten gemeinsame Sache mit den deutschen Radikalen, und als nach zwölfjähriger Pause abermals eine Reichsvertretung einberufen wurde, meinten die letzteren wieder auf die alte Waffenbrüderschaft rechnen zu dürfen. Das Gegenteil trat ein. Damals mochten die Polen gehofft haben, zur Sprengung des österreichischen Länderkomplexes den Parlamentarismus zu benutzen; 1861 standen sie einer Negierung gegen¬ über, welche den Bachschen Einheitsstaat aufrecht erhalten wollte, wenn auch mit Anwendung konstitutioneller Formen, und die große Mehrheit der Deut¬ schen stand insoweit hinter jener Negierung, strebte nur die Vermehrung poli¬ tischer Rechte an. Damit konnte den Polen nicht gedient sein. Sie zogen sich gänzlich auf den nationalen Standpunkt zurück und wußten bald von der Ne¬ gierung, bald von den Liberalen Geschenke zu erwirken, ohne je den erhofften Gegendienst zu leisten. Nun fühlen sie sich stark genug, um jede Rücksicht beiseite zu werfen. Ein hervorragendes Mitglied des Reichsrates, Graf Dzieduszyeki, hat in den letzten Augusttagen vor seinen Wählern in Stanislau ein Programm entwickelt, welches an Deutlichkeit nicht das geringste zu wünschen läßt und durch den Beifall, der ihm von den meisten polnischen Blättern gewidmet wird, und durch den Tadel, dem es hie und da begegnet, erhöhte Bedeutung erhält. Im Prinzip sind nämlich wohl alle Organe mit dem Redner einverstanden, nur deuten ein¬ zelne an, daß er ein wenig zu offenherzig gewesen sei, zu früh die Karten auf¬ gedeckt habe. Versuchen wir den Gedankengang des polnischen Grafen zu skizziren. Der Klub der polnischen Abgeordneten zum galizischen Landtage nimmt bei ihm gewissermaßen die Stellung des Konvents ein. Die Fraktionsbeschlüsse sind für , jedermann bindend, für die polnischen Abgeordneten zum Reichsrat, für den H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/546>, abgerufen am 27.09.2024.