Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Die Lngel auf Erden. Sie zuckte mit den Achseln, als ob sie über sich selbst Mitleid empfände, Diese Worte vermehrten ihren peinlichen Verdacht, erweckten aber auch Das Blut gerann in ihren Adern; sie stand unbeweglich da und starrte Es ist unmöglich! sagte sie, als sie wieder zu sich kam. Er noch am Völlig betäubt und ratlos sank sie auf einen Sessel. Ihr ganzes Glück Aber die wackere Frau blieb nicht lange unter diesem plötzlichen Drucke. Rina! Ich bin es. Ich kehre aus fernen Ländern, nach langen und unglücklichen Ich verlange nach dir! Nach dir und meinem Sohne! Ich bereite alles Dein Gatte Bartolommco Mcmdozzi. Rina war wie von Sinnen, und alles sträubte sich in ihr, an die traurige Mit ihm abreisen! Sich diesem Menschen wieder beigesellen, der ihr so Die Lngel auf Erden. Sie zuckte mit den Achseln, als ob sie über sich selbst Mitleid empfände, Diese Worte vermehrten ihren peinlichen Verdacht, erweckten aber auch Das Blut gerann in ihren Adern; sie stand unbeweglich da und starrte Es ist unmöglich! sagte sie, als sie wieder zu sich kam. Er noch am Völlig betäubt und ratlos sank sie auf einen Sessel. Ihr ganzes Glück Aber die wackere Frau blieb nicht lange unter diesem plötzlichen Drucke. Rina! Ich bin es. Ich kehre aus fernen Ländern, nach langen und unglücklichen Ich verlange nach dir! Nach dir und meinem Sohne! Ich bereite alles Dein Gatte Bartolommco Mcmdozzi. Rina war wie von Sinnen, und alles sträubte sich in ihr, an die traurige Mit ihm abreisen! Sich diesem Menschen wieder beigesellen, der ihr so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156811"/> <fw type="header" place="top"> Die Lngel auf Erden.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2443"> Sie zuckte mit den Achseln, als ob sie über sich selbst Mitleid empfände,<lb/> und stand im Begriffe, das Siegel zu lösen, aber eine unüberwindliche Angst<lb/> hielt sie davon ab. Sie rief die Dienerin und fragte, wer das Billet dorthin<lb/> gelegt habe. Die Antwort war, daß es kurz vorher ein Mann gebracht habe,<lb/> der es ihr als eine Sache von der höchsten Wichtigkeit empfohlen und hinzu¬<lb/> gesetzt habe, daß es die gnädige Frau sofort lesen müsse.</p><lb/> <p xml:id="ID_2444"> Diese Worte vermehrten ihren peinlichen Verdacht, erweckten aber auch<lb/> zugleich ihre Neugierde. Sie ließ die Dienerin gehen und entsiegelte mit zit¬<lb/> ternden Händen das Billet, und mit Herzklopfen und unruhigem Auge sah sie<lb/> nach der Unterschrift. Es war der Name ihres tvtgeglaubten Mannes!</p><lb/> <p xml:id="ID_2445"> Das Blut gerann in ihren Adern; sie stand unbeweglich da und starrte<lb/> mit weitgeöffneten Augen auf die verhängnisvollen Schriftzüge.</p><lb/> <p xml:id="ID_2446"> Es ist unmöglich! sagte sie, als sie wieder zu sich kam. Er noch am<lb/> Leben! Er hier! O mein Gott!</p><lb/> <p xml:id="ID_2447"> Völlig betäubt und ratlos sank sie auf einen Sessel. Ihr ganzes Glück<lb/> entschwand ihr wie ein Traum, das Unglück packte sie wieder. Die Toten<lb/> standen aus ihren Gräbern auf!</p><lb/> <p xml:id="ID_2448"> Aber die wackere Frau blieb nicht lange unter diesem plötzlichen Drucke.<lb/> Ein Funke von Hoffnung glimmte noch in ihrem Herzen. Es konnte ein Irr¬<lb/> tum, eine Täuschung sein! Sie entfaltete das Blatt Papier, welches sie in<lb/> ihrer Aufregung ganz zerknittert hatte, von neuem, und las folgendes:</p><lb/> <note type="salute"> Rina!</note><lb/> <p xml:id="ID_2449"> Ich bin es. Ich kehre aus fernen Ländern, nach langen und unglücklichen<lb/> Wanderungen zurück. Warum es mir gefiel, mich für tot auszugeben, werde<lb/> ich dir demnächst erklären. Es wäre für dich — vielleicht auch für mich —<lb/> besser gewesen, wenn ich es war. Ich weiß jetzt, daß man mit dem Tode nicht<lb/> scherzen soll. Er hat mich bestraft, indem er mich in deinem Herzen tötete.<lb/> Aber ich lebe noch, bin unglücklich und habe dich wiedergesehen! Ich muß<lb/> noch einen glücklichen Augenblick des Lebens genießen, ich fühle, daß ich dich<lb/> mehr liebe als je, und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen gehörst du mir.</p><lb/> <p xml:id="ID_2450"> Ich verlange nach dir! Nach dir und meinem Sohne! Ich bereite alles<lb/> zu unsrer Abreise noch hente Nacht vor. Du hast schon viel zu lange im Ge-<lb/> klatsche der albernen Welt gelebt. Ich raube dich Freunden und Feinden. Du<lb/> bist mein Weib. Ich werde dich gegen jedermann zu behaupten wissen. Um<lb/> zehn Uhr werde ich bei dir sein. Inzwischen bereite dich vor. Ich weiß, daß<lb/> du eine fromme Frau bist und auf die Stimme der Pflicht hören wirst, auch<lb/> wenn ich ein Opfer von dir verlange.</p><lb/> <note type="closer"> Dein Gatte Bartolommco Mcmdozzi.</note><lb/> <p xml:id="ID_2451"> Rina war wie von Sinnen, und alles sträubte sich in ihr, an die traurige<lb/> Wirklichkeit zu glauben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2452" next="#ID_2453"> Mit ihm abreisen! Sich diesem Menschen wieder beigesellen, der ihr so<lb/> vieles Herzeleid bereitet hatte! War das nicht, als wenn sie sich für ihr ganzes<lb/> Leben einem unheilbaren Unglücke weihte? Er hatte den heiligen Namen der<lb/> Pflicht angerufen, um sie zu dem zu bewegen, was er selbst ein Opfer nannte;<lb/> wie konnte er ein solches, ach nur zu grausames Geschick ihr auferlegen? Wie<lb/> durfte er, der alle seine Pflichten verletzt hatte, es wagen, von Pflichten zu<lb/> sprechen? Sollte sie den: Glücke entsagen, welches ihr so nahe geschienen und<lb/> versprochen hatte, ihr einsames Leben zu verschönen? Der Himmel konnte<lb/> nicht so unerbittlich sein, von ihr zu verlangen, was über ihre Kräfte ging,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
Die Lngel auf Erden.
Sie zuckte mit den Achseln, als ob sie über sich selbst Mitleid empfände,
und stand im Begriffe, das Siegel zu lösen, aber eine unüberwindliche Angst
hielt sie davon ab. Sie rief die Dienerin und fragte, wer das Billet dorthin
gelegt habe. Die Antwort war, daß es kurz vorher ein Mann gebracht habe,
der es ihr als eine Sache von der höchsten Wichtigkeit empfohlen und hinzu¬
gesetzt habe, daß es die gnädige Frau sofort lesen müsse.
Diese Worte vermehrten ihren peinlichen Verdacht, erweckten aber auch
zugleich ihre Neugierde. Sie ließ die Dienerin gehen und entsiegelte mit zit¬
ternden Händen das Billet, und mit Herzklopfen und unruhigem Auge sah sie
nach der Unterschrift. Es war der Name ihres tvtgeglaubten Mannes!
Das Blut gerann in ihren Adern; sie stand unbeweglich da und starrte
mit weitgeöffneten Augen auf die verhängnisvollen Schriftzüge.
Es ist unmöglich! sagte sie, als sie wieder zu sich kam. Er noch am
Leben! Er hier! O mein Gott!
Völlig betäubt und ratlos sank sie auf einen Sessel. Ihr ganzes Glück
entschwand ihr wie ein Traum, das Unglück packte sie wieder. Die Toten
standen aus ihren Gräbern auf!
Aber die wackere Frau blieb nicht lange unter diesem plötzlichen Drucke.
Ein Funke von Hoffnung glimmte noch in ihrem Herzen. Es konnte ein Irr¬
tum, eine Täuschung sein! Sie entfaltete das Blatt Papier, welches sie in
ihrer Aufregung ganz zerknittert hatte, von neuem, und las folgendes:
Rina!
Ich bin es. Ich kehre aus fernen Ländern, nach langen und unglücklichen
Wanderungen zurück. Warum es mir gefiel, mich für tot auszugeben, werde
ich dir demnächst erklären. Es wäre für dich — vielleicht auch für mich —
besser gewesen, wenn ich es war. Ich weiß jetzt, daß man mit dem Tode nicht
scherzen soll. Er hat mich bestraft, indem er mich in deinem Herzen tötete.
Aber ich lebe noch, bin unglücklich und habe dich wiedergesehen! Ich muß
noch einen glücklichen Augenblick des Lebens genießen, ich fühle, daß ich dich
mehr liebe als je, und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen gehörst du mir.
Ich verlange nach dir! Nach dir und meinem Sohne! Ich bereite alles
zu unsrer Abreise noch hente Nacht vor. Du hast schon viel zu lange im Ge-
klatsche der albernen Welt gelebt. Ich raube dich Freunden und Feinden. Du
bist mein Weib. Ich werde dich gegen jedermann zu behaupten wissen. Um
zehn Uhr werde ich bei dir sein. Inzwischen bereite dich vor. Ich weiß, daß
du eine fromme Frau bist und auf die Stimme der Pflicht hören wirst, auch
wenn ich ein Opfer von dir verlange.
Dein Gatte Bartolommco Mcmdozzi.
Rina war wie von Sinnen, und alles sträubte sich in ihr, an die traurige
Wirklichkeit zu glauben.
Mit ihm abreisen! Sich diesem Menschen wieder beigesellen, der ihr so
vieles Herzeleid bereitet hatte! War das nicht, als wenn sie sich für ihr ganzes
Leben einem unheilbaren Unglücke weihte? Er hatte den heiligen Namen der
Pflicht angerufen, um sie zu dem zu bewegen, was er selbst ein Opfer nannte;
wie konnte er ein solches, ach nur zu grausames Geschick ihr auferlegen? Wie
durfte er, der alle seine Pflichten verletzt hatte, es wagen, von Pflichten zu
sprechen? Sollte sie den: Glücke entsagen, welches ihr so nahe geschienen und
versprochen hatte, ihr einsames Leben zu verschönen? Der Himmel konnte
nicht so unerbittlich sein, von ihr zu verlangen, was über ihre Kräfte ging,
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