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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Cornelius und das lVeltgericht.

ist. Beobachtet man zugleich, wie mit dieser Entwicklung ein rapid zunehmendes
Wachstum an Inhaltslosigkeit und Unbedeutendheit der Motive hervortritt, die
sich nur verhältnismäßig selten über das Alltägliche des Lebens erheben und
dann meist nur so, daß sie an historisch Bedeutendes anknüpfen, während die
eigentliche dichterische Schöpfung sich am liebsten auf die äußere Erscheinung
beschränkt, so schließt sich wohl von selbst die weitere Frage daran, ob Cornelius
in der That bereits als überwundener, nur einer historischen Betrachtung
würdiger Gegenstand betrachtet werden müsse, oder ob er nicht doch noch ein
recht wertvolles, bedeutsames Element in der Kunstentwicklung zu sein berechtigt
sei, dessen höhere Beachtung, dessen eifriges, ebensoweit von Vergötterung wie
von Verwerfung entferntes Studium niemand mehr von Nutzen sein könnte als
der Kunst und den Künstlern selbst. Die wirklich großen Meister haben es
wie die wahrhaft großen Staaten von jeher verstanden, alle keimfähigen Ele-
mente aufzunehmen und in sich ihrer eignen Natur gemäß zu verarbeiten, von
Malern wohl keiner in höherm Grade als der gerade dadurch in seiner Ent¬
wicklung rastlos vorwärtsschreitende Rasfael; an dem Großen und Bedeutenden
aber einfach vorübergehen, weil es nach einer andern Richtung hinlenkt, führt
notwendig zur Einseitigkeit und Kleinlichkeit. Sollte daher eine maßvolle Rück¬
kehr zu Cornelius, eine Wiederanknüpfung an das, was ihm bleibend als groß
angehört, ohne das zu verkennen, was ihm als Schwäche und Verkennung
anhaftet, nicht ein frischer Lebenskeim der Malerei werden können, so wie sein
eignes Auftreten unleugbar ein solcher gewesen ist? Der richtige Weg dazu
möchte sein, sich in vorurteilsfreier Weise die Stellung klar zu macheu, welche
Cornelius in der Kunstentwicklung einnimmt. Nur wenn man sieht, wie er
seine Kunst aufgefaßt und verwendet hat, welche Stellung er für sie in Anspruch
genommen und welche Stellung sie thatsächlich einnimmt, läßt sich erkennen,
inwieweit er im Widerspruch mit seiner und unsrer Zeit steht, was an ihm
nicht nur groß, sondern auch bleibend ist.

Von allen seinen Werken möchte gerade nach dieser Seite hin den besten
Einblick in sein Denken und Schaffen das Werk gewähren, auf dessen Wirkung
er wohl die größte Hoffnung gesetzt hat und dessen Erfolg der am wenigsten
bedeutende, wenigstens der am mindesten allgemein anerkannte war. Das "Welt¬
gericht" in der Ludwigskirche in München, von Cornelius ganz eigenhändig aus¬
geführt, sollte seinen zweifelhaft gewordenen Ruf als Maler wiederherstellen
und hat gezeigt, daß gerade das malerische Element seine schwächste Seite war.
Es sollte beweisen, wie die volle Kraft des Meisters sich erst auf religiösem
Gebiete entfalten werde, und hat geoffenbart, daß diese Kraftentfaltung nicht
in dem Sinne wirkte, welchen der Meister voraussetzte, daß die Mitwelt -- und
wir können uns noch nicht als Nachwelt fühlen -- das große Werk zwar be¬
wunderte, aber ihm gegenüber doch kalt blieb. Es sollte die schwankende Stellung
des Künstlers in München aufs neue befestigen und ist der nächste Anlaß ge-


Cornelius und das lVeltgericht.

ist. Beobachtet man zugleich, wie mit dieser Entwicklung ein rapid zunehmendes
Wachstum an Inhaltslosigkeit und Unbedeutendheit der Motive hervortritt, die
sich nur verhältnismäßig selten über das Alltägliche des Lebens erheben und
dann meist nur so, daß sie an historisch Bedeutendes anknüpfen, während die
eigentliche dichterische Schöpfung sich am liebsten auf die äußere Erscheinung
beschränkt, so schließt sich wohl von selbst die weitere Frage daran, ob Cornelius
in der That bereits als überwundener, nur einer historischen Betrachtung
würdiger Gegenstand betrachtet werden müsse, oder ob er nicht doch noch ein
recht wertvolles, bedeutsames Element in der Kunstentwicklung zu sein berechtigt
sei, dessen höhere Beachtung, dessen eifriges, ebensoweit von Vergötterung wie
von Verwerfung entferntes Studium niemand mehr von Nutzen sein könnte als
der Kunst und den Künstlern selbst. Die wirklich großen Meister haben es
wie die wahrhaft großen Staaten von jeher verstanden, alle keimfähigen Ele-
mente aufzunehmen und in sich ihrer eignen Natur gemäß zu verarbeiten, von
Malern wohl keiner in höherm Grade als der gerade dadurch in seiner Ent¬
wicklung rastlos vorwärtsschreitende Rasfael; an dem Großen und Bedeutenden
aber einfach vorübergehen, weil es nach einer andern Richtung hinlenkt, führt
notwendig zur Einseitigkeit und Kleinlichkeit. Sollte daher eine maßvolle Rück¬
kehr zu Cornelius, eine Wiederanknüpfung an das, was ihm bleibend als groß
angehört, ohne das zu verkennen, was ihm als Schwäche und Verkennung
anhaftet, nicht ein frischer Lebenskeim der Malerei werden können, so wie sein
eignes Auftreten unleugbar ein solcher gewesen ist? Der richtige Weg dazu
möchte sein, sich in vorurteilsfreier Weise die Stellung klar zu macheu, welche
Cornelius in der Kunstentwicklung einnimmt. Nur wenn man sieht, wie er
seine Kunst aufgefaßt und verwendet hat, welche Stellung er für sie in Anspruch
genommen und welche Stellung sie thatsächlich einnimmt, läßt sich erkennen,
inwieweit er im Widerspruch mit seiner und unsrer Zeit steht, was an ihm
nicht nur groß, sondern auch bleibend ist.

Von allen seinen Werken möchte gerade nach dieser Seite hin den besten
Einblick in sein Denken und Schaffen das Werk gewähren, auf dessen Wirkung
er wohl die größte Hoffnung gesetzt hat und dessen Erfolg der am wenigsten
bedeutende, wenigstens der am mindesten allgemein anerkannte war. Das „Welt¬
gericht" in der Ludwigskirche in München, von Cornelius ganz eigenhändig aus¬
geführt, sollte seinen zweifelhaft gewordenen Ruf als Maler wiederherstellen
und hat gezeigt, daß gerade das malerische Element seine schwächste Seite war.
Es sollte beweisen, wie die volle Kraft des Meisters sich erst auf religiösem
Gebiete entfalten werde, und hat geoffenbart, daß diese Kraftentfaltung nicht
in dem Sinne wirkte, welchen der Meister voraussetzte, daß die Mitwelt — und
wir können uns noch nicht als Nachwelt fühlen — das große Werk zwar be¬
wunderte, aber ihm gegenüber doch kalt blieb. Es sollte die schwankende Stellung
des Künstlers in München aufs neue befestigen und ist der nächste Anlaß ge-


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[0532] Cornelius und das lVeltgericht. ist. Beobachtet man zugleich, wie mit dieser Entwicklung ein rapid zunehmendes Wachstum an Inhaltslosigkeit und Unbedeutendheit der Motive hervortritt, die sich nur verhältnismäßig selten über das Alltägliche des Lebens erheben und dann meist nur so, daß sie an historisch Bedeutendes anknüpfen, während die eigentliche dichterische Schöpfung sich am liebsten auf die äußere Erscheinung beschränkt, so schließt sich wohl von selbst die weitere Frage daran, ob Cornelius in der That bereits als überwundener, nur einer historischen Betrachtung würdiger Gegenstand betrachtet werden müsse, oder ob er nicht doch noch ein recht wertvolles, bedeutsames Element in der Kunstentwicklung zu sein berechtigt sei, dessen höhere Beachtung, dessen eifriges, ebensoweit von Vergötterung wie von Verwerfung entferntes Studium niemand mehr von Nutzen sein könnte als der Kunst und den Künstlern selbst. Die wirklich großen Meister haben es wie die wahrhaft großen Staaten von jeher verstanden, alle keimfähigen Ele- mente aufzunehmen und in sich ihrer eignen Natur gemäß zu verarbeiten, von Malern wohl keiner in höherm Grade als der gerade dadurch in seiner Ent¬ wicklung rastlos vorwärtsschreitende Rasfael; an dem Großen und Bedeutenden aber einfach vorübergehen, weil es nach einer andern Richtung hinlenkt, führt notwendig zur Einseitigkeit und Kleinlichkeit. Sollte daher eine maßvolle Rück¬ kehr zu Cornelius, eine Wiederanknüpfung an das, was ihm bleibend als groß angehört, ohne das zu verkennen, was ihm als Schwäche und Verkennung anhaftet, nicht ein frischer Lebenskeim der Malerei werden können, so wie sein eignes Auftreten unleugbar ein solcher gewesen ist? Der richtige Weg dazu möchte sein, sich in vorurteilsfreier Weise die Stellung klar zu macheu, welche Cornelius in der Kunstentwicklung einnimmt. Nur wenn man sieht, wie er seine Kunst aufgefaßt und verwendet hat, welche Stellung er für sie in Anspruch genommen und welche Stellung sie thatsächlich einnimmt, läßt sich erkennen, inwieweit er im Widerspruch mit seiner und unsrer Zeit steht, was an ihm nicht nur groß, sondern auch bleibend ist. Von allen seinen Werken möchte gerade nach dieser Seite hin den besten Einblick in sein Denken und Schaffen das Werk gewähren, auf dessen Wirkung er wohl die größte Hoffnung gesetzt hat und dessen Erfolg der am wenigsten bedeutende, wenigstens der am mindesten allgemein anerkannte war. Das „Welt¬ gericht" in der Ludwigskirche in München, von Cornelius ganz eigenhändig aus¬ geführt, sollte seinen zweifelhaft gewordenen Ruf als Maler wiederherstellen und hat gezeigt, daß gerade das malerische Element seine schwächste Seite war. Es sollte beweisen, wie die volle Kraft des Meisters sich erst auf religiösem Gebiete entfalten werde, und hat geoffenbart, daß diese Kraftentfaltung nicht in dem Sinne wirkte, welchen der Meister voraussetzte, daß die Mitwelt — und wir können uns noch nicht als Nachwelt fühlen — das große Werk zwar be¬ wunderte, aber ihm gegenüber doch kalt blieb. Es sollte die schwankende Stellung des Künstlers in München aufs neue befestigen und ist der nächste Anlaß ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/532>, abgerufen am 27.09.2024.