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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die landwirtschaftliche Muster-Lnquete in Baden.

Auswanderung oder auf andre Weise der Entstehung eines Mißverhältnisses
zwischen Bodenfläche und Einwohnerzahl vorzubeugen wäre.

Was den Einfluß der Boden- und Klimaverhältnisse auf den Wohlstand
der ansässigen Bevölkerung betrifft, so finden wir in dem badischen Erhebungs¬
berichte die auffallende Behauptung, daß derselbe nicht so bedeutend sei, als man
von vornherein anzunehmen geneigt sei. Nun geben wir ja gern zu, daß ein
guter Wirtschafter auf schlechtem Boden unter Umständen bessere Resultate er¬
zielen mag, als ein schlechter Wirtschafter auf gutem Boden. Ebenso mag der
Rohertrag aus dem gleichen Grundkapital auf gutem und auf schlechtem Boden
nicht so verschieden sein, wie man denken könnte, da ja dies Grundkapital auf
schlechtem Boden eine größere Fläche repräsentirt als auf gutem. Will der
Erhebungsbericht nur dies sagen, so stimmen wir bei; aber er hätte dann
eigentlich nur Selbstverständliches konstatirt. Soll dagegen behauptet werden,
daß es in der Hand des Landwirtes liege, auf schlechtem Boden und bei un¬
günstigem Klima durch seine persönliche Tüchtigkeit einer gegebenen Fläche auch
nur annähernd den gleichen Ertrag abzugewinnen, welchen diese Fläche bei gutem
Boden und günstigem Klima unter normaler Bewirtschaftung liefern würde, fo
können wir dies unmöglich ernst nehmen. Man braucht nur zwischen Pfalz
und Odenwald einen Vergleich zu ziehen, um den ungeheuern Unterschied, welchen
Boden und Klima bewirken, in seiner ganzen Tragweite zu erkennen. Wir können
in der That kaum glauben, daß der Erhebungsbericht hier einer irrigen Auf¬
fassung, die doch auf der Hand liegen würde, Raum geben wollte. Auch hätten
wir es vermieden, uns über eine so selbstverständliche Sache weiter auszulassen,
wenn nicht die Frage, ob und wo die ungünstigen Zeitverhältnisse durch schlechte
Boden- und Klimaverhältnisse noch gesteigert werden, für Baden und wohl auch
für andre Gegenden Deutschlands einen ganz realen Hintergrund hätte. In
unsrer -- wie von der Regierung mit Bereitwilligkeit anerkannt wurde -- vielfach
unzutreffender Grundsteuereinschätzung kommen nämlich die Verschiedenheiten der
Boden- und Klimaverhältnisse bei weitem nicht genügend zum Ausdruck, und
wenn es nun ein anerkannter Satz werden sollte, daß diese Verschiedenheiten
bei weitem kein so großes Gewicht hätten, als man insgemein annehme, so
könnte dies bei einer dereinstigen Erneuerung der Grundstenereinschätzung, welche
unausbleiblich erscheint, von Übeln Folgen werden. Abgesehen von dieseni Be¬
denken, das zunächst für badische Verhältnisse maßgebend ist, dürfte es doch auch
sonst den Bewohnern weniger gesegneten Gegenden nicht ganz gleichgiltig sein,
ob die erschwerenden Bedingungen, unter welchen sie den jetzigen Notstand durch¬
kämpfen müssen, anerkannt und bei etwaigen Abhilfemaßregeln irgendwelcher
Art mit in Rechnung gezogen werden oder nicht. Es dürfte sonach auch dieser
Punkt bei den Erhebungen anderwärts volle Beachtung verdienen.

Daß übrigens die Darstellung der badischen Erhebungsresultatc die Be¬
deutung der Bodenunterschiede nicht allzusehr heruntersetzen will, beweist der


Die landwirtschaftliche Muster-Lnquete in Baden.

Auswanderung oder auf andre Weise der Entstehung eines Mißverhältnisses
zwischen Bodenfläche und Einwohnerzahl vorzubeugen wäre.

Was den Einfluß der Boden- und Klimaverhältnisse auf den Wohlstand
der ansässigen Bevölkerung betrifft, so finden wir in dem badischen Erhebungs¬
berichte die auffallende Behauptung, daß derselbe nicht so bedeutend sei, als man
von vornherein anzunehmen geneigt sei. Nun geben wir ja gern zu, daß ein
guter Wirtschafter auf schlechtem Boden unter Umständen bessere Resultate er¬
zielen mag, als ein schlechter Wirtschafter auf gutem Boden. Ebenso mag der
Rohertrag aus dem gleichen Grundkapital auf gutem und auf schlechtem Boden
nicht so verschieden sein, wie man denken könnte, da ja dies Grundkapital auf
schlechtem Boden eine größere Fläche repräsentirt als auf gutem. Will der
Erhebungsbericht nur dies sagen, so stimmen wir bei; aber er hätte dann
eigentlich nur Selbstverständliches konstatirt. Soll dagegen behauptet werden,
daß es in der Hand des Landwirtes liege, auf schlechtem Boden und bei un¬
günstigem Klima durch seine persönliche Tüchtigkeit einer gegebenen Fläche auch
nur annähernd den gleichen Ertrag abzugewinnen, welchen diese Fläche bei gutem
Boden und günstigem Klima unter normaler Bewirtschaftung liefern würde, fo
können wir dies unmöglich ernst nehmen. Man braucht nur zwischen Pfalz
und Odenwald einen Vergleich zu ziehen, um den ungeheuern Unterschied, welchen
Boden und Klima bewirken, in seiner ganzen Tragweite zu erkennen. Wir können
in der That kaum glauben, daß der Erhebungsbericht hier einer irrigen Auf¬
fassung, die doch auf der Hand liegen würde, Raum geben wollte. Auch hätten
wir es vermieden, uns über eine so selbstverständliche Sache weiter auszulassen,
wenn nicht die Frage, ob und wo die ungünstigen Zeitverhältnisse durch schlechte
Boden- und Klimaverhältnisse noch gesteigert werden, für Baden und wohl auch
für andre Gegenden Deutschlands einen ganz realen Hintergrund hätte. In
unsrer — wie von der Regierung mit Bereitwilligkeit anerkannt wurde — vielfach
unzutreffender Grundsteuereinschätzung kommen nämlich die Verschiedenheiten der
Boden- und Klimaverhältnisse bei weitem nicht genügend zum Ausdruck, und
wenn es nun ein anerkannter Satz werden sollte, daß diese Verschiedenheiten
bei weitem kein so großes Gewicht hätten, als man insgemein annehme, so
könnte dies bei einer dereinstigen Erneuerung der Grundstenereinschätzung, welche
unausbleiblich erscheint, von Übeln Folgen werden. Abgesehen von dieseni Be¬
denken, das zunächst für badische Verhältnisse maßgebend ist, dürfte es doch auch
sonst den Bewohnern weniger gesegneten Gegenden nicht ganz gleichgiltig sein,
ob die erschwerenden Bedingungen, unter welchen sie den jetzigen Notstand durch¬
kämpfen müssen, anerkannt und bei etwaigen Abhilfemaßregeln irgendwelcher
Art mit in Rechnung gezogen werden oder nicht. Es dürfte sonach auch dieser
Punkt bei den Erhebungen anderwärts volle Beachtung verdienen.

Daß übrigens die Darstellung der badischen Erhebungsresultatc die Be¬
deutung der Bodenunterschiede nicht allzusehr heruntersetzen will, beweist der


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[0456] Die landwirtschaftliche Muster-Lnquete in Baden. Auswanderung oder auf andre Weise der Entstehung eines Mißverhältnisses zwischen Bodenfläche und Einwohnerzahl vorzubeugen wäre. Was den Einfluß der Boden- und Klimaverhältnisse auf den Wohlstand der ansässigen Bevölkerung betrifft, so finden wir in dem badischen Erhebungs¬ berichte die auffallende Behauptung, daß derselbe nicht so bedeutend sei, als man von vornherein anzunehmen geneigt sei. Nun geben wir ja gern zu, daß ein guter Wirtschafter auf schlechtem Boden unter Umständen bessere Resultate er¬ zielen mag, als ein schlechter Wirtschafter auf gutem Boden. Ebenso mag der Rohertrag aus dem gleichen Grundkapital auf gutem und auf schlechtem Boden nicht so verschieden sein, wie man denken könnte, da ja dies Grundkapital auf schlechtem Boden eine größere Fläche repräsentirt als auf gutem. Will der Erhebungsbericht nur dies sagen, so stimmen wir bei; aber er hätte dann eigentlich nur Selbstverständliches konstatirt. Soll dagegen behauptet werden, daß es in der Hand des Landwirtes liege, auf schlechtem Boden und bei un¬ günstigem Klima durch seine persönliche Tüchtigkeit einer gegebenen Fläche auch nur annähernd den gleichen Ertrag abzugewinnen, welchen diese Fläche bei gutem Boden und günstigem Klima unter normaler Bewirtschaftung liefern würde, fo können wir dies unmöglich ernst nehmen. Man braucht nur zwischen Pfalz und Odenwald einen Vergleich zu ziehen, um den ungeheuern Unterschied, welchen Boden und Klima bewirken, in seiner ganzen Tragweite zu erkennen. Wir können in der That kaum glauben, daß der Erhebungsbericht hier einer irrigen Auf¬ fassung, die doch auf der Hand liegen würde, Raum geben wollte. Auch hätten wir es vermieden, uns über eine so selbstverständliche Sache weiter auszulassen, wenn nicht die Frage, ob und wo die ungünstigen Zeitverhältnisse durch schlechte Boden- und Klimaverhältnisse noch gesteigert werden, für Baden und wohl auch für andre Gegenden Deutschlands einen ganz realen Hintergrund hätte. In unsrer — wie von der Regierung mit Bereitwilligkeit anerkannt wurde — vielfach unzutreffender Grundsteuereinschätzung kommen nämlich die Verschiedenheiten der Boden- und Klimaverhältnisse bei weitem nicht genügend zum Ausdruck, und wenn es nun ein anerkannter Satz werden sollte, daß diese Verschiedenheiten bei weitem kein so großes Gewicht hätten, als man insgemein annehme, so könnte dies bei einer dereinstigen Erneuerung der Grundstenereinschätzung, welche unausbleiblich erscheint, von Übeln Folgen werden. Abgesehen von dieseni Be¬ denken, das zunächst für badische Verhältnisse maßgebend ist, dürfte es doch auch sonst den Bewohnern weniger gesegneten Gegenden nicht ganz gleichgiltig sein, ob die erschwerenden Bedingungen, unter welchen sie den jetzigen Notstand durch¬ kämpfen müssen, anerkannt und bei etwaigen Abhilfemaßregeln irgendwelcher Art mit in Rechnung gezogen werden oder nicht. Es dürfte sonach auch dieser Punkt bei den Erhebungen anderwärts volle Beachtung verdienen. Daß übrigens die Darstellung der badischen Erhebungsresultatc die Be¬ deutung der Bodenunterschiede nicht allzusehr heruntersetzen will, beweist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/456>, abgerufen am 27.06.2024.