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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Drdensadel.

die Söhne anders. Man klagt im allgemeinen, daß so selten ein größeres
gewerbliches oder Handelsunternehmen durch mehrere Generationen bei einer
Familie bleibt, sei es, daß der Geschäftssinn sich nicht vererbt, Söhne oder
Enkel "höher hinaus wollen," andre Berufszweige ergreifen oder das von ihren
Vorgängern sauer Erworbene leichtfertig vergeuden. Und wie sehr werden solche
Neigungen und Verirrungen durch den Besitz der drei Buchstaben vor dem
Namen begünstigt! In den Augen der Schulbuben pflegt es glücklicherweise
noch keinen Unterschied zu machen, ob einer der Ihrigen Hans Grundhuber oder
Ritter von Grundhuber heißt, sondern ob er gescheit, mutig, aufrichtig ist oder
nicht; aber es giebt Lehrer, welche dem adelichen Burschen mit einer gewissen
Ehrerbietung begegnen, besonders wenn der Adel eine solide Basis hat. Und
wie dem sei, in den Klassenbüchern, auf den Zeugnissen u. s. w. erhält der junge
Herr einen Titel, der ihn für schlechte Noten entschädigt; Dienstboten, abhängige
oder interessirte Personen aller Art pflegen den leicht aufkeimenden Dünkel;
heranwachsend hält der junge Ritter' sich zu "Seinesgleichen," dient sein Jahr
bei der Kavallerie ab, wo Kameraden von älteren Adel, aber schwache-rin Wechsel
ihm begreiflich machen, was er seinem Stande schuldig sei. Ein "Kavalier"
kann doch kein Krämer sein, darf höchstens das einträgliche Geschäft von andern
betreiben lassen. Die Folgen ergeben sich von selbst. Und das Beispiel wirkt
ansteckend, umsomehr als das Streben aus der natürlichen Sphäre hinaus eine
Signatur unsrer Zeit ist und durch manche unsrer gepriesenen Einrichtungen
verhängnisvoll genährt wird. Die Länder ohne Bürgerstand liegen uns so
nahe, daß wir uns durch die dortigen Zustände warnen lassen könnten, aber
der Einzelne meint, ihn gehe das nichts an, die andern, nicht zu höherem ge¬
borenen mögen hübsch bei ihrem Leisten bleiben; und die Regierenden --

Die letztern haben jetzt ein Einsehen in der Beziehung gezeigt, welche diese
Betrachtungen veranlaßt hat, und das möchten wir gern als eine Bürgschaft für
weiteres nehmen. Durch kaiserliche Entschließung sind diejenigen Paragraphen der
Ordensstatuten, welche dem Besitzer des Stefcinsordens auf die Geheimratswürde
mit dem Titel Exellenz, dem des Leopolds- und des Eisernenkronen-Ordens auf
den erblichen Freiherrn- oder Ritterstand Anrecht verleihen, aufgehoben. Damit
ist eine abnorme, höchst bedenkliche Einrichtung aus der Welt geschafft, denn
unsers Wissens hängt an den entsprechenden Orden in andern Ländern, wie in
Baiern und Würtemberg, nur der persönliche Adel, was der Sache ein ganz
anderes Gesicht giebt. Welche Erwägungen zu dieser Entschließung geführt
haben, ist uns unbekannt, und keinesfalls kann sie wieder gut machen, was
durch den Mißbrauch verschuldet worden ist. Aber wenn auch spät, kommt die
Maßregel immer noch früh genug, um weiteres Unheil zu verhüten. Jene
Streber, welche es noch nicht zu einem der ersehnten Abzeichen gebracht hatten,
werden tief betrübt sein; wem es aber um gesunde Verhältnisse zu thun ist,
wer in dem -- politischer Vorrechte längst entkleideten -- Adel ein berechtigtes


Der Drdensadel.

die Söhne anders. Man klagt im allgemeinen, daß so selten ein größeres
gewerbliches oder Handelsunternehmen durch mehrere Generationen bei einer
Familie bleibt, sei es, daß der Geschäftssinn sich nicht vererbt, Söhne oder
Enkel „höher hinaus wollen," andre Berufszweige ergreifen oder das von ihren
Vorgängern sauer Erworbene leichtfertig vergeuden. Und wie sehr werden solche
Neigungen und Verirrungen durch den Besitz der drei Buchstaben vor dem
Namen begünstigt! In den Augen der Schulbuben pflegt es glücklicherweise
noch keinen Unterschied zu machen, ob einer der Ihrigen Hans Grundhuber oder
Ritter von Grundhuber heißt, sondern ob er gescheit, mutig, aufrichtig ist oder
nicht; aber es giebt Lehrer, welche dem adelichen Burschen mit einer gewissen
Ehrerbietung begegnen, besonders wenn der Adel eine solide Basis hat. Und
wie dem sei, in den Klassenbüchern, auf den Zeugnissen u. s. w. erhält der junge
Herr einen Titel, der ihn für schlechte Noten entschädigt; Dienstboten, abhängige
oder interessirte Personen aller Art pflegen den leicht aufkeimenden Dünkel;
heranwachsend hält der junge Ritter' sich zu „Seinesgleichen," dient sein Jahr
bei der Kavallerie ab, wo Kameraden von älteren Adel, aber schwache-rin Wechsel
ihm begreiflich machen, was er seinem Stande schuldig sei. Ein „Kavalier"
kann doch kein Krämer sein, darf höchstens das einträgliche Geschäft von andern
betreiben lassen. Die Folgen ergeben sich von selbst. Und das Beispiel wirkt
ansteckend, umsomehr als das Streben aus der natürlichen Sphäre hinaus eine
Signatur unsrer Zeit ist und durch manche unsrer gepriesenen Einrichtungen
verhängnisvoll genährt wird. Die Länder ohne Bürgerstand liegen uns so
nahe, daß wir uns durch die dortigen Zustände warnen lassen könnten, aber
der Einzelne meint, ihn gehe das nichts an, die andern, nicht zu höherem ge¬
borenen mögen hübsch bei ihrem Leisten bleiben; und die Regierenden —

Die letztern haben jetzt ein Einsehen in der Beziehung gezeigt, welche diese
Betrachtungen veranlaßt hat, und das möchten wir gern als eine Bürgschaft für
weiteres nehmen. Durch kaiserliche Entschließung sind diejenigen Paragraphen der
Ordensstatuten, welche dem Besitzer des Stefcinsordens auf die Geheimratswürde
mit dem Titel Exellenz, dem des Leopolds- und des Eisernenkronen-Ordens auf
den erblichen Freiherrn- oder Ritterstand Anrecht verleihen, aufgehoben. Damit
ist eine abnorme, höchst bedenkliche Einrichtung aus der Welt geschafft, denn
unsers Wissens hängt an den entsprechenden Orden in andern Ländern, wie in
Baiern und Würtemberg, nur der persönliche Adel, was der Sache ein ganz
anderes Gesicht giebt. Welche Erwägungen zu dieser Entschließung geführt
haben, ist uns unbekannt, und keinesfalls kann sie wieder gut machen, was
durch den Mißbrauch verschuldet worden ist. Aber wenn auch spät, kommt die
Maßregel immer noch früh genug, um weiteres Unheil zu verhüten. Jene
Streber, welche es noch nicht zu einem der ersehnten Abzeichen gebracht hatten,
werden tief betrübt sein; wem es aber um gesunde Verhältnisse zu thun ist,
wer in dem — politischer Vorrechte längst entkleideten — Adel ein berechtigtes


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[0452] Der Drdensadel. die Söhne anders. Man klagt im allgemeinen, daß so selten ein größeres gewerbliches oder Handelsunternehmen durch mehrere Generationen bei einer Familie bleibt, sei es, daß der Geschäftssinn sich nicht vererbt, Söhne oder Enkel „höher hinaus wollen," andre Berufszweige ergreifen oder das von ihren Vorgängern sauer Erworbene leichtfertig vergeuden. Und wie sehr werden solche Neigungen und Verirrungen durch den Besitz der drei Buchstaben vor dem Namen begünstigt! In den Augen der Schulbuben pflegt es glücklicherweise noch keinen Unterschied zu machen, ob einer der Ihrigen Hans Grundhuber oder Ritter von Grundhuber heißt, sondern ob er gescheit, mutig, aufrichtig ist oder nicht; aber es giebt Lehrer, welche dem adelichen Burschen mit einer gewissen Ehrerbietung begegnen, besonders wenn der Adel eine solide Basis hat. Und wie dem sei, in den Klassenbüchern, auf den Zeugnissen u. s. w. erhält der junge Herr einen Titel, der ihn für schlechte Noten entschädigt; Dienstboten, abhängige oder interessirte Personen aller Art pflegen den leicht aufkeimenden Dünkel; heranwachsend hält der junge Ritter' sich zu „Seinesgleichen," dient sein Jahr bei der Kavallerie ab, wo Kameraden von älteren Adel, aber schwache-rin Wechsel ihm begreiflich machen, was er seinem Stande schuldig sei. Ein „Kavalier" kann doch kein Krämer sein, darf höchstens das einträgliche Geschäft von andern betreiben lassen. Die Folgen ergeben sich von selbst. Und das Beispiel wirkt ansteckend, umsomehr als das Streben aus der natürlichen Sphäre hinaus eine Signatur unsrer Zeit ist und durch manche unsrer gepriesenen Einrichtungen verhängnisvoll genährt wird. Die Länder ohne Bürgerstand liegen uns so nahe, daß wir uns durch die dortigen Zustände warnen lassen könnten, aber der Einzelne meint, ihn gehe das nichts an, die andern, nicht zu höherem ge¬ borenen mögen hübsch bei ihrem Leisten bleiben; und die Regierenden — Die letztern haben jetzt ein Einsehen in der Beziehung gezeigt, welche diese Betrachtungen veranlaßt hat, und das möchten wir gern als eine Bürgschaft für weiteres nehmen. Durch kaiserliche Entschließung sind diejenigen Paragraphen der Ordensstatuten, welche dem Besitzer des Stefcinsordens auf die Geheimratswürde mit dem Titel Exellenz, dem des Leopolds- und des Eisernenkronen-Ordens auf den erblichen Freiherrn- oder Ritterstand Anrecht verleihen, aufgehoben. Damit ist eine abnorme, höchst bedenkliche Einrichtung aus der Welt geschafft, denn unsers Wissens hängt an den entsprechenden Orden in andern Ländern, wie in Baiern und Würtemberg, nur der persönliche Adel, was der Sache ein ganz anderes Gesicht giebt. Welche Erwägungen zu dieser Entschließung geführt haben, ist uns unbekannt, und keinesfalls kann sie wieder gut machen, was durch den Mißbrauch verschuldet worden ist. Aber wenn auch spät, kommt die Maßregel immer noch früh genug, um weiteres Unheil zu verhüten. Jene Streber, welche es noch nicht zu einem der ersehnten Abzeichen gebracht hatten, werden tief betrübt sein; wem es aber um gesunde Verhältnisse zu thun ist, wer in dem — politischer Vorrechte längst entkleideten — Adel ein berechtigtes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/452>, abgerufen am 27.06.2024.