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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Drdensadel.

Diese Klasse ist natürlich von der andern niemals für voll angesehen worden,
machte auch selten den Anspruch darauf. Die Söhne der Erhobenen erbten
gewöhnlich nicht viel mehr als den Adel, wurden wieder Soldaten oder Beamte,
oder "stiegen hinab" in die Region der Kaufleute und Fabrikanten, in welche
sonst eine Standeserhöhung, direkte oder auf Grund einer Ordensverleihung,
sich nicht so leicht verirrte.

Seit zwei Jahrzehnten ist das anders geworden. Der ans Ruder gelangte
Liberalismus erstrebte die Beseitigung der Standesunterschiede nicht mehr durch
Aufhebung, sondern durch Verallgemeinerung des Adels. Es ist unglaublich,
in welchem Maße sich in dieser Zeit die Zahl der "Ritterbürtigen" vermehrt
hat, zumal in der Zeit des sogenannten volkswirtschaftlichen Aufschwunges, für
welche der bekannte Feuilletonist spitzer das Schlagwort: "Eiserne Stirn, eiserne
Kasse, eiserne Krone" erfand, wo man auf die Frage nach der Ursache einer
neuen Adelsverleihung häufig die Antwort erhielt: "Verdienste am Staat," und
das boshafte Gerücht kolportirt werden konnte, die Regierung beabsichtige, wie
für andre Monopolsartikel, eigne Verkaufsstellen für die den Adel bringenden
Orden einzurichten. Denn die früher übliche unmittelbare Verleihung des Adels
kam fast gänzlich außer Gebrauch. Wer die Eiserne Krone oder den Leopolds¬
orden erhielt, erwarb damit zugleich die Anwartschaft auf die erbliche Ritter-,
in höherer Klasse auf die Freiherrnwürde, also mit einem Schlage eine doppelte
Auszeichnung, den Titel und das Kennzeichen desselben im Knopfloch, wohl
gar noch einen neuen, schöneren Namen. Denn die Mayer und Müller ergriffen
natürlich gern die Gelegenheit, sich durch ein czxitnewn ornims aus der Menge
ihrer Namensbruder auszuscheiden, und ebenso natürlich legten die Cohn und
Pollak sich gern ein klangvolles "Prädikat" bei, und bemühten sich, den an¬
gestammten und an die Abstammung erinnernden Namen in Vergessenheit zu
bringen. Die geadelten Militärs und Beamten hatten mit Vorliebe Beinamen
gewählt, welche ihre Tapferkeit oder ihre Loyalität bezeichneten, und daher
stammen die vielen Helden, Schwerter, Kriege, Schlachten, die Fest, Treu,
Huld u. s. w. in den Beinamen des neuen niederen Adels; für die jüngste
Adelsgeneration sind Prädikate charakteristisch, welche einen feudalen Beigeschmack
haben und zugleich der orientalischen Neigung für Bilder- und Blumensprache
genügen.

Zuerst profitirte nämlich von dieser neuen Ära diejenige Schicht der Ge¬
schäftswelt, welche sich selbst "Finanzaristokratie" zu nennen pflegt, Großhändler
von altem und festem Ansehen. Bald aber folgten die Emporkömmlinge, auf
welche das Wort des alten Königswarter gemünzt war: "Jeder Lump, der eine
Million zusammengebracht hat, hält sich schon für einen Millionär." Die Namen
der neubackenen Edelleute waren gewöhnlich außerhalb der Börse völlig un¬
bekannt und auch an der Börse nicht immer vorteilhaft; allein die Träger hatten
sich plötzlich gedrungen gefühlt, bedeutende Summen für Wohlthätigkeitsanstalten


Der Drdensadel.

Diese Klasse ist natürlich von der andern niemals für voll angesehen worden,
machte auch selten den Anspruch darauf. Die Söhne der Erhobenen erbten
gewöhnlich nicht viel mehr als den Adel, wurden wieder Soldaten oder Beamte,
oder „stiegen hinab" in die Region der Kaufleute und Fabrikanten, in welche
sonst eine Standeserhöhung, direkte oder auf Grund einer Ordensverleihung,
sich nicht so leicht verirrte.

Seit zwei Jahrzehnten ist das anders geworden. Der ans Ruder gelangte
Liberalismus erstrebte die Beseitigung der Standesunterschiede nicht mehr durch
Aufhebung, sondern durch Verallgemeinerung des Adels. Es ist unglaublich,
in welchem Maße sich in dieser Zeit die Zahl der „Ritterbürtigen" vermehrt
hat, zumal in der Zeit des sogenannten volkswirtschaftlichen Aufschwunges, für
welche der bekannte Feuilletonist spitzer das Schlagwort: „Eiserne Stirn, eiserne
Kasse, eiserne Krone" erfand, wo man auf die Frage nach der Ursache einer
neuen Adelsverleihung häufig die Antwort erhielt: „Verdienste am Staat," und
das boshafte Gerücht kolportirt werden konnte, die Regierung beabsichtige, wie
für andre Monopolsartikel, eigne Verkaufsstellen für die den Adel bringenden
Orden einzurichten. Denn die früher übliche unmittelbare Verleihung des Adels
kam fast gänzlich außer Gebrauch. Wer die Eiserne Krone oder den Leopolds¬
orden erhielt, erwarb damit zugleich die Anwartschaft auf die erbliche Ritter-,
in höherer Klasse auf die Freiherrnwürde, also mit einem Schlage eine doppelte
Auszeichnung, den Titel und das Kennzeichen desselben im Knopfloch, wohl
gar noch einen neuen, schöneren Namen. Denn die Mayer und Müller ergriffen
natürlich gern die Gelegenheit, sich durch ein czxitnewn ornims aus der Menge
ihrer Namensbruder auszuscheiden, und ebenso natürlich legten die Cohn und
Pollak sich gern ein klangvolles „Prädikat" bei, und bemühten sich, den an¬
gestammten und an die Abstammung erinnernden Namen in Vergessenheit zu
bringen. Die geadelten Militärs und Beamten hatten mit Vorliebe Beinamen
gewählt, welche ihre Tapferkeit oder ihre Loyalität bezeichneten, und daher
stammen die vielen Helden, Schwerter, Kriege, Schlachten, die Fest, Treu,
Huld u. s. w. in den Beinamen des neuen niederen Adels; für die jüngste
Adelsgeneration sind Prädikate charakteristisch, welche einen feudalen Beigeschmack
haben und zugleich der orientalischen Neigung für Bilder- und Blumensprache
genügen.

Zuerst profitirte nämlich von dieser neuen Ära diejenige Schicht der Ge¬
schäftswelt, welche sich selbst „Finanzaristokratie" zu nennen pflegt, Großhändler
von altem und festem Ansehen. Bald aber folgten die Emporkömmlinge, auf
welche das Wort des alten Königswarter gemünzt war: „Jeder Lump, der eine
Million zusammengebracht hat, hält sich schon für einen Millionär." Die Namen
der neubackenen Edelleute waren gewöhnlich außerhalb der Börse völlig un¬
bekannt und auch an der Börse nicht immer vorteilhaft; allein die Träger hatten
sich plötzlich gedrungen gefühlt, bedeutende Summen für Wohlthätigkeitsanstalten


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[0450] Der Drdensadel. Diese Klasse ist natürlich von der andern niemals für voll angesehen worden, machte auch selten den Anspruch darauf. Die Söhne der Erhobenen erbten gewöhnlich nicht viel mehr als den Adel, wurden wieder Soldaten oder Beamte, oder „stiegen hinab" in die Region der Kaufleute und Fabrikanten, in welche sonst eine Standeserhöhung, direkte oder auf Grund einer Ordensverleihung, sich nicht so leicht verirrte. Seit zwei Jahrzehnten ist das anders geworden. Der ans Ruder gelangte Liberalismus erstrebte die Beseitigung der Standesunterschiede nicht mehr durch Aufhebung, sondern durch Verallgemeinerung des Adels. Es ist unglaublich, in welchem Maße sich in dieser Zeit die Zahl der „Ritterbürtigen" vermehrt hat, zumal in der Zeit des sogenannten volkswirtschaftlichen Aufschwunges, für welche der bekannte Feuilletonist spitzer das Schlagwort: „Eiserne Stirn, eiserne Kasse, eiserne Krone" erfand, wo man auf die Frage nach der Ursache einer neuen Adelsverleihung häufig die Antwort erhielt: „Verdienste am Staat," und das boshafte Gerücht kolportirt werden konnte, die Regierung beabsichtige, wie für andre Monopolsartikel, eigne Verkaufsstellen für die den Adel bringenden Orden einzurichten. Denn die früher übliche unmittelbare Verleihung des Adels kam fast gänzlich außer Gebrauch. Wer die Eiserne Krone oder den Leopolds¬ orden erhielt, erwarb damit zugleich die Anwartschaft auf die erbliche Ritter-, in höherer Klasse auf die Freiherrnwürde, also mit einem Schlage eine doppelte Auszeichnung, den Titel und das Kennzeichen desselben im Knopfloch, wohl gar noch einen neuen, schöneren Namen. Denn die Mayer und Müller ergriffen natürlich gern die Gelegenheit, sich durch ein czxitnewn ornims aus der Menge ihrer Namensbruder auszuscheiden, und ebenso natürlich legten die Cohn und Pollak sich gern ein klangvolles „Prädikat" bei, und bemühten sich, den an¬ gestammten und an die Abstammung erinnernden Namen in Vergessenheit zu bringen. Die geadelten Militärs und Beamten hatten mit Vorliebe Beinamen gewählt, welche ihre Tapferkeit oder ihre Loyalität bezeichneten, und daher stammen die vielen Helden, Schwerter, Kriege, Schlachten, die Fest, Treu, Huld u. s. w. in den Beinamen des neuen niederen Adels; für die jüngste Adelsgeneration sind Prädikate charakteristisch, welche einen feudalen Beigeschmack haben und zugleich der orientalischen Neigung für Bilder- und Blumensprache genügen. Zuerst profitirte nämlich von dieser neuen Ära diejenige Schicht der Ge¬ schäftswelt, welche sich selbst „Finanzaristokratie" zu nennen pflegt, Großhändler von altem und festem Ansehen. Bald aber folgten die Emporkömmlinge, auf welche das Wort des alten Königswarter gemünzt war: „Jeder Lump, der eine Million zusammengebracht hat, hält sich schon für einen Millionär." Die Namen der neubackenen Edelleute waren gewöhnlich außerhalb der Börse völlig un¬ bekannt und auch an der Börse nicht immer vorteilhaft; allein die Träger hatten sich plötzlich gedrungen gefühlt, bedeutende Summen für Wohlthätigkeitsanstalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/450>, abgerufen am 22.06.2024.