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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngol auf Erden.

Vor der versammelten Gesellschaft zu erscheinen, um so den Verleumdungen ein¬
für allemal ein Ende zu machen.

Gegen drei Uhr, als unsre Freunde mit den Knaben den Zirkus betraten,
war dieser schon beinahe voll. Beim Eintritt" Rinas und Pauls entstand in
den Reihen der im Kreise sitzenden Zuschauer ein allgemeines Gesumme, und die
Damen steckten die Köpfe zusammen, um sich boshafte Bemerkungen zuzuflüstern.
Aber Rina sah, völlig arglos, so unschuldig und unbefangen aus, und Paul
blickte mit stolz erhobenem Haupte so gebieterisch um sich, daß das Gesumme
und Gelächter bald verstummte, und man sich begnügte, nur verstohlen neu¬
gierige Blicke auf Rina und ihre Begleiter zu werfen.

Gräfin Battoni und ihr Gefolge waren noch nicht anwesend.

Die Akrobaten hatten für die Zuschauer aus rohen Brettern kunstlose
Bänke hergerichtet, da dieselben aber sür die Damen zu unbequem waren, so
hatte man für sie in der vordersten Reihe Sessel aufgestellt. Von diesen Sesseln
waren nur noch drei auf der einen Seite des Eingangs und zwei auf der ent¬
gegengesetzten Seite unbesetzt geblieben. Nina und Adele ließen sich mit Guido
auf die ersteren nieder, während Paul, Devaunis und der Doktor sich hinter
ihnen aufstellten.

In der Mitte des Zirkus war das Seil aufgespannt. Eine verstimmte
und schreiende Klappentrompete und eine große Trommel bildeten das Orchester
und zerrissen die Ohren der Zuschauer.

Nach der Polka, welche als Ouvertüre gespielt wurde, prciscntirten sich
sämtliche Akrobaten, um die menschliche Pyramide vorzustellen, mit welcher das
Schauspiel dem Programm gemäß den Anfang machen sollte. Die Basis dieser
Pyramide sollte der erste Künstler der Gesellschaft, Carajo, als der stärkste von
allen, bilden, während das Ganze der schmächtige Cota krönen sollte.

Carajo war also aus der Zeltwand, welche das Publikum von der für die
Künstler bestimmten Garderobe schied, an der Spitze seiner Gefährten heran¬
getreten. Er sah etwas bleich und unentschlossen, sast befangen aus, als ob er
sich schämte, in diesem Aufzuge zu erscheinen.

Sein Blick konnte sich von dem Platze, wo Nina und der kleine Guido
saßen, nicht trennen. Er hatte schon vor seinem Auftreten durch ein Loch
in dem Vorhange geblickt und war zusammengefahren, als Ninas anmutiges
Gesicht und der Lockenkopf Guidos erschienen waren. Je länger er sie mit
seinem brennenden Blicke ansah, desto größer wurde seine Unruhe. Als er heraus¬
treten mußte, zauderte er einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über
die Stirn.

Sein Blick hatte mit magnetischer Gewalt Ninas Augen auf sich gezogen.
Sie erkannte den Unbekannten wieder, und es ergriff sie eine sonderbare und
unerklärliche Verwirrung und Angst.

Die Klappentrompete hatte mit ihren schrillen Tönen die entsetzliche Polka
von neuem begonnen, und die große Trommel akkompaguirte außer Takt. Die
Vorstellung sollte beginnen. Carajo trat vor und reichte seine Hand demjenigen,
der auf seine Schultern klimmen sollte.

(Fortsetzung folgt.)




Die Lngol auf Erden.

Vor der versammelten Gesellschaft zu erscheinen, um so den Verleumdungen ein¬
für allemal ein Ende zu machen.

Gegen drei Uhr, als unsre Freunde mit den Knaben den Zirkus betraten,
war dieser schon beinahe voll. Beim Eintritt« Rinas und Pauls entstand in
den Reihen der im Kreise sitzenden Zuschauer ein allgemeines Gesumme, und die
Damen steckten die Köpfe zusammen, um sich boshafte Bemerkungen zuzuflüstern.
Aber Rina sah, völlig arglos, so unschuldig und unbefangen aus, und Paul
blickte mit stolz erhobenem Haupte so gebieterisch um sich, daß das Gesumme
und Gelächter bald verstummte, und man sich begnügte, nur verstohlen neu¬
gierige Blicke auf Rina und ihre Begleiter zu werfen.

Gräfin Battoni und ihr Gefolge waren noch nicht anwesend.

Die Akrobaten hatten für die Zuschauer aus rohen Brettern kunstlose
Bänke hergerichtet, da dieselben aber sür die Damen zu unbequem waren, so
hatte man für sie in der vordersten Reihe Sessel aufgestellt. Von diesen Sesseln
waren nur noch drei auf der einen Seite des Eingangs und zwei auf der ent¬
gegengesetzten Seite unbesetzt geblieben. Nina und Adele ließen sich mit Guido
auf die ersteren nieder, während Paul, Devaunis und der Doktor sich hinter
ihnen aufstellten.

In der Mitte des Zirkus war das Seil aufgespannt. Eine verstimmte
und schreiende Klappentrompete und eine große Trommel bildeten das Orchester
und zerrissen die Ohren der Zuschauer.

Nach der Polka, welche als Ouvertüre gespielt wurde, prciscntirten sich
sämtliche Akrobaten, um die menschliche Pyramide vorzustellen, mit welcher das
Schauspiel dem Programm gemäß den Anfang machen sollte. Die Basis dieser
Pyramide sollte der erste Künstler der Gesellschaft, Carajo, als der stärkste von
allen, bilden, während das Ganze der schmächtige Cota krönen sollte.

Carajo war also aus der Zeltwand, welche das Publikum von der für die
Künstler bestimmten Garderobe schied, an der Spitze seiner Gefährten heran¬
getreten. Er sah etwas bleich und unentschlossen, sast befangen aus, als ob er
sich schämte, in diesem Aufzuge zu erscheinen.

Sein Blick konnte sich von dem Platze, wo Nina und der kleine Guido
saßen, nicht trennen. Er hatte schon vor seinem Auftreten durch ein Loch
in dem Vorhange geblickt und war zusammengefahren, als Ninas anmutiges
Gesicht und der Lockenkopf Guidos erschienen waren. Je länger er sie mit
seinem brennenden Blicke ansah, desto größer wurde seine Unruhe. Als er heraus¬
treten mußte, zauderte er einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über
die Stirn.

Sein Blick hatte mit magnetischer Gewalt Ninas Augen auf sich gezogen.
Sie erkannte den Unbekannten wieder, und es ergriff sie eine sonderbare und
unerklärliche Verwirrung und Angst.

Die Klappentrompete hatte mit ihren schrillen Tönen die entsetzliche Polka
von neuem begonnen, und die große Trommel akkompaguirte außer Takt. Die
Vorstellung sollte beginnen. Carajo trat vor und reichte seine Hand demjenigen,
der auf seine Schultern klimmen sollte.

(Fortsetzung folgt.)




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[0445] Die Lngol auf Erden. Vor der versammelten Gesellschaft zu erscheinen, um so den Verleumdungen ein¬ für allemal ein Ende zu machen. Gegen drei Uhr, als unsre Freunde mit den Knaben den Zirkus betraten, war dieser schon beinahe voll. Beim Eintritt« Rinas und Pauls entstand in den Reihen der im Kreise sitzenden Zuschauer ein allgemeines Gesumme, und die Damen steckten die Köpfe zusammen, um sich boshafte Bemerkungen zuzuflüstern. Aber Rina sah, völlig arglos, so unschuldig und unbefangen aus, und Paul blickte mit stolz erhobenem Haupte so gebieterisch um sich, daß das Gesumme und Gelächter bald verstummte, und man sich begnügte, nur verstohlen neu¬ gierige Blicke auf Rina und ihre Begleiter zu werfen. Gräfin Battoni und ihr Gefolge waren noch nicht anwesend. Die Akrobaten hatten für die Zuschauer aus rohen Brettern kunstlose Bänke hergerichtet, da dieselben aber sür die Damen zu unbequem waren, so hatte man für sie in der vordersten Reihe Sessel aufgestellt. Von diesen Sesseln waren nur noch drei auf der einen Seite des Eingangs und zwei auf der ent¬ gegengesetzten Seite unbesetzt geblieben. Nina und Adele ließen sich mit Guido auf die ersteren nieder, während Paul, Devaunis und der Doktor sich hinter ihnen aufstellten. In der Mitte des Zirkus war das Seil aufgespannt. Eine verstimmte und schreiende Klappentrompete und eine große Trommel bildeten das Orchester und zerrissen die Ohren der Zuschauer. Nach der Polka, welche als Ouvertüre gespielt wurde, prciscntirten sich sämtliche Akrobaten, um die menschliche Pyramide vorzustellen, mit welcher das Schauspiel dem Programm gemäß den Anfang machen sollte. Die Basis dieser Pyramide sollte der erste Künstler der Gesellschaft, Carajo, als der stärkste von allen, bilden, während das Ganze der schmächtige Cota krönen sollte. Carajo war also aus der Zeltwand, welche das Publikum von der für die Künstler bestimmten Garderobe schied, an der Spitze seiner Gefährten heran¬ getreten. Er sah etwas bleich und unentschlossen, sast befangen aus, als ob er sich schämte, in diesem Aufzuge zu erscheinen. Sein Blick konnte sich von dem Platze, wo Nina und der kleine Guido saßen, nicht trennen. Er hatte schon vor seinem Auftreten durch ein Loch in dem Vorhange geblickt und war zusammengefahren, als Ninas anmutiges Gesicht und der Lockenkopf Guidos erschienen waren. Je länger er sie mit seinem brennenden Blicke ansah, desto größer wurde seine Unruhe. Als er heraus¬ treten mußte, zauderte er einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sein Blick hatte mit magnetischer Gewalt Ninas Augen auf sich gezogen. Sie erkannte den Unbekannten wieder, und es ergriff sie eine sonderbare und unerklärliche Verwirrung und Angst. Die Klappentrompete hatte mit ihren schrillen Tönen die entsetzliche Polka von neuem begonnen, und die große Trommel akkompaguirte außer Takt. Die Vorstellung sollte beginnen. Carajo trat vor und reichte seine Hand demjenigen, der auf seine Schultern klimmen sollte. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/445>, abgerufen am 22.06.2024.