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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Etwas vom Theater.

tige "Theaterstädte," und daneben läuft noch her eine Unmasse von Theater¬
anekdoten, von Notizen über Gastspielreisen und Lebensverhältnisse berühmter
"Künstler" und "Künstlerinnen" (darunter nicht selten die bedenklichsten olrro-
mqav sLanäalvnsö-Geschichten), hie und da zu allem Überflüsse auch noch eine
Theaternovelle und dergleichen mehr. Dabei herrscht in diesen Besprechungen
ein Theaterjargon, welcher voraussetzen läßt, die Angelegenheiten des Theaters
gehörten zum täglichen Brot der Zeitungsleser; es schwirrt nur so von Bluetten,
Premieren und Reprisen, von Regie und Jnszenirung, von Soubretten und
Intriganten, von Exicmpvrees, Nttancirungcn und Nvllenlrcirungen -- als ob
wirklich das ganze Publikum nichts wichtigeres zu thun hätte, als sich mit allen
Spezialitäten des Thcatcrwescns aufs eingehendste zu befassen. Nehmen wir
die wöchentlichen UnterhaltungSblätter zur Hand, so stellt sich uns die gleiche
Sache von einer andern Seite dar. namhafte Tagesschriftsteller bringen lange
Artikel über die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der dramatischen Lite¬
ratur und der Schauspielkunst, die bedeutenderen Schauspieler und Schauspiele¬
rinnen werden in ihrer Laufbahn und ihren Besonderheiten ausführlich beschrieben,
und in den Erzählungen Pflegt das Theater einen breiten Raum einzunehmen.
Das verbreitetste Blatt dieses Genres, die "Gartenlaube," hat eine Zeit lang
kaum eine Nummer vorübergehen lassen, ohne in dieser Weise eine schauspiele¬
rische Größe zu feiern; im Jahre 1877, dem Jahre der gewaltigen Spannung
während des russisch-türkischen Krieges, begnügte sie sich auch einmal mit einer --
Ballettänzerin, und kurz darauf brachte sie eine lange Reklame über eine noch
völlig unbekannte, seitdem anch unbekannt gebliebene Schauspielerin. Alles na¬
türlich mit Illustrationen, zuweilen über Doppelseiten hinweg, ausgestattet.
Während also die Tagespresse dafür sorgt, das Theater als eine garnicht hoch
genug anzuschlagende Sache erscheinen zu lassen, stellen die Unterhaltnngsblätter
den Familien, den heranwachsenden Söhnen und den jungen Töchtern die
"Damen vom Theater" als die rechten Musterbilder für das deutsche Volk dar.

Wir unsrerseits sind weit entfernt, die hohe Bedeutung in Abrede stellen
zu wollen, welche ein Theater für das ganze Kulturleben eines Volkes haben
kann, und welche selbst unser überaus einseitig und zweifelhaft entwickeltes
Theater immerhin für gewisse Schichten des Volkes besitzt. Aber wir verhehlen
nicht, daß uns die Knlturbedeutung des Theaters gegenwärtig in einer geradezu
lächerlichen Weise überschätzt zu werden scheint, und daß unsrer Überzeugung
nach das Maß, in welchem die Tages- und die Unterhaltuugspresse sich mit
dem Theater befaßt, in einem unerhörten, entschieden gemeinschädlichem Mi߬
verhältnis zu dem Umfange der Kreise steht, welche durch das Theater in einer
irgend merklichen Weise beeinflußt werden. Den alten Griechen war das Theater
ein Spiegelbild ihres gesamten öffentlichen und privaten Lebens, der höchste
Ausdruck ihrer künstlerischen Bethätigung überhaupt. Den modernen Franzosen
ist es die Stätte, wo die bei ihnen sich ausbildende Form der gescllschaft-


Etwas vom Theater.

tige „Theaterstädte," und daneben läuft noch her eine Unmasse von Theater¬
anekdoten, von Notizen über Gastspielreisen und Lebensverhältnisse berühmter
„Künstler" und „Künstlerinnen" (darunter nicht selten die bedenklichsten olrro-
mqav sLanäalvnsö-Geschichten), hie und da zu allem Überflüsse auch noch eine
Theaternovelle und dergleichen mehr. Dabei herrscht in diesen Besprechungen
ein Theaterjargon, welcher voraussetzen läßt, die Angelegenheiten des Theaters
gehörten zum täglichen Brot der Zeitungsleser; es schwirrt nur so von Bluetten,
Premieren und Reprisen, von Regie und Jnszenirung, von Soubretten und
Intriganten, von Exicmpvrees, Nttancirungcn und Nvllenlrcirungen — als ob
wirklich das ganze Publikum nichts wichtigeres zu thun hätte, als sich mit allen
Spezialitäten des Thcatcrwescns aufs eingehendste zu befassen. Nehmen wir
die wöchentlichen UnterhaltungSblätter zur Hand, so stellt sich uns die gleiche
Sache von einer andern Seite dar. namhafte Tagesschriftsteller bringen lange
Artikel über die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der dramatischen Lite¬
ratur und der Schauspielkunst, die bedeutenderen Schauspieler und Schauspiele¬
rinnen werden in ihrer Laufbahn und ihren Besonderheiten ausführlich beschrieben,
und in den Erzählungen Pflegt das Theater einen breiten Raum einzunehmen.
Das verbreitetste Blatt dieses Genres, die „Gartenlaube," hat eine Zeit lang
kaum eine Nummer vorübergehen lassen, ohne in dieser Weise eine schauspiele¬
rische Größe zu feiern; im Jahre 1877, dem Jahre der gewaltigen Spannung
während des russisch-türkischen Krieges, begnügte sie sich auch einmal mit einer —
Ballettänzerin, und kurz darauf brachte sie eine lange Reklame über eine noch
völlig unbekannte, seitdem anch unbekannt gebliebene Schauspielerin. Alles na¬
türlich mit Illustrationen, zuweilen über Doppelseiten hinweg, ausgestattet.
Während also die Tagespresse dafür sorgt, das Theater als eine garnicht hoch
genug anzuschlagende Sache erscheinen zu lassen, stellen die Unterhaltnngsblätter
den Familien, den heranwachsenden Söhnen und den jungen Töchtern die
„Damen vom Theater" als die rechten Musterbilder für das deutsche Volk dar.

Wir unsrerseits sind weit entfernt, die hohe Bedeutung in Abrede stellen
zu wollen, welche ein Theater für das ganze Kulturleben eines Volkes haben
kann, und welche selbst unser überaus einseitig und zweifelhaft entwickeltes
Theater immerhin für gewisse Schichten des Volkes besitzt. Aber wir verhehlen
nicht, daß uns die Knlturbedeutung des Theaters gegenwärtig in einer geradezu
lächerlichen Weise überschätzt zu werden scheint, und daß unsrer Überzeugung
nach das Maß, in welchem die Tages- und die Unterhaltuugspresse sich mit
dem Theater befaßt, in einem unerhörten, entschieden gemeinschädlichem Mi߬
verhältnis zu dem Umfange der Kreise steht, welche durch das Theater in einer
irgend merklichen Weise beeinflußt werden. Den alten Griechen war das Theater
ein Spiegelbild ihres gesamten öffentlichen und privaten Lebens, der höchste
Ausdruck ihrer künstlerischen Bethätigung überhaupt. Den modernen Franzosen
ist es die Stätte, wo die bei ihnen sich ausbildende Form der gescllschaft-


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[0429] Etwas vom Theater. tige „Theaterstädte," und daneben läuft noch her eine Unmasse von Theater¬ anekdoten, von Notizen über Gastspielreisen und Lebensverhältnisse berühmter „Künstler" und „Künstlerinnen" (darunter nicht selten die bedenklichsten olrro- mqav sLanäalvnsö-Geschichten), hie und da zu allem Überflüsse auch noch eine Theaternovelle und dergleichen mehr. Dabei herrscht in diesen Besprechungen ein Theaterjargon, welcher voraussetzen läßt, die Angelegenheiten des Theaters gehörten zum täglichen Brot der Zeitungsleser; es schwirrt nur so von Bluetten, Premieren und Reprisen, von Regie und Jnszenirung, von Soubretten und Intriganten, von Exicmpvrees, Nttancirungcn und Nvllenlrcirungen — als ob wirklich das ganze Publikum nichts wichtigeres zu thun hätte, als sich mit allen Spezialitäten des Thcatcrwescns aufs eingehendste zu befassen. Nehmen wir die wöchentlichen UnterhaltungSblätter zur Hand, so stellt sich uns die gleiche Sache von einer andern Seite dar. namhafte Tagesschriftsteller bringen lange Artikel über die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der dramatischen Lite¬ ratur und der Schauspielkunst, die bedeutenderen Schauspieler und Schauspiele¬ rinnen werden in ihrer Laufbahn und ihren Besonderheiten ausführlich beschrieben, und in den Erzählungen Pflegt das Theater einen breiten Raum einzunehmen. Das verbreitetste Blatt dieses Genres, die „Gartenlaube," hat eine Zeit lang kaum eine Nummer vorübergehen lassen, ohne in dieser Weise eine schauspiele¬ rische Größe zu feiern; im Jahre 1877, dem Jahre der gewaltigen Spannung während des russisch-türkischen Krieges, begnügte sie sich auch einmal mit einer — Ballettänzerin, und kurz darauf brachte sie eine lange Reklame über eine noch völlig unbekannte, seitdem anch unbekannt gebliebene Schauspielerin. Alles na¬ türlich mit Illustrationen, zuweilen über Doppelseiten hinweg, ausgestattet. Während also die Tagespresse dafür sorgt, das Theater als eine garnicht hoch genug anzuschlagende Sache erscheinen zu lassen, stellen die Unterhaltnngsblätter den Familien, den heranwachsenden Söhnen und den jungen Töchtern die „Damen vom Theater" als die rechten Musterbilder für das deutsche Volk dar. Wir unsrerseits sind weit entfernt, die hohe Bedeutung in Abrede stellen zu wollen, welche ein Theater für das ganze Kulturleben eines Volkes haben kann, und welche selbst unser überaus einseitig und zweifelhaft entwickeltes Theater immerhin für gewisse Schichten des Volkes besitzt. Aber wir verhehlen nicht, daß uns die Knlturbedeutung des Theaters gegenwärtig in einer geradezu lächerlichen Weise überschätzt zu werden scheint, und daß unsrer Überzeugung nach das Maß, in welchem die Tages- und die Unterhaltuugspresse sich mit dem Theater befaßt, in einem unerhörten, entschieden gemeinschädlichem Mi߬ verhältnis zu dem Umfange der Kreise steht, welche durch das Theater in einer irgend merklichen Weise beeinflußt werden. Den alten Griechen war das Theater ein Spiegelbild ihres gesamten öffentlichen und privaten Lebens, der höchste Ausdruck ihrer künstlerischen Bethätigung überhaupt. Den modernen Franzosen ist es die Stätte, wo die bei ihnen sich ausbildende Form der gescllschaft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/429>, abgerufen am 22.06.2024.