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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Stile Bolandcns und der Hohn-Hahn erweckt wird, nicht an der Anerkennung
wohlthuender Erscheinungen hindern zu lassen.

Die poetische Ehre des katholischen Teils von Deutschland in der Literatur
vertritt, abgesehen von einigen kleinern, aber liebenswürdigen Erscheinungen,
die größte deutsche Dichterin -- Annette von Droste-Hülshoff. So viel
auch über diese Dichterin geschrieben worden ist und so friedlich sich Katholiken
wie Protestanten zu ihrem unbedingten Preise vereinigt haben, die ganze Be¬
deutung derselben scheint auf katholischer Seite noch immer unterschätzt zu
werden. Wenigstens ist man sich des ungeheuern Unterschiedes, der zwischen
dieser ebenso ehrlichen und warmen als Phantasie- und geistvollen Lebensdarstellerin
und der großen Masse der neueren katholischen Tendenzpoeten besteht, nicht
klar bewußt, will sich seiner vielleicht auch nicht bewußt werden. Denn wenn
auch kein Zweifel an der Gläubigkeit der Dichterin je ausgekommen ist, wenn
dieselbe ihre reine und tiefe Hingabe an das. was ihr als Heilswahrheit galt,
hundertfältig bethätigt hat, so war doch eben in ihr kein pfäffisch-polemischer
Zug, kein Hauch brutalen Hasses gegen Andersgläubige, keine affektirte Ver¬
achtung des Weltlebens und seiner Mannichfaltigkeit, kein Kokettiren mit be¬
stimmten katholischen Persönlichkeiten und am allerwenigsten mit Konvertiten,
kein ultramontaner Kosmopolitismus, sondern ein zähes und treues westfälisches
Festhalten an der engern deutschen Heimat, an jedem Erbteil und Gut derselben,
und also auch am katholischen Glauben der Väter. Annette von Droste-Hüls¬
hoff ließ, ohne einen Augenblick ihre Besonderheit zu verleugnen, eben in jeder
Strophe, jedem Bild, jedem Empfindungslaut ihrer Gedichte erkennen, daß sie
Blut von unserm Blute ist, sie brachte den nichtkatholischen Deutschen zum
klaren Bewußtsein, welch ein gutes, prächtiges, liebenswürdiges Stück deutschen
Lebens auch in den spezifisch katholischen Landschaften vorhanden ist und fort
und fort waltet. Annette von Droste gehört ja leider zu jenen Talenten
unsrer Literatur, welche, durch die Abwesenheit jedes rhetorischen Elements
der phrasenbedürftigcn Masse ohnehin entrückt, durch das Schwerflüssige
ihrer Ausdrucksweise, durch einzelne Geschmacklosigkeiten, die man in der
realistischen Prosa leicht, in der gebundenen Rede schwer verträgt, durch ge¬
wagte Bilder und gelegentliche Dunkelheiten/ auch vielen innerlich gebildeten
und im besten Sinne genußfähigen Naturen fremd bleiben. Denn ob auch
alles von ihr gilt, was Levin Schücking in seinem vortrefflichen Lebensbilde
der Dichterin (Annette von Droste-Hülshoff; Hannover, 1871) gerühmt hat,
so setzt eine Natur wie die ihrige beim Leser die eingeborne Freude an der
kräftigen Originalität, an der ursprünglichen und unmittelbaren poetischen
Lebensfülle voraus, welche in ihr lebendig waren. Nur aus solcher Freude heraus
wird man, das Eigentümliche dieses Charakters empfinden, der "Anlagen in sich
verband, welche sich zu widersprechen schienen, die lyrische Kraft, die Tiefe eines
echt weiblich fühlenden Gemüts, die ganze Herzensweiche einer poetischen Seele,


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Stile Bolandcns und der Hohn-Hahn erweckt wird, nicht an der Anerkennung
wohlthuender Erscheinungen hindern zu lassen.

Die poetische Ehre des katholischen Teils von Deutschland in der Literatur
vertritt, abgesehen von einigen kleinern, aber liebenswürdigen Erscheinungen,
die größte deutsche Dichterin — Annette von Droste-Hülshoff. So viel
auch über diese Dichterin geschrieben worden ist und so friedlich sich Katholiken
wie Protestanten zu ihrem unbedingten Preise vereinigt haben, die ganze Be¬
deutung derselben scheint auf katholischer Seite noch immer unterschätzt zu
werden. Wenigstens ist man sich des ungeheuern Unterschiedes, der zwischen
dieser ebenso ehrlichen und warmen als Phantasie- und geistvollen Lebensdarstellerin
und der großen Masse der neueren katholischen Tendenzpoeten besteht, nicht
klar bewußt, will sich seiner vielleicht auch nicht bewußt werden. Denn wenn
auch kein Zweifel an der Gläubigkeit der Dichterin je ausgekommen ist, wenn
dieselbe ihre reine und tiefe Hingabe an das. was ihr als Heilswahrheit galt,
hundertfältig bethätigt hat, so war doch eben in ihr kein pfäffisch-polemischer
Zug, kein Hauch brutalen Hasses gegen Andersgläubige, keine affektirte Ver¬
achtung des Weltlebens und seiner Mannichfaltigkeit, kein Kokettiren mit be¬
stimmten katholischen Persönlichkeiten und am allerwenigsten mit Konvertiten,
kein ultramontaner Kosmopolitismus, sondern ein zähes und treues westfälisches
Festhalten an der engern deutschen Heimat, an jedem Erbteil und Gut derselben,
und also auch am katholischen Glauben der Väter. Annette von Droste-Hüls¬
hoff ließ, ohne einen Augenblick ihre Besonderheit zu verleugnen, eben in jeder
Strophe, jedem Bild, jedem Empfindungslaut ihrer Gedichte erkennen, daß sie
Blut von unserm Blute ist, sie brachte den nichtkatholischen Deutschen zum
klaren Bewußtsein, welch ein gutes, prächtiges, liebenswürdiges Stück deutschen
Lebens auch in den spezifisch katholischen Landschaften vorhanden ist und fort
und fort waltet. Annette von Droste gehört ja leider zu jenen Talenten
unsrer Literatur, welche, durch die Abwesenheit jedes rhetorischen Elements
der phrasenbedürftigcn Masse ohnehin entrückt, durch das Schwerflüssige
ihrer Ausdrucksweise, durch einzelne Geschmacklosigkeiten, die man in der
realistischen Prosa leicht, in der gebundenen Rede schwer verträgt, durch ge¬
wagte Bilder und gelegentliche Dunkelheiten/ auch vielen innerlich gebildeten
und im besten Sinne genußfähigen Naturen fremd bleiben. Denn ob auch
alles von ihr gilt, was Levin Schücking in seinem vortrefflichen Lebensbilde
der Dichterin (Annette von Droste-Hülshoff; Hannover, 1871) gerühmt hat,
so setzt eine Natur wie die ihrige beim Leser die eingeborne Freude an der
kräftigen Originalität, an der ursprünglichen und unmittelbaren poetischen
Lebensfülle voraus, welche in ihr lebendig waren. Nur aus solcher Freude heraus
wird man, das Eigentümliche dieses Charakters empfinden, der „Anlagen in sich
verband, welche sich zu widersprechen schienen, die lyrische Kraft, die Tiefe eines
echt weiblich fühlenden Gemüts, die ganze Herzensweiche einer poetischen Seele,


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[0379] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. Stile Bolandcns und der Hohn-Hahn erweckt wird, nicht an der Anerkennung wohlthuender Erscheinungen hindern zu lassen. Die poetische Ehre des katholischen Teils von Deutschland in der Literatur vertritt, abgesehen von einigen kleinern, aber liebenswürdigen Erscheinungen, die größte deutsche Dichterin — Annette von Droste-Hülshoff. So viel auch über diese Dichterin geschrieben worden ist und so friedlich sich Katholiken wie Protestanten zu ihrem unbedingten Preise vereinigt haben, die ganze Be¬ deutung derselben scheint auf katholischer Seite noch immer unterschätzt zu werden. Wenigstens ist man sich des ungeheuern Unterschiedes, der zwischen dieser ebenso ehrlichen und warmen als Phantasie- und geistvollen Lebensdarstellerin und der großen Masse der neueren katholischen Tendenzpoeten besteht, nicht klar bewußt, will sich seiner vielleicht auch nicht bewußt werden. Denn wenn auch kein Zweifel an der Gläubigkeit der Dichterin je ausgekommen ist, wenn dieselbe ihre reine und tiefe Hingabe an das. was ihr als Heilswahrheit galt, hundertfältig bethätigt hat, so war doch eben in ihr kein pfäffisch-polemischer Zug, kein Hauch brutalen Hasses gegen Andersgläubige, keine affektirte Ver¬ achtung des Weltlebens und seiner Mannichfaltigkeit, kein Kokettiren mit be¬ stimmten katholischen Persönlichkeiten und am allerwenigsten mit Konvertiten, kein ultramontaner Kosmopolitismus, sondern ein zähes und treues westfälisches Festhalten an der engern deutschen Heimat, an jedem Erbteil und Gut derselben, und also auch am katholischen Glauben der Väter. Annette von Droste-Hüls¬ hoff ließ, ohne einen Augenblick ihre Besonderheit zu verleugnen, eben in jeder Strophe, jedem Bild, jedem Empfindungslaut ihrer Gedichte erkennen, daß sie Blut von unserm Blute ist, sie brachte den nichtkatholischen Deutschen zum klaren Bewußtsein, welch ein gutes, prächtiges, liebenswürdiges Stück deutschen Lebens auch in den spezifisch katholischen Landschaften vorhanden ist und fort und fort waltet. Annette von Droste gehört ja leider zu jenen Talenten unsrer Literatur, welche, durch die Abwesenheit jedes rhetorischen Elements der phrasenbedürftigcn Masse ohnehin entrückt, durch das Schwerflüssige ihrer Ausdrucksweise, durch einzelne Geschmacklosigkeiten, die man in der realistischen Prosa leicht, in der gebundenen Rede schwer verträgt, durch ge¬ wagte Bilder und gelegentliche Dunkelheiten/ auch vielen innerlich gebildeten und im besten Sinne genußfähigen Naturen fremd bleiben. Denn ob auch alles von ihr gilt, was Levin Schücking in seinem vortrefflichen Lebensbilde der Dichterin (Annette von Droste-Hülshoff; Hannover, 1871) gerühmt hat, so setzt eine Natur wie die ihrige beim Leser die eingeborne Freude an der kräftigen Originalität, an der ursprünglichen und unmittelbaren poetischen Lebensfülle voraus, welche in ihr lebendig waren. Nur aus solcher Freude heraus wird man, das Eigentümliche dieses Charakters empfinden, der „Anlagen in sich verband, welche sich zu widersprechen schienen, die lyrische Kraft, die Tiefe eines echt weiblich fühlenden Gemüts, die ganze Herzensweiche einer poetischen Seele,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/379>, abgerufen am 21.06.2024.