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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur preußischen vormundschaftsordnung.

meist Vollständig absorbiren, sodaß für den Pflegebefohlenen selbst nichts übrig
bleibt. So wird die richterliche Aufsicht, die für ihn ein Segen und eine Wohl¬
that sein sollte, in das direkte Gegenteil verkehrt. Und doch könnten neun
Zehntel dieser Rechnungen wegfallen, wenn das allein richtige landrechtliche
Prinzip wiederhergestellt würde, wonach der Vormund von dem Mündclvermögen
nur soviel in die Hände bekam, als zur Erhaltung und Erziehung des Mün¬
dels und zur Fortsetzung der Administration nötig war. Wieviel nutzlose, für
alle Teile verdrießliche Schreiberei würde dadurch erspart werden! Jeder, der
unter dem alten und dem neuen Gesetze Vormundschaftssachen bearbeitet hat,
weiß, daß für den gewissenhaften Vormundschaftsrichter die Arbeitslast jetzt,
wo er die Fehler der Vormünder bei der Verwaltung zu ermitteln und wenn
möglich zu verbessern hat, größer ist als früher, wo er selbst die Verwaltung
in den vorgeschriebenen Formen führte.

Eine besondre Schwierigkeit, die fast bei jeder Rechnungsablegung zur
Erörterung kommt, bildet für Vormund lind Vormundschaftsrichter die Anlegung
der Müudelkapitalien. Wenn der Vormund ein gewissenhafter Hausvater ist,
der die redliche Absicht hat, dem Mündel sein Vermögen zu erhalten und durch
Sparsamkeit zu mehren, tritt diese Frage besonders ernst an ihn heran. Nach
der Vormundschaftsordnung dürfen Mündelkapitalien nur in bestimmt vorge¬
schriebenen Klassen öffentlicher Wertpapiere oder pupillar sichern Hypotheken
und vorübergehend bei der Reichsbank oder einer Sparkasse angelegt werden.
Der Erwerb von Wertpapieren nun liegt den meisten Vormündern, insbesondre
auf dem Lande, fern; ihr Zinsfuß würde auch zu niedrig sein; die Vormünder
bemühen sich daher, wenn möglich, sichere Hypotheken für die Mündel anzu¬
schaffen. Jeder aber, der selbst in der Lage war, eignes oder fremdes Geld
anlegen zu müssen, weiß, wie schwer es für einen Privaten ist, unbedingt sichere,
kündbare Hypotheken zu fünf Prozent Zinsen, insbesondre für kleinere Kapitalien,
zu erlangen. Diese Schwierigkeit wächst bei der großen Konkurrenz öffentlicher
Institute, insbesondre der Hypothekenbanken, welche zur ersten Stelle unkündbare,
sich selbst amortisirende Hypothekendarlehns mit 4°/g Prozent Zinsen geben,
von Jahr zu Jahr, sodaß eine derartige Unterbringung von Mündelgeldern bald
ganz unmöglich sein wird. Das Landrecht trat hierbei den Vormündern helfend
zur Seite; die Depositalordnnng hatte in dem sogenannten Generaldepositorium
ein segensreiches Institut geschaffen, welches die sichere Anlegung auch der kleinsten
Mündelkapitalien vermittelte. Die zum Depositorium eingenommenen Gelder
wurden nämlich größtenteils für das Generaldepvsitorinm ausgeliehen und auf
dessen Namen im Grundbuche eingetragen; an einer solchen Hypothek partizipirte
oft eine große Anzahl kleinerer Mündelkapitalien, welche selbst nur buchmäßig
tordirt waren; die Zinsen zu fünf Prozent (teilweise früher sogar sechs Prozent)
wurden am Jahresschlusse auf die einzelnen Mündel nach ihren Anteilen ver¬
teilt und, soweit sie nicht erhoben worden, demselben gutgeschrieben; bei erreichter


Zur preußischen vormundschaftsordnung.

meist Vollständig absorbiren, sodaß für den Pflegebefohlenen selbst nichts übrig
bleibt. So wird die richterliche Aufsicht, die für ihn ein Segen und eine Wohl¬
that sein sollte, in das direkte Gegenteil verkehrt. Und doch könnten neun
Zehntel dieser Rechnungen wegfallen, wenn das allein richtige landrechtliche
Prinzip wiederhergestellt würde, wonach der Vormund von dem Mündclvermögen
nur soviel in die Hände bekam, als zur Erhaltung und Erziehung des Mün¬
dels und zur Fortsetzung der Administration nötig war. Wieviel nutzlose, für
alle Teile verdrießliche Schreiberei würde dadurch erspart werden! Jeder, der
unter dem alten und dem neuen Gesetze Vormundschaftssachen bearbeitet hat,
weiß, daß für den gewissenhaften Vormundschaftsrichter die Arbeitslast jetzt,
wo er die Fehler der Vormünder bei der Verwaltung zu ermitteln und wenn
möglich zu verbessern hat, größer ist als früher, wo er selbst die Verwaltung
in den vorgeschriebenen Formen führte.

Eine besondre Schwierigkeit, die fast bei jeder Rechnungsablegung zur
Erörterung kommt, bildet für Vormund lind Vormundschaftsrichter die Anlegung
der Müudelkapitalien. Wenn der Vormund ein gewissenhafter Hausvater ist,
der die redliche Absicht hat, dem Mündel sein Vermögen zu erhalten und durch
Sparsamkeit zu mehren, tritt diese Frage besonders ernst an ihn heran. Nach
der Vormundschaftsordnung dürfen Mündelkapitalien nur in bestimmt vorge¬
schriebenen Klassen öffentlicher Wertpapiere oder pupillar sichern Hypotheken
und vorübergehend bei der Reichsbank oder einer Sparkasse angelegt werden.
Der Erwerb von Wertpapieren nun liegt den meisten Vormündern, insbesondre
auf dem Lande, fern; ihr Zinsfuß würde auch zu niedrig sein; die Vormünder
bemühen sich daher, wenn möglich, sichere Hypotheken für die Mündel anzu¬
schaffen. Jeder aber, der selbst in der Lage war, eignes oder fremdes Geld
anlegen zu müssen, weiß, wie schwer es für einen Privaten ist, unbedingt sichere,
kündbare Hypotheken zu fünf Prozent Zinsen, insbesondre für kleinere Kapitalien,
zu erlangen. Diese Schwierigkeit wächst bei der großen Konkurrenz öffentlicher
Institute, insbesondre der Hypothekenbanken, welche zur ersten Stelle unkündbare,
sich selbst amortisirende Hypothekendarlehns mit 4°/g Prozent Zinsen geben,
von Jahr zu Jahr, sodaß eine derartige Unterbringung von Mündelgeldern bald
ganz unmöglich sein wird. Das Landrecht trat hierbei den Vormündern helfend
zur Seite; die Depositalordnnng hatte in dem sogenannten Generaldepositorium
ein segensreiches Institut geschaffen, welches die sichere Anlegung auch der kleinsten
Mündelkapitalien vermittelte. Die zum Depositorium eingenommenen Gelder
wurden nämlich größtenteils für das Generaldepvsitorinm ausgeliehen und auf
dessen Namen im Grundbuche eingetragen; an einer solchen Hypothek partizipirte
oft eine große Anzahl kleinerer Mündelkapitalien, welche selbst nur buchmäßig
tordirt waren; die Zinsen zu fünf Prozent (teilweise früher sogar sechs Prozent)
wurden am Jahresschlusse auf die einzelnen Mündel nach ihren Anteilen ver¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/374>, abgerufen am 21.06.2024.