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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

Entfaltung einer heilsamen, nutzbringenden Thätigkeit für den Pflegebefohlenen
und beschränkte ihn nur soweit durch das richterliche Aufsichtsrecht, als es das
wohlerwogene Interesse des Mündels, insbesondre die Sorge für die Erhaltung
seines Vermögens, notwendig erforderte. Überhaupt zeigt die Regelung des
Vormundschaftswesens im Landrechte durchweg ein praktisches Verständnis der
Lebensverhältnisse, ein Eingehen auf die vielgestaltigen wirtschaftlichen Be¬
dürfnisse und eine Kenntnis der menschlichen Natur, welche sich den modernen
Gesetzen nicht immer nachrühmen läßt. Das individuelle Interesse des Mündels
stand den Verfassern des Landrechts immer obenan, es war ihnen der leitende
Grundgedanke, dem zuliebe sie vielfach das allgemeine Prinzip für den be¬
sondern Fall durchbrachen. Diese Fähigkeit, sich den verschiedensten Verhält¬
nissen anzupassen, macht es allein erklärlich, wie trotz des steigenden National¬
wohlstandes und des ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwunges das Gesetz sich
länger als achtzig Jahre bis in die neueste Zeit fast unverändert erhalten
konnte. Ob wir gut gethan haben, die Grundprinzipien desselben jetzt zu
verlassen, wird eine Vergleichung dieser Vorschriften mit den entsprechenden
Bestimmungen der Vormuudschaftsordnung lehren.

Es wird dem Landrechte zunächst zum Vorwurfe gemacht, daß es grund¬
sätzlich in allen Füllen bei Eintritt der Vormundschaft die Auseinandersetzung
des Mündels mit den Miterben oder sonstigen Miteigentümern verlangte.
Allein dieser Vorwurf ist unbegründet; die Verfasser des Landrechts verschlossen
sich keineswegs der Einsicht, daß die rücksichtslose Durchführung dieses Prinzips
in vielen Fällen eine Härte sein konnte, insbesondre da, wo nur durch das
Zusammenhalten der Mittel die fernere Subsistenz einer Familie ermöglicht
wurde. Sie ließen daher die gemeinschaftliche Fortführung eines ererbten
Geschäfts, die gemeinsame Fortbewirtschaftung eines Grundstücks zu und re-
spektirten allgemein den testamentarisch ausgesprochenen Willen des Erblassers,
welcher die Auseinandersetzung verbot. Ein Ausbau dieser Bestimmungen im
Sinne der modernen Verkehrsentwicklnng und Gesetzgebung hätte dem Bedürfnisse
genügt. Statt dessen überläßt es nunmehr die Vormundschaftsordnung in
völligem Gegensatze hierzu dem freien Ermessen des Vormundes, ob und wann
eine Auseinandersetzung stattfinden soll. Es führt dies dahin, daß jetzt der
Regel nach zur Ersparung von Kosten und lästigen Terminsgängcn die Aus¬
einandersetzung unterbleibt. Soweit die Erträgnisse der gemeinsamen Masse nur
Mr Erhaltung der Familie hinreichen, mag dies angehen und im Interesse der
Kostenersparnis sogar zweckmäßig sein. Anders liegt die Sache jedoch, wenn
Ersparnisse erzielt werden; hier zeigt sich, daß das Grundprinzip des Landrechts,
nach welchem die gemeinsame Masse regelmäßig im Wege der Auseinandersetzung
wiem Miterben -- der Mutter oder einem der großjährigen Geschwister --
überlassen und der Anteil des Mündels in einer Geldsumme festgestellt wurde,
das richtige war. Während hier das Mündel wenigstens durch den Bezug der


Grenzboten III. 1334. 4S
Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

Entfaltung einer heilsamen, nutzbringenden Thätigkeit für den Pflegebefohlenen
und beschränkte ihn nur soweit durch das richterliche Aufsichtsrecht, als es das
wohlerwogene Interesse des Mündels, insbesondre die Sorge für die Erhaltung
seines Vermögens, notwendig erforderte. Überhaupt zeigt die Regelung des
Vormundschaftswesens im Landrechte durchweg ein praktisches Verständnis der
Lebensverhältnisse, ein Eingehen auf die vielgestaltigen wirtschaftlichen Be¬
dürfnisse und eine Kenntnis der menschlichen Natur, welche sich den modernen
Gesetzen nicht immer nachrühmen läßt. Das individuelle Interesse des Mündels
stand den Verfassern des Landrechts immer obenan, es war ihnen der leitende
Grundgedanke, dem zuliebe sie vielfach das allgemeine Prinzip für den be¬
sondern Fall durchbrachen. Diese Fähigkeit, sich den verschiedensten Verhält¬
nissen anzupassen, macht es allein erklärlich, wie trotz des steigenden National¬
wohlstandes und des ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwunges das Gesetz sich
länger als achtzig Jahre bis in die neueste Zeit fast unverändert erhalten
konnte. Ob wir gut gethan haben, die Grundprinzipien desselben jetzt zu
verlassen, wird eine Vergleichung dieser Vorschriften mit den entsprechenden
Bestimmungen der Vormuudschaftsordnung lehren.

Es wird dem Landrechte zunächst zum Vorwurfe gemacht, daß es grund¬
sätzlich in allen Füllen bei Eintritt der Vormundschaft die Auseinandersetzung
des Mündels mit den Miterben oder sonstigen Miteigentümern verlangte.
Allein dieser Vorwurf ist unbegründet; die Verfasser des Landrechts verschlossen
sich keineswegs der Einsicht, daß die rücksichtslose Durchführung dieses Prinzips
in vielen Fällen eine Härte sein konnte, insbesondre da, wo nur durch das
Zusammenhalten der Mittel die fernere Subsistenz einer Familie ermöglicht
wurde. Sie ließen daher die gemeinschaftliche Fortführung eines ererbten
Geschäfts, die gemeinsame Fortbewirtschaftung eines Grundstücks zu und re-
spektirten allgemein den testamentarisch ausgesprochenen Willen des Erblassers,
welcher die Auseinandersetzung verbot. Ein Ausbau dieser Bestimmungen im
Sinne der modernen Verkehrsentwicklnng und Gesetzgebung hätte dem Bedürfnisse
genügt. Statt dessen überläßt es nunmehr die Vormundschaftsordnung in
völligem Gegensatze hierzu dem freien Ermessen des Vormundes, ob und wann
eine Auseinandersetzung stattfinden soll. Es führt dies dahin, daß jetzt der
Regel nach zur Ersparung von Kosten und lästigen Terminsgängcn die Aus¬
einandersetzung unterbleibt. Soweit die Erträgnisse der gemeinsamen Masse nur
Mr Erhaltung der Familie hinreichen, mag dies angehen und im Interesse der
Kostenersparnis sogar zweckmäßig sein. Anders liegt die Sache jedoch, wenn
Ersparnisse erzielt werden; hier zeigt sich, daß das Grundprinzip des Landrechts,
nach welchem die gemeinsame Masse regelmäßig im Wege der Auseinandersetzung
wiem Miterben — der Mutter oder einem der großjährigen Geschwister —
überlassen und der Anteil des Mündels in einer Geldsumme festgestellt wurde,
das richtige war. Während hier das Mündel wenigstens durch den Bezug der


Grenzboten III. 1334. 4S
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[0369] Zur preußischen Vormundschaftsordnung. Entfaltung einer heilsamen, nutzbringenden Thätigkeit für den Pflegebefohlenen und beschränkte ihn nur soweit durch das richterliche Aufsichtsrecht, als es das wohlerwogene Interesse des Mündels, insbesondre die Sorge für die Erhaltung seines Vermögens, notwendig erforderte. Überhaupt zeigt die Regelung des Vormundschaftswesens im Landrechte durchweg ein praktisches Verständnis der Lebensverhältnisse, ein Eingehen auf die vielgestaltigen wirtschaftlichen Be¬ dürfnisse und eine Kenntnis der menschlichen Natur, welche sich den modernen Gesetzen nicht immer nachrühmen läßt. Das individuelle Interesse des Mündels stand den Verfassern des Landrechts immer obenan, es war ihnen der leitende Grundgedanke, dem zuliebe sie vielfach das allgemeine Prinzip für den be¬ sondern Fall durchbrachen. Diese Fähigkeit, sich den verschiedensten Verhält¬ nissen anzupassen, macht es allein erklärlich, wie trotz des steigenden National¬ wohlstandes und des ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwunges das Gesetz sich länger als achtzig Jahre bis in die neueste Zeit fast unverändert erhalten konnte. Ob wir gut gethan haben, die Grundprinzipien desselben jetzt zu verlassen, wird eine Vergleichung dieser Vorschriften mit den entsprechenden Bestimmungen der Vormuudschaftsordnung lehren. Es wird dem Landrechte zunächst zum Vorwurfe gemacht, daß es grund¬ sätzlich in allen Füllen bei Eintritt der Vormundschaft die Auseinandersetzung des Mündels mit den Miterben oder sonstigen Miteigentümern verlangte. Allein dieser Vorwurf ist unbegründet; die Verfasser des Landrechts verschlossen sich keineswegs der Einsicht, daß die rücksichtslose Durchführung dieses Prinzips in vielen Fällen eine Härte sein konnte, insbesondre da, wo nur durch das Zusammenhalten der Mittel die fernere Subsistenz einer Familie ermöglicht wurde. Sie ließen daher die gemeinschaftliche Fortführung eines ererbten Geschäfts, die gemeinsame Fortbewirtschaftung eines Grundstücks zu und re- spektirten allgemein den testamentarisch ausgesprochenen Willen des Erblassers, welcher die Auseinandersetzung verbot. Ein Ausbau dieser Bestimmungen im Sinne der modernen Verkehrsentwicklnng und Gesetzgebung hätte dem Bedürfnisse genügt. Statt dessen überläßt es nunmehr die Vormundschaftsordnung in völligem Gegensatze hierzu dem freien Ermessen des Vormundes, ob und wann eine Auseinandersetzung stattfinden soll. Es führt dies dahin, daß jetzt der Regel nach zur Ersparung von Kosten und lästigen Terminsgängcn die Aus¬ einandersetzung unterbleibt. Soweit die Erträgnisse der gemeinsamen Masse nur Mr Erhaltung der Familie hinreichen, mag dies angehen und im Interesse der Kostenersparnis sogar zweckmäßig sein. Anders liegt die Sache jedoch, wenn Ersparnisse erzielt werden; hier zeigt sich, daß das Grundprinzip des Landrechts, nach welchem die gemeinsame Masse regelmäßig im Wege der Auseinandersetzung wiem Miterben — der Mutter oder einem der großjährigen Geschwister — überlassen und der Anteil des Mündels in einer Geldsumme festgestellt wurde, das richtige war. Während hier das Mündel wenigstens durch den Bezug der Grenzboten III. 1334. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/369>, abgerufen am 21.06.2024.