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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die deutsche Diaspora im Osten Europas.

borner Bewohner Italiens auf nur 3159; indes müssen wir zu den deutschen
Einwohnern des Königsreiches noch mehrere Tausende der damals dort ansäs¬
sigen 18660 Österreicher und der 10628 Schweizer rechnen. In Belgien,
Holland und Spanien wird die deutsche Diaspora nur einige tausend, in Por¬
tugal nur einige hundert Köpfe zählen.

Ein andres Bild zeigt sich uns im Osten, namentlich im Nordosten. In
Griechenland zwar spielte das deutsche Element nur in den ersten Regierungs¬
jahren König Ottos eine bedeutsame Rolle. Viele Beamten des kleinen Staates
gehörten damals unsrer Nationalität an, im Heere dienten bairische Offiziere,
und man ging sogar daran, einen Theil der dreitausend Soldaten, welche den
jungen Monarchen nach seiner neuen Heimat begleitet hatten, im Lande als
Kolonisten anzusiedeln. Eine dieser Niederlassungen wurde bei Argos, die andre
zwei Wegstunden nördlich von Athen gegründet. Keine von beiden gedieh jedoch,
und die erstere ging bald gänzlich zu gründe, da die Gegend, die man für sie aus¬
gewählt hatte, in hohem Grade ungesund war. Die zweite, Erakli getauft,
existirte noch im Jahre 1858, wo der Verfasser dieses Aufsatzes sie besuchte,
schien aber in den letzten Zügen zu liegen, da die Kolonisten meist nicht viel
von der Landwirtschaft verstanden, das heiße Klima schlecht vertrugen und wohl
auch zuviel von dem guten Weißweine tranken, den sie erbauten, wozu noch der
Haß und Neid der Griechen kam, die nach Einführung des verfassungsmäßigen
Lebens die Fremdlinge vielfach in ihren Rechten verkürzten. Gegenwärtig wird
die Zahl der im Königreiche Hellas seßhaften Deutschen kaum fünfhundert be¬
tragen, von denen einige den gelehrten Ständen angehören, Ärzte, Archäo¬
logen und dergleichen, die meisten aber Kaufleute, Weinproduzenten, Gastwirte
und Handwerker sind.

In der europäischen Türkei ist zuvörderst die deutsche Kolonie in Konstan¬
tinopel zu nennen, die aus mehreren tausend Mitgliedern besteht und über
vierzig größere Handelshäuser einschließt. Sie hat verschiedne Unterrichts¬
anstalten gegründet, und in ihrer Mitte erscheint eine Zeitung in deutscher Sprache.
In Adrianopel leben fünfundzwanzig deutsche Familien, die eine Schule besitzen,
in Salonik ist unsre Nation durch drei bedeutende Geschäftsfirmen vertreten,
von denen je eine dem Reiche, Cisleithanien und der Schweiz angehört. An
der von dort nach Mitrowitza führenden Eisenbahn sind gegen dreißig deutsche
Beamten thätig, in Ostrumelieu zählte man 1882 ungefähr hundert a.us Deutsch¬
land und Osterreich eingewanderte Familien, und mehrere der obersten Beamten
sowie der Befehlshaber der Armee waren Deutsche.

In sehr beträchtlicher Menge sind die Deutschen über Rumänien verbreitet.
Die amtliche Bevölkerungsstatistik aus dem Jahre 1878 weist allein für Bukarest
3236 deutsche Familien auf, was einer Kopfzahl von etwa 13 000 entspricht.
"Allein hierbei sind weder die dortigen ungarischen noch die siebenbürgischen Deut¬
schen mitgerechnet, noch die, welche das rumänische Staatsbürgerrecht erworben


Die deutsche Diaspora im Osten Europas.

borner Bewohner Italiens auf nur 3159; indes müssen wir zu den deutschen
Einwohnern des Königsreiches noch mehrere Tausende der damals dort ansäs¬
sigen 18660 Österreicher und der 10628 Schweizer rechnen. In Belgien,
Holland und Spanien wird die deutsche Diaspora nur einige tausend, in Por¬
tugal nur einige hundert Köpfe zählen.

Ein andres Bild zeigt sich uns im Osten, namentlich im Nordosten. In
Griechenland zwar spielte das deutsche Element nur in den ersten Regierungs¬
jahren König Ottos eine bedeutsame Rolle. Viele Beamten des kleinen Staates
gehörten damals unsrer Nationalität an, im Heere dienten bairische Offiziere,
und man ging sogar daran, einen Theil der dreitausend Soldaten, welche den
jungen Monarchen nach seiner neuen Heimat begleitet hatten, im Lande als
Kolonisten anzusiedeln. Eine dieser Niederlassungen wurde bei Argos, die andre
zwei Wegstunden nördlich von Athen gegründet. Keine von beiden gedieh jedoch,
und die erstere ging bald gänzlich zu gründe, da die Gegend, die man für sie aus¬
gewählt hatte, in hohem Grade ungesund war. Die zweite, Erakli getauft,
existirte noch im Jahre 1858, wo der Verfasser dieses Aufsatzes sie besuchte,
schien aber in den letzten Zügen zu liegen, da die Kolonisten meist nicht viel
von der Landwirtschaft verstanden, das heiße Klima schlecht vertrugen und wohl
auch zuviel von dem guten Weißweine tranken, den sie erbauten, wozu noch der
Haß und Neid der Griechen kam, die nach Einführung des verfassungsmäßigen
Lebens die Fremdlinge vielfach in ihren Rechten verkürzten. Gegenwärtig wird
die Zahl der im Königreiche Hellas seßhaften Deutschen kaum fünfhundert be¬
tragen, von denen einige den gelehrten Ständen angehören, Ärzte, Archäo¬
logen und dergleichen, die meisten aber Kaufleute, Weinproduzenten, Gastwirte
und Handwerker sind.

In der europäischen Türkei ist zuvörderst die deutsche Kolonie in Konstan¬
tinopel zu nennen, die aus mehreren tausend Mitgliedern besteht und über
vierzig größere Handelshäuser einschließt. Sie hat verschiedne Unterrichts¬
anstalten gegründet, und in ihrer Mitte erscheint eine Zeitung in deutscher Sprache.
In Adrianopel leben fünfundzwanzig deutsche Familien, die eine Schule besitzen,
in Salonik ist unsre Nation durch drei bedeutende Geschäftsfirmen vertreten,
von denen je eine dem Reiche, Cisleithanien und der Schweiz angehört. An
der von dort nach Mitrowitza führenden Eisenbahn sind gegen dreißig deutsche
Beamten thätig, in Ostrumelieu zählte man 1882 ungefähr hundert a.us Deutsch¬
land und Osterreich eingewanderte Familien, und mehrere der obersten Beamten
sowie der Befehlshaber der Armee waren Deutsche.

In sehr beträchtlicher Menge sind die Deutschen über Rumänien verbreitet.
Die amtliche Bevölkerungsstatistik aus dem Jahre 1878 weist allein für Bukarest
3236 deutsche Familien auf, was einer Kopfzahl von etwa 13 000 entspricht.
„Allein hierbei sind weder die dortigen ungarischen noch die siebenbürgischen Deut¬
schen mitgerechnet, noch die, welche das rumänische Staatsbürgerrecht erworben


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[0355] Die deutsche Diaspora im Osten Europas. borner Bewohner Italiens auf nur 3159; indes müssen wir zu den deutschen Einwohnern des Königsreiches noch mehrere Tausende der damals dort ansäs¬ sigen 18660 Österreicher und der 10628 Schweizer rechnen. In Belgien, Holland und Spanien wird die deutsche Diaspora nur einige tausend, in Por¬ tugal nur einige hundert Köpfe zählen. Ein andres Bild zeigt sich uns im Osten, namentlich im Nordosten. In Griechenland zwar spielte das deutsche Element nur in den ersten Regierungs¬ jahren König Ottos eine bedeutsame Rolle. Viele Beamten des kleinen Staates gehörten damals unsrer Nationalität an, im Heere dienten bairische Offiziere, und man ging sogar daran, einen Theil der dreitausend Soldaten, welche den jungen Monarchen nach seiner neuen Heimat begleitet hatten, im Lande als Kolonisten anzusiedeln. Eine dieser Niederlassungen wurde bei Argos, die andre zwei Wegstunden nördlich von Athen gegründet. Keine von beiden gedieh jedoch, und die erstere ging bald gänzlich zu gründe, da die Gegend, die man für sie aus¬ gewählt hatte, in hohem Grade ungesund war. Die zweite, Erakli getauft, existirte noch im Jahre 1858, wo der Verfasser dieses Aufsatzes sie besuchte, schien aber in den letzten Zügen zu liegen, da die Kolonisten meist nicht viel von der Landwirtschaft verstanden, das heiße Klima schlecht vertrugen und wohl auch zuviel von dem guten Weißweine tranken, den sie erbauten, wozu noch der Haß und Neid der Griechen kam, die nach Einführung des verfassungsmäßigen Lebens die Fremdlinge vielfach in ihren Rechten verkürzten. Gegenwärtig wird die Zahl der im Königreiche Hellas seßhaften Deutschen kaum fünfhundert be¬ tragen, von denen einige den gelehrten Ständen angehören, Ärzte, Archäo¬ logen und dergleichen, die meisten aber Kaufleute, Weinproduzenten, Gastwirte und Handwerker sind. In der europäischen Türkei ist zuvörderst die deutsche Kolonie in Konstan¬ tinopel zu nennen, die aus mehreren tausend Mitgliedern besteht und über vierzig größere Handelshäuser einschließt. Sie hat verschiedne Unterrichts¬ anstalten gegründet, und in ihrer Mitte erscheint eine Zeitung in deutscher Sprache. In Adrianopel leben fünfundzwanzig deutsche Familien, die eine Schule besitzen, in Salonik ist unsre Nation durch drei bedeutende Geschäftsfirmen vertreten, von denen je eine dem Reiche, Cisleithanien und der Schweiz angehört. An der von dort nach Mitrowitza führenden Eisenbahn sind gegen dreißig deutsche Beamten thätig, in Ostrumelieu zählte man 1882 ungefähr hundert a.us Deutsch¬ land und Osterreich eingewanderte Familien, und mehrere der obersten Beamten sowie der Befehlshaber der Armee waren Deutsche. In sehr beträchtlicher Menge sind die Deutschen über Rumänien verbreitet. Die amtliche Bevölkerungsstatistik aus dem Jahre 1878 weist allein für Bukarest 3236 deutsche Familien auf, was einer Kopfzahl von etwa 13 000 entspricht. „Allein hierbei sind weder die dortigen ungarischen noch die siebenbürgischen Deut¬ schen mitgerechnet, noch die, welche das rumänische Staatsbürgerrecht erworben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/355>, abgerufen am 21.06.2024.