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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

und Luxus, der an Webers Jubelouvertüre erinnert. Wir kennen mehrere
Ouvertüren über das Gaudeamus, jede bleibt einige Etagen unter der akade¬
mischen Festouvertüre von Brahms und ihrer eigentümlichen Mischung von
burschikosen und feierlichem Ton, von wehmütigen Sinnen und drolliger Aus¬
gelassenheit. Die "Tragische Ouvertüre" ist eine der herbsten Jnstrumental-
dichtungen, die je geschrieben wurden. Sie geht in dieser Eigenschaft noch weit
über Beethovens Coriolan-Ouvertüre und über die Schumanns zum Manfred
hinaus, welche beide den weicheren Regungen doch auf Augenblicke ihr ernstes
Recht lassen. An der festen Geschlossenheit des Charakters steht ihr allenfalls
Cherubinis Medea-Ouvertüre, von neuern Werken die R. Volkmanns zu Shake¬
speares "Richard III." näher, beide überragt sie in Breite und Höhe. Ein po¬
puläres Kunstmerk wird diese "Tragische Ouvertüre" nie sein -- sie hat die ab¬
weisende Anziehungskraft eines Bergriesen, den Blitz und Donner umstreiten,
und sie erweckt jeues tragische Vergnügen, das sich in erhabenen Schauern äußert.
Es giebt Stellen darin, die aufs tiefste erschüttern. Ich denke an die Schlu߬
stelle vor der Durchführung, wo es immer einsamer wird und nur wie aus
der Öde die stöhnenden Klänge der Eduard-Ballade (ox. 10) auftauchen. Nach
dem zweiten Teile werden die Überreste des Helden in einem Trauermarsch
vorübergetragen, dann deckt der Komponist das Bild mit einem weichen Schleier.
Er schließt hier jedoch noch nicht, sondern entläßt uns in Händels Manier mit
einem letzten Blick auf die Kraft und Stärke, die den Inhalt des abgeschlossenen
Lebens gebildet haben.


4.

Im Vorhergehenden haben wir die kompositorische Thätigkeit von Brahms
auf allen den Gebieten beleuchtet, wo sie wesentlich eingegriffen hat. Nur seine
Leistungen als Tonsetzer für die Orgel sind übergangen worden, weil sie sich
auf zwei kleine Nummern beschränken: eine Fuge (in ^s-moll) und ein Vorspiel
über den Choral "O Traurigkeit, o Herzeleid." Von ihnen ist namentlich das
erstere Werk außerordentlich wertvoll.

Brahms' Arbeiten erstrecken sich über alle Gebiete der vokalen und instrumen¬
talen Musik mit einziger Ausnahme der Oper. Wenn wir unsre Meinung nur
auf die halbdramatische Cantate "Rinaldo" stützen müßten, so würden wir den
theatralischen Beruf des Komponisten in Abrede stellen. Die dramatische Ader
fließt aber in andern Kompositionen von Brahms -- wir denken dabei zunächst
sowohl an die O-moll-Shmphonie, an die "Tragische Ouvertüre" wie an viele seiner
Gesänge -- so stark, daß es uns im höchsten Grade bedauerlich erschiene, wenn
seine Kraft der Bühne auf immer fern bliebe, derjenigen Stätte, welche
der Kunst, wenn nicht die feinsten und innigsten, doch aber immer noch die
mächtigsten Wirkungen verstattet. Bei einem Künstler, der mit seiner Entwicklung
von jeher immer alle Erwartungen überflügelt hat, dürfen wir einen plötz-


Johannes Brahms.

und Luxus, der an Webers Jubelouvertüre erinnert. Wir kennen mehrere
Ouvertüren über das Gaudeamus, jede bleibt einige Etagen unter der akade¬
mischen Festouvertüre von Brahms und ihrer eigentümlichen Mischung von
burschikosen und feierlichem Ton, von wehmütigen Sinnen und drolliger Aus¬
gelassenheit. Die „Tragische Ouvertüre" ist eine der herbsten Jnstrumental-
dichtungen, die je geschrieben wurden. Sie geht in dieser Eigenschaft noch weit
über Beethovens Coriolan-Ouvertüre und über die Schumanns zum Manfred
hinaus, welche beide den weicheren Regungen doch auf Augenblicke ihr ernstes
Recht lassen. An der festen Geschlossenheit des Charakters steht ihr allenfalls
Cherubinis Medea-Ouvertüre, von neuern Werken die R. Volkmanns zu Shake¬
speares „Richard III." näher, beide überragt sie in Breite und Höhe. Ein po¬
puläres Kunstmerk wird diese „Tragische Ouvertüre" nie sein — sie hat die ab¬
weisende Anziehungskraft eines Bergriesen, den Blitz und Donner umstreiten,
und sie erweckt jeues tragische Vergnügen, das sich in erhabenen Schauern äußert.
Es giebt Stellen darin, die aufs tiefste erschüttern. Ich denke an die Schlu߬
stelle vor der Durchführung, wo es immer einsamer wird und nur wie aus
der Öde die stöhnenden Klänge der Eduard-Ballade (ox. 10) auftauchen. Nach
dem zweiten Teile werden die Überreste des Helden in einem Trauermarsch
vorübergetragen, dann deckt der Komponist das Bild mit einem weichen Schleier.
Er schließt hier jedoch noch nicht, sondern entläßt uns in Händels Manier mit
einem letzten Blick auf die Kraft und Stärke, die den Inhalt des abgeschlossenen
Lebens gebildet haben.


4.

Im Vorhergehenden haben wir die kompositorische Thätigkeit von Brahms
auf allen den Gebieten beleuchtet, wo sie wesentlich eingegriffen hat. Nur seine
Leistungen als Tonsetzer für die Orgel sind übergangen worden, weil sie sich
auf zwei kleine Nummern beschränken: eine Fuge (in ^s-moll) und ein Vorspiel
über den Choral „O Traurigkeit, o Herzeleid." Von ihnen ist namentlich das
erstere Werk außerordentlich wertvoll.

Brahms' Arbeiten erstrecken sich über alle Gebiete der vokalen und instrumen¬
talen Musik mit einziger Ausnahme der Oper. Wenn wir unsre Meinung nur
auf die halbdramatische Cantate „Rinaldo" stützen müßten, so würden wir den
theatralischen Beruf des Komponisten in Abrede stellen. Die dramatische Ader
fließt aber in andern Kompositionen von Brahms — wir denken dabei zunächst
sowohl an die O-moll-Shmphonie, an die „Tragische Ouvertüre" wie an viele seiner
Gesänge — so stark, daß es uns im höchsten Grade bedauerlich erschiene, wenn
seine Kraft der Bühne auf immer fern bliebe, derjenigen Stätte, welche
der Kunst, wenn nicht die feinsten und innigsten, doch aber immer noch die
mächtigsten Wirkungen verstattet. Bei einem Künstler, der mit seiner Entwicklung
von jeher immer alle Erwartungen überflügelt hat, dürfen wir einen plötz-


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[0332] Johannes Brahms. und Luxus, der an Webers Jubelouvertüre erinnert. Wir kennen mehrere Ouvertüren über das Gaudeamus, jede bleibt einige Etagen unter der akade¬ mischen Festouvertüre von Brahms und ihrer eigentümlichen Mischung von burschikosen und feierlichem Ton, von wehmütigen Sinnen und drolliger Aus¬ gelassenheit. Die „Tragische Ouvertüre" ist eine der herbsten Jnstrumental- dichtungen, die je geschrieben wurden. Sie geht in dieser Eigenschaft noch weit über Beethovens Coriolan-Ouvertüre und über die Schumanns zum Manfred hinaus, welche beide den weicheren Regungen doch auf Augenblicke ihr ernstes Recht lassen. An der festen Geschlossenheit des Charakters steht ihr allenfalls Cherubinis Medea-Ouvertüre, von neuern Werken die R. Volkmanns zu Shake¬ speares „Richard III." näher, beide überragt sie in Breite und Höhe. Ein po¬ puläres Kunstmerk wird diese „Tragische Ouvertüre" nie sein — sie hat die ab¬ weisende Anziehungskraft eines Bergriesen, den Blitz und Donner umstreiten, und sie erweckt jeues tragische Vergnügen, das sich in erhabenen Schauern äußert. Es giebt Stellen darin, die aufs tiefste erschüttern. Ich denke an die Schlu߬ stelle vor der Durchführung, wo es immer einsamer wird und nur wie aus der Öde die stöhnenden Klänge der Eduard-Ballade (ox. 10) auftauchen. Nach dem zweiten Teile werden die Überreste des Helden in einem Trauermarsch vorübergetragen, dann deckt der Komponist das Bild mit einem weichen Schleier. Er schließt hier jedoch noch nicht, sondern entläßt uns in Händels Manier mit einem letzten Blick auf die Kraft und Stärke, die den Inhalt des abgeschlossenen Lebens gebildet haben. 4. Im Vorhergehenden haben wir die kompositorische Thätigkeit von Brahms auf allen den Gebieten beleuchtet, wo sie wesentlich eingegriffen hat. Nur seine Leistungen als Tonsetzer für die Orgel sind übergangen worden, weil sie sich auf zwei kleine Nummern beschränken: eine Fuge (in ^s-moll) und ein Vorspiel über den Choral „O Traurigkeit, o Herzeleid." Von ihnen ist namentlich das erstere Werk außerordentlich wertvoll. Brahms' Arbeiten erstrecken sich über alle Gebiete der vokalen und instrumen¬ talen Musik mit einziger Ausnahme der Oper. Wenn wir unsre Meinung nur auf die halbdramatische Cantate „Rinaldo" stützen müßten, so würden wir den theatralischen Beruf des Komponisten in Abrede stellen. Die dramatische Ader fließt aber in andern Kompositionen von Brahms — wir denken dabei zunächst sowohl an die O-moll-Shmphonie, an die „Tragische Ouvertüre" wie an viele seiner Gesänge — so stark, daß es uns im höchsten Grade bedauerlich erschiene, wenn seine Kraft der Bühne auf immer fern bliebe, derjenigen Stätte, welche der Kunst, wenn nicht die feinsten und innigsten, doch aber immer noch die mächtigsten Wirkungen verstattet. Bei einem Künstler, der mit seiner Entwicklung von jeher immer alle Erwartungen überflügelt hat, dürfen wir einen plötz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/332>, abgerufen am 22.06.2024.