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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Börsensteuerdebatte.

Druck der Börsenkursblätter, insbesondre aber den Zeitungen die Veröffent¬
lichung derselben zu verbieten, so würde der Verallgemeinerung des Börsenspiels
höchst wirkungsvoll entgegengetreten werden; und wenn die Telegraphie aufhörte,
Kursdepcschen überhaupt zu befördern, anstatt der Börse während der Börsenzeit
den ganzen Telegraphenapparat und sogar unmittelbare Drahtleitungen zur Ver¬
fügung zu stellen (oft mit Zurücksetzung andrer Depeschen), so würde die
Macht und der verderbliche Einfluß der Börse auf die allgemeinen Besitzver-
hältnissc fast gänzlich gebrochen sein. Nur durch die der Börse zur Verfügung
stehenden und ihr vielfach sogar von feiten des Staates zur Verfügung gestellten
Hilfsmittel, welche zur fortwährenden Beunruhigung der Wert- und Besitzver¬
hältnisse ausgebeutet werden, ist die Stellung der Börse als Kapitalmacht und
ihre politische Haltung möglich. Diese Stellung wird thatsächlich mir gestützt
durch die umfassendste Staatshilfe, die sich denken läßt und die einschneiden¬
der niemals dagewesen ist. Dabei ist es infolge der Verwirrung, die hinsichtlich
der Beurteilung sozial- und nationalökonomischer Fragen herrscht, der Börse
sogar möglich, sich zu brüsten, als bringe sie dem Staate Vorteil; kürzlich erst
wurde in verschiednen Börsenblättern behauptet, durch die Liquidation einer
Börsenfirma, welche angeblich durch die Schlußscheinsteuer herbeigeführt
worden sein soll, erleide das deutsche Reich jährlich 60000 Mark Verlust
-- soviel nämlich hätten die von der Firma jährlich bezahlten Telegraphen-
gcbühren betragen. Bekanntlich aber kann bei der Reichstelegraphenverwaltung
von Gewinn gar keine Rede sein, da sich trotz niedriger Besoldung der Be¬
amten kein Überschuß dabei ergiebt. Jene angeblichen 60000 Mark bezeichnen
also nur die Selbstkosten der telegraphischen Leistung; die Börse aber treibet
sie dem deutschen Reich sofort als Gewinn, ja gewissermaßen gar als Geschenk
der Börse an!

Man erkennt nun wohl, wie weit der Weg ist, den wir bis zur Überwin¬
dung der Börse, wie sie sich praktisch in den Staat als eignes und in Deutsch¬
land vollkommen unabhängiges Kommunalwesen eingenistet hat, noch zu gehen
haben, und wir müssen froh sein, daß wenigstens ein, wenn auch kleiner,
doch aussichtsvoller Schritt zur Unterwerfung der Börse unter die Staatsgesetze
gethan worden ist, und zwar nicht auf dem engbegrenzten Gebiete des Steuer¬
wesens, sondern auf dem der Organisation. Dem schweizerischen Kanton Zürich
gebührt der Ruhm, diesen ersten Schritt mit Entschlossenheit, Energie und Er¬
folg gethan und damit praktisch bewiesen zu haben, sowohl daß die Jobbcrci
mit ihrer Agiotage auf die Börse und deren bezeichnete Hilfsmittel beschränkt
ist und ohne diese vollkommen lahm liegt, als auch daß die beliebten An¬
drohungen der Börse, Handel und Wandel, Verkehr und Gewerbe würden zu
gründe gehen, wenn man die Börse anrühre, lauter Flunkerei sind. Während
der drei Monate, während welcher (vom 1. Januar bis 31. März 1884) die
Züricher Börse sich unterfing, dem Staat zu trotzen, sind Stadt und Land


Die Börsensteuerdebatte.

Druck der Börsenkursblätter, insbesondre aber den Zeitungen die Veröffent¬
lichung derselben zu verbieten, so würde der Verallgemeinerung des Börsenspiels
höchst wirkungsvoll entgegengetreten werden; und wenn die Telegraphie aufhörte,
Kursdepcschen überhaupt zu befördern, anstatt der Börse während der Börsenzeit
den ganzen Telegraphenapparat und sogar unmittelbare Drahtleitungen zur Ver¬
fügung zu stellen (oft mit Zurücksetzung andrer Depeschen), so würde die
Macht und der verderbliche Einfluß der Börse auf die allgemeinen Besitzver-
hältnissc fast gänzlich gebrochen sein. Nur durch die der Börse zur Verfügung
stehenden und ihr vielfach sogar von feiten des Staates zur Verfügung gestellten
Hilfsmittel, welche zur fortwährenden Beunruhigung der Wert- und Besitzver¬
hältnisse ausgebeutet werden, ist die Stellung der Börse als Kapitalmacht und
ihre politische Haltung möglich. Diese Stellung wird thatsächlich mir gestützt
durch die umfassendste Staatshilfe, die sich denken läßt und die einschneiden¬
der niemals dagewesen ist. Dabei ist es infolge der Verwirrung, die hinsichtlich
der Beurteilung sozial- und nationalökonomischer Fragen herrscht, der Börse
sogar möglich, sich zu brüsten, als bringe sie dem Staate Vorteil; kürzlich erst
wurde in verschiednen Börsenblättern behauptet, durch die Liquidation einer
Börsenfirma, welche angeblich durch die Schlußscheinsteuer herbeigeführt
worden sein soll, erleide das deutsche Reich jährlich 60000 Mark Verlust
— soviel nämlich hätten die von der Firma jährlich bezahlten Telegraphen-
gcbühren betragen. Bekanntlich aber kann bei der Reichstelegraphenverwaltung
von Gewinn gar keine Rede sein, da sich trotz niedriger Besoldung der Be¬
amten kein Überschuß dabei ergiebt. Jene angeblichen 60000 Mark bezeichnen
also nur die Selbstkosten der telegraphischen Leistung; die Börse aber treibet
sie dem deutschen Reich sofort als Gewinn, ja gewissermaßen gar als Geschenk
der Börse an!

Man erkennt nun wohl, wie weit der Weg ist, den wir bis zur Überwin¬
dung der Börse, wie sie sich praktisch in den Staat als eignes und in Deutsch¬
land vollkommen unabhängiges Kommunalwesen eingenistet hat, noch zu gehen
haben, und wir müssen froh sein, daß wenigstens ein, wenn auch kleiner,
doch aussichtsvoller Schritt zur Unterwerfung der Börse unter die Staatsgesetze
gethan worden ist, und zwar nicht auf dem engbegrenzten Gebiete des Steuer¬
wesens, sondern auf dem der Organisation. Dem schweizerischen Kanton Zürich
gebührt der Ruhm, diesen ersten Schritt mit Entschlossenheit, Energie und Er¬
folg gethan und damit praktisch bewiesen zu haben, sowohl daß die Jobbcrci
mit ihrer Agiotage auf die Börse und deren bezeichnete Hilfsmittel beschränkt
ist und ohne diese vollkommen lahm liegt, als auch daß die beliebten An¬
drohungen der Börse, Handel und Wandel, Verkehr und Gewerbe würden zu
gründe gehen, wenn man die Börse anrühre, lauter Flunkerei sind. Während
der drei Monate, während welcher (vom 1. Januar bis 31. März 1884) die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/309>, abgerufen am 22.06.2024.