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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Kampf der Deutschen in "Österreich.

an dessen gutösterreichischer Gesinnung zu zweifeln gar kein Grund vorliegt,
gänzlich hoffnungslos in die Zukunft blicken,

"Was die Zukunft bringt, das wissen die Götter," so beginnt das Schlu߬
kapitel seines Buches; "allein all das, was in Österreich getrieben, von den
föderalistischen Parteien, den Tschechen in Polen, sowie den Slowenen, Feudalen
und Klerikalen geplant wird, führt zu nichts anderm, als zum Zerfalle Öster¬
reichs, an dem der konservative Polizeistaat mit Ehren partizipirt, damit endlich
Österreichseiner drei Plagen loswerde, nämlich: des Jesuitismus, des Judaismus
und des Bürecmkratismus, und schließlich Rettung finde vor einem Geschlechte,
welches in die Charakterlosigkeit sein Verdienst setzt. Der Jesuitismus ist die
Mutter der Finsternis; der Judaismus der Vater des Pseudoliberalismus, und
beide blühen und erfreuen sich der Obhut und der Vormundschaft des Bürecm¬
kratismus u. s. w." Und nachdem nochmals sehr wortreich auseinandergesetzt
worden ist, daß jene drei Gewalten und in deren Dienst der Gründungs¬
schwindel, die korrumpirte Presse".s.w. das Reich ruinirt haben, nachdem der
Zerfall desselben als so gut wie unvermeidlich bezeichnet worden ist, heißt es
plötzlich wieder, noch lebe in Österreichs Völkern der Glaube an Österreich, noch
die Hoffnung auf die Zukunft, und Polen und Tschechen wird zu Gemüte ge¬
führt, daß sie allen Grund haben, für den Bestand der Monarchie zu beten.
Das ist alles recht schön, aber wie bekannt, wollen Polen und Tschechen das
nicht recht einsehen, den einen liegt überhaupt nichts an Österreich, den andern
nur an einem slavischen. Daran zu zweifeln war erlaubt, bis der Minister¬
präsident Graf Potocki im Jahre 1870 mit seinem Versuche einer gütlichen
Auseinandersetzung "die schmerzlichste Erfahrung seines Lebens" gemacht hatte
(s. S. 117 der besprochenen Schrift). Daß solche Versuche dann noch wieder¬
holt werden konnten, zeugt eben für den Mangel eines klaren staatsmännischen
Gedankens in den Regierungssphären, und wenn heute noch das doktrinäre
Thun eines Mannes wie Giskra gepriesen werden kann, so ist das wieder der
traurigste Beweis dafür, daß wenigstens die Wortführer der deutschen Ver¬
fassungspartei keinen Grund haben, das "Nichts gelernt und nichts vergessen!"
ihren Gegnern zuzurufen.

Die Deutschen in Österreich haben das Anrecht, zu führen, aber die absolute
Mehrheit haben sie nicht, sie war ihnen in der Verfassung Schmerlings nur
durch ein künstliches Wahlsystem gesichert, sie kann ihnen, falls (wozu gar keine
Aussicht besteht) der Kaiser wieder ein deutsches Ministerium berufen sollte,
nur durch den sogenannten "Hochdruck" wieder verschafft werden. So sehr man
sich dagegen sperrt: nur ein wirklich über den Parteien stehendes, außerparla¬
mentarisches Regiment mit Zielbewußtsein und kräftiger Hand kann verhindern,
daß die Zersetzung noch weiter um sich frißt. Als General Koller Statthalter
von Böhmen war, herrschte dort Ordnung, ohne daß die Bewohner in der Aus¬
übung vernünftiger Freiheit beschränkt gewesen wären. Männer solcher Art


Der Kampf der Deutschen in «Österreich.

an dessen gutösterreichischer Gesinnung zu zweifeln gar kein Grund vorliegt,
gänzlich hoffnungslos in die Zukunft blicken,

„Was die Zukunft bringt, das wissen die Götter," so beginnt das Schlu߬
kapitel seines Buches; „allein all das, was in Österreich getrieben, von den
föderalistischen Parteien, den Tschechen in Polen, sowie den Slowenen, Feudalen
und Klerikalen geplant wird, führt zu nichts anderm, als zum Zerfalle Öster¬
reichs, an dem der konservative Polizeistaat mit Ehren partizipirt, damit endlich
Österreichseiner drei Plagen loswerde, nämlich: des Jesuitismus, des Judaismus
und des Bürecmkratismus, und schließlich Rettung finde vor einem Geschlechte,
welches in die Charakterlosigkeit sein Verdienst setzt. Der Jesuitismus ist die
Mutter der Finsternis; der Judaismus der Vater des Pseudoliberalismus, und
beide blühen und erfreuen sich der Obhut und der Vormundschaft des Bürecm¬
kratismus u. s. w." Und nachdem nochmals sehr wortreich auseinandergesetzt
worden ist, daß jene drei Gewalten und in deren Dienst der Gründungs¬
schwindel, die korrumpirte Presse».s.w. das Reich ruinirt haben, nachdem der
Zerfall desselben als so gut wie unvermeidlich bezeichnet worden ist, heißt es
plötzlich wieder, noch lebe in Österreichs Völkern der Glaube an Österreich, noch
die Hoffnung auf die Zukunft, und Polen und Tschechen wird zu Gemüte ge¬
führt, daß sie allen Grund haben, für den Bestand der Monarchie zu beten.
Das ist alles recht schön, aber wie bekannt, wollen Polen und Tschechen das
nicht recht einsehen, den einen liegt überhaupt nichts an Österreich, den andern
nur an einem slavischen. Daran zu zweifeln war erlaubt, bis der Minister¬
präsident Graf Potocki im Jahre 1870 mit seinem Versuche einer gütlichen
Auseinandersetzung „die schmerzlichste Erfahrung seines Lebens" gemacht hatte
(s. S. 117 der besprochenen Schrift). Daß solche Versuche dann noch wieder¬
holt werden konnten, zeugt eben für den Mangel eines klaren staatsmännischen
Gedankens in den Regierungssphären, und wenn heute noch das doktrinäre
Thun eines Mannes wie Giskra gepriesen werden kann, so ist das wieder der
traurigste Beweis dafür, daß wenigstens die Wortführer der deutschen Ver¬
fassungspartei keinen Grund haben, das „Nichts gelernt und nichts vergessen!"
ihren Gegnern zuzurufen.

Die Deutschen in Österreich haben das Anrecht, zu führen, aber die absolute
Mehrheit haben sie nicht, sie war ihnen in der Verfassung Schmerlings nur
durch ein künstliches Wahlsystem gesichert, sie kann ihnen, falls (wozu gar keine
Aussicht besteht) der Kaiser wieder ein deutsches Ministerium berufen sollte,
nur durch den sogenannten „Hochdruck" wieder verschafft werden. So sehr man
sich dagegen sperrt: nur ein wirklich über den Parteien stehendes, außerparla¬
mentarisches Regiment mit Zielbewußtsein und kräftiger Hand kann verhindern,
daß die Zersetzung noch weiter um sich frißt. Als General Koller Statthalter
von Böhmen war, herrschte dort Ordnung, ohne daß die Bewohner in der Aus¬
übung vernünftiger Freiheit beschränkt gewesen wären. Männer solcher Art


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[0307] Der Kampf der Deutschen in «Österreich. an dessen gutösterreichischer Gesinnung zu zweifeln gar kein Grund vorliegt, gänzlich hoffnungslos in die Zukunft blicken, „Was die Zukunft bringt, das wissen die Götter," so beginnt das Schlu߬ kapitel seines Buches; „allein all das, was in Österreich getrieben, von den föderalistischen Parteien, den Tschechen in Polen, sowie den Slowenen, Feudalen und Klerikalen geplant wird, führt zu nichts anderm, als zum Zerfalle Öster¬ reichs, an dem der konservative Polizeistaat mit Ehren partizipirt, damit endlich Österreichseiner drei Plagen loswerde, nämlich: des Jesuitismus, des Judaismus und des Bürecmkratismus, und schließlich Rettung finde vor einem Geschlechte, welches in die Charakterlosigkeit sein Verdienst setzt. Der Jesuitismus ist die Mutter der Finsternis; der Judaismus der Vater des Pseudoliberalismus, und beide blühen und erfreuen sich der Obhut und der Vormundschaft des Bürecm¬ kratismus u. s. w." Und nachdem nochmals sehr wortreich auseinandergesetzt worden ist, daß jene drei Gewalten und in deren Dienst der Gründungs¬ schwindel, die korrumpirte Presse».s.w. das Reich ruinirt haben, nachdem der Zerfall desselben als so gut wie unvermeidlich bezeichnet worden ist, heißt es plötzlich wieder, noch lebe in Österreichs Völkern der Glaube an Österreich, noch die Hoffnung auf die Zukunft, und Polen und Tschechen wird zu Gemüte ge¬ führt, daß sie allen Grund haben, für den Bestand der Monarchie zu beten. Das ist alles recht schön, aber wie bekannt, wollen Polen und Tschechen das nicht recht einsehen, den einen liegt überhaupt nichts an Österreich, den andern nur an einem slavischen. Daran zu zweifeln war erlaubt, bis der Minister¬ präsident Graf Potocki im Jahre 1870 mit seinem Versuche einer gütlichen Auseinandersetzung „die schmerzlichste Erfahrung seines Lebens" gemacht hatte (s. S. 117 der besprochenen Schrift). Daß solche Versuche dann noch wieder¬ holt werden konnten, zeugt eben für den Mangel eines klaren staatsmännischen Gedankens in den Regierungssphären, und wenn heute noch das doktrinäre Thun eines Mannes wie Giskra gepriesen werden kann, so ist das wieder der traurigste Beweis dafür, daß wenigstens die Wortführer der deutschen Ver¬ fassungspartei keinen Grund haben, das „Nichts gelernt und nichts vergessen!" ihren Gegnern zuzurufen. Die Deutschen in Österreich haben das Anrecht, zu führen, aber die absolute Mehrheit haben sie nicht, sie war ihnen in der Verfassung Schmerlings nur durch ein künstliches Wahlsystem gesichert, sie kann ihnen, falls (wozu gar keine Aussicht besteht) der Kaiser wieder ein deutsches Ministerium berufen sollte, nur durch den sogenannten „Hochdruck" wieder verschafft werden. So sehr man sich dagegen sperrt: nur ein wirklich über den Parteien stehendes, außerparla¬ mentarisches Regiment mit Zielbewußtsein und kräftiger Hand kann verhindern, daß die Zersetzung noch weiter um sich frißt. Als General Koller Statthalter von Böhmen war, herrschte dort Ordnung, ohne daß die Bewohner in der Aus¬ übung vernünftiger Freiheit beschränkt gewesen wären. Männer solcher Art

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/307>, abgerufen am 22.06.2024.