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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Wurzeln des Liberalismus.

lie unsre politischen Parteien fallen mit gewissen Ständen, ge¬
wissen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und deren Interessen
zusammen, insofern sie die Meinungen, Doktrinen und Theorien,
zu deuen sie sich bekennen, uach diesen Standesiuteressen praktisch
anwenden, forme", färben und zu Regeln und Gesetzen für die
Gesamtheit gestaltet wissen Wollen. Bis zu einem gewissen Grade darf man
die Konservativen als ländliche, die Liberalen in allen ihren Fraktionen als
städtische Partei bezeichnen. Die letzteren entsprechen im großen und ganzen dem
wohlhabenden Mittelstande und erstreben dessen Herrschaft in der Gesetzgebung
und Verwaltung. Die Sozialdemokraten vertreten, soweit sie ehrlich und auf¬
richtig, nicht selbstsüchtige Phrasenmacher ohne Überzeugung, und soweit sie
einigermaßen verständig und praktisch, nicht verrückte Negirer und Zerstörer
des Bestehenden ohne positive Ziele und Zwecke sind, natürliche und vermeint¬
liche Bedürfnisse des Proletariats, der besitzlosen Arbeiter. Die Konservativen
in ihren verschiedenen Schattirungen repräsentiren vorwiegend die Interessen
des großen und eines erheblichen Teils des kleinern Grundbesitzes, die Leute
des Zentrums endlich diejenigen der katholischen Geistlichkeit in ihrem Zu¬
sammenhange mit Rom und ihrem Gegensatze gegen den Staat überhaupt und
insbesondre gegen den als protestantisch betrachteten neuen deutschen Großstaat.
Unter den Nationalliberaleu begegnet man häufig dem Professor, bei der Fort¬
schrittspartei dem praktischen Juristen, dem Advokaten und Kreisrichter, bei den
jetzt mit ihr verschmolzenen Sezessionisten dem Wortführer der Kaufmannschaft
und des Börsicmertums.

Diese Standesinteressen sind der Boden, in welchem unsre Parteien und
deren Fraktionen erwachsen sind und weiter wachsen werden. Der Samen und


Grenzboten III. 1LS4. 32


Die Wurzeln des Liberalismus.

lie unsre politischen Parteien fallen mit gewissen Ständen, ge¬
wissen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und deren Interessen
zusammen, insofern sie die Meinungen, Doktrinen und Theorien,
zu deuen sie sich bekennen, uach diesen Standesiuteressen praktisch
anwenden, forme», färben und zu Regeln und Gesetzen für die
Gesamtheit gestaltet wissen Wollen. Bis zu einem gewissen Grade darf man
die Konservativen als ländliche, die Liberalen in allen ihren Fraktionen als
städtische Partei bezeichnen. Die letzteren entsprechen im großen und ganzen dem
wohlhabenden Mittelstande und erstreben dessen Herrschaft in der Gesetzgebung
und Verwaltung. Die Sozialdemokraten vertreten, soweit sie ehrlich und auf¬
richtig, nicht selbstsüchtige Phrasenmacher ohne Überzeugung, und soweit sie
einigermaßen verständig und praktisch, nicht verrückte Negirer und Zerstörer
des Bestehenden ohne positive Ziele und Zwecke sind, natürliche und vermeint¬
liche Bedürfnisse des Proletariats, der besitzlosen Arbeiter. Die Konservativen
in ihren verschiedenen Schattirungen repräsentiren vorwiegend die Interessen
des großen und eines erheblichen Teils des kleinern Grundbesitzes, die Leute
des Zentrums endlich diejenigen der katholischen Geistlichkeit in ihrem Zu¬
sammenhange mit Rom und ihrem Gegensatze gegen den Staat überhaupt und
insbesondre gegen den als protestantisch betrachteten neuen deutschen Großstaat.
Unter den Nationalliberaleu begegnet man häufig dem Professor, bei der Fort¬
schrittspartei dem praktischen Juristen, dem Advokaten und Kreisrichter, bei den
jetzt mit ihr verschmolzenen Sezessionisten dem Wortführer der Kaufmannschaft
und des Börsicmertums.

Diese Standesinteressen sind der Boden, in welchem unsre Parteien und
deren Fraktionen erwachsen sind und weiter wachsen werden. Der Samen und


Grenzboten III. 1LS4. 32
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[0257] [Abbildung] Die Wurzeln des Liberalismus. lie unsre politischen Parteien fallen mit gewissen Ständen, ge¬ wissen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und deren Interessen zusammen, insofern sie die Meinungen, Doktrinen und Theorien, zu deuen sie sich bekennen, uach diesen Standesiuteressen praktisch anwenden, forme», färben und zu Regeln und Gesetzen für die Gesamtheit gestaltet wissen Wollen. Bis zu einem gewissen Grade darf man die Konservativen als ländliche, die Liberalen in allen ihren Fraktionen als städtische Partei bezeichnen. Die letzteren entsprechen im großen und ganzen dem wohlhabenden Mittelstande und erstreben dessen Herrschaft in der Gesetzgebung und Verwaltung. Die Sozialdemokraten vertreten, soweit sie ehrlich und auf¬ richtig, nicht selbstsüchtige Phrasenmacher ohne Überzeugung, und soweit sie einigermaßen verständig und praktisch, nicht verrückte Negirer und Zerstörer des Bestehenden ohne positive Ziele und Zwecke sind, natürliche und vermeint¬ liche Bedürfnisse des Proletariats, der besitzlosen Arbeiter. Die Konservativen in ihren verschiedenen Schattirungen repräsentiren vorwiegend die Interessen des großen und eines erheblichen Teils des kleinern Grundbesitzes, die Leute des Zentrums endlich diejenigen der katholischen Geistlichkeit in ihrem Zu¬ sammenhange mit Rom und ihrem Gegensatze gegen den Staat überhaupt und insbesondre gegen den als protestantisch betrachteten neuen deutschen Großstaat. Unter den Nationalliberaleu begegnet man häufig dem Professor, bei der Fort¬ schrittspartei dem praktischen Juristen, dem Advokaten und Kreisrichter, bei den jetzt mit ihr verschmolzenen Sezessionisten dem Wortführer der Kaufmannschaft und des Börsicmertums. Diese Standesinteressen sind der Boden, in welchem unsre Parteien und deren Fraktionen erwachsen sind und weiter wachsen werden. Der Samen und Grenzboten III. 1LS4. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/257>, abgerufen am 21.06.2024.