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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Engel auf Erden.
Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen.
(Fortsetzung.)

her bei alledem scheint es mir doch, fuhr Rinci fort, daß Ihr
eine große Unvorsichtigkeit begangen habt, weil Ihr trotz Eurer
Schwäche hier seid, und wenn der Doktor es erfährt --
Gegia ließ sie nicht ausreden: Der Doktor wird mich aus¬
schelten, aber ich bin überzeugt, daß es mir doch gutthun wird,
und wenn ich nicht hierher gekommen wäre, so würde es noch
schlimmer für mich gewesen sein.

Wieso? Warum habt Ihr denn gerade diesen Weg genommen?

Sie fragen noch? fiel jetzt die alte Magdalene mit ihrer gewohnten Leb¬
haftigkeit ein. Wir waren auf dem Wege zum Kurhause, um Sie zu sehen,
gnädige Frau. Ja, meine Tochter konnte es nicht länger aushalten. Ich glaube,
wenn sie sich nicht hätte auf den Beinen halten können, so hätte ich sie auf
den Rücken nehmen müssen, um sie herüberzutragen. Was denken Sie denn?
Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, Sie Tag für Tag zu sehen! Sie konnte
den Augenblick nicht erwarten, wo Sie an der Thür unsrer Hütte erschienen;
sie wartete auf Sie, wie soll ich sagen, wie man einen Engel des Paradieses
erwartet. Es verging ein Tag, wo Sie nicht erschienen. Gut! Sie wird nicht
haben abkommen können, sage ich ihr, um sie zu beruhigen. Oder wie? Weißt
du denn, daß sie garnichts weiter zu thun hat, als an uns zu denken? Den
folgenden Tag lassen Sie sich auch uicht sehen, und so geht es vier Tage fort.
Da fährt meiner Tochter ein großer Schrecken in die Glieder, und sie kann sich
nicht mehr bezwingen. Auch die Frau Adele ist nicht wiedergekommen, das war
ein sicheres Zeichen, daß ein arges Unglück geschehen war. Sie fragte den Doktor,
und erfuhr, daß Sie krank wären. Gegia schwieg, aber als wir allein waren,
sagte sie mir: Mutter, diesen Abend will ich ausgehen und die Frau Nina be¬
suchen, du wirst mich begleiten, nicht wahr? Ich antwortete dasselbe, was Sie
ihr soeben gesagt haben: daß sie noch zu schwach sei, und dies und das.
Und dann hatte ich noch einen andern Grund, wcirnm meine Tochter von diesem
verhaßten Orte fernbleiben mußte. Es ist kaum eine Woche her, da sagte sie




Die Engel auf Erden.
Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen.
(Fortsetzung.)

her bei alledem scheint es mir doch, fuhr Rinci fort, daß Ihr
eine große Unvorsichtigkeit begangen habt, weil Ihr trotz Eurer
Schwäche hier seid, und wenn der Doktor es erfährt —
Gegia ließ sie nicht ausreden: Der Doktor wird mich aus¬
schelten, aber ich bin überzeugt, daß es mir doch gutthun wird,
und wenn ich nicht hierher gekommen wäre, so würde es noch
schlimmer für mich gewesen sein.

Wieso? Warum habt Ihr denn gerade diesen Weg genommen?

Sie fragen noch? fiel jetzt die alte Magdalene mit ihrer gewohnten Leb¬
haftigkeit ein. Wir waren auf dem Wege zum Kurhause, um Sie zu sehen,
gnädige Frau. Ja, meine Tochter konnte es nicht länger aushalten. Ich glaube,
wenn sie sich nicht hätte auf den Beinen halten können, so hätte ich sie auf
den Rücken nehmen müssen, um sie herüberzutragen. Was denken Sie denn?
Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, Sie Tag für Tag zu sehen! Sie konnte
den Augenblick nicht erwarten, wo Sie an der Thür unsrer Hütte erschienen;
sie wartete auf Sie, wie soll ich sagen, wie man einen Engel des Paradieses
erwartet. Es verging ein Tag, wo Sie nicht erschienen. Gut! Sie wird nicht
haben abkommen können, sage ich ihr, um sie zu beruhigen. Oder wie? Weißt
du denn, daß sie garnichts weiter zu thun hat, als an uns zu denken? Den
folgenden Tag lassen Sie sich auch uicht sehen, und so geht es vier Tage fort.
Da fährt meiner Tochter ein großer Schrecken in die Glieder, und sie kann sich
nicht mehr bezwingen. Auch die Frau Adele ist nicht wiedergekommen, das war
ein sicheres Zeichen, daß ein arges Unglück geschehen war. Sie fragte den Doktor,
und erfuhr, daß Sie krank wären. Gegia schwieg, aber als wir allein waren,
sagte sie mir: Mutter, diesen Abend will ich ausgehen und die Frau Nina be¬
suchen, du wirst mich begleiten, nicht wahr? Ich antwortete dasselbe, was Sie
ihr soeben gesagt haben: daß sie noch zu schwach sei, und dies und das.
Und dann hatte ich noch einen andern Grund, wcirnm meine Tochter von diesem
verhaßten Orte fernbleiben mußte. Es ist kaum eine Woche her, da sagte sie


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[0245] [Abbildung] Die Engel auf Erden. Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) her bei alledem scheint es mir doch, fuhr Rinci fort, daß Ihr eine große Unvorsichtigkeit begangen habt, weil Ihr trotz Eurer Schwäche hier seid, und wenn der Doktor es erfährt — Gegia ließ sie nicht ausreden: Der Doktor wird mich aus¬ schelten, aber ich bin überzeugt, daß es mir doch gutthun wird, und wenn ich nicht hierher gekommen wäre, so würde es noch schlimmer für mich gewesen sein. Wieso? Warum habt Ihr denn gerade diesen Weg genommen? Sie fragen noch? fiel jetzt die alte Magdalene mit ihrer gewohnten Leb¬ haftigkeit ein. Wir waren auf dem Wege zum Kurhause, um Sie zu sehen, gnädige Frau. Ja, meine Tochter konnte es nicht länger aushalten. Ich glaube, wenn sie sich nicht hätte auf den Beinen halten können, so hätte ich sie auf den Rücken nehmen müssen, um sie herüberzutragen. Was denken Sie denn? Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, Sie Tag für Tag zu sehen! Sie konnte den Augenblick nicht erwarten, wo Sie an der Thür unsrer Hütte erschienen; sie wartete auf Sie, wie soll ich sagen, wie man einen Engel des Paradieses erwartet. Es verging ein Tag, wo Sie nicht erschienen. Gut! Sie wird nicht haben abkommen können, sage ich ihr, um sie zu beruhigen. Oder wie? Weißt du denn, daß sie garnichts weiter zu thun hat, als an uns zu denken? Den folgenden Tag lassen Sie sich auch uicht sehen, und so geht es vier Tage fort. Da fährt meiner Tochter ein großer Schrecken in die Glieder, und sie kann sich nicht mehr bezwingen. Auch die Frau Adele ist nicht wiedergekommen, das war ein sicheres Zeichen, daß ein arges Unglück geschehen war. Sie fragte den Doktor, und erfuhr, daß Sie krank wären. Gegia schwieg, aber als wir allein waren, sagte sie mir: Mutter, diesen Abend will ich ausgehen und die Frau Nina be¬ suchen, du wirst mich begleiten, nicht wahr? Ich antwortete dasselbe, was Sie ihr soeben gesagt haben: daß sie noch zu schwach sei, und dies und das. Und dann hatte ich noch einen andern Grund, wcirnm meine Tochter von diesem verhaßten Orte fernbleiben mußte. Es ist kaum eine Woche her, da sagte sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/245>, abgerufen am 21.06.2024.