Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Der König von Lypern und Jerusalem. letzte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts paßt. Ebensowenig der letzte So wäre denn hier keine Ursache zu wehmütigen Betrachtungen. Indes Der König von Lypern und Jerusalem. letzte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts paßt. Ebensowenig der letzte So wäre denn hier keine Ursache zu wehmütigen Betrachtungen. Indes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156515"/> <fw type="header" place="top"> Der König von Lypern und Jerusalem.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1005" prev="#ID_1004"> letzte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts paßt. Ebensowenig der letzte<lb/> Krvuenträger aus dem Geschlechte der Wasa, der nach seiner Entthronung als<lb/> Oberst Gustavson in Deutschland lebte und hier, weil er seine Schatulle in<lb/> Stockholm gelassen und es verschmäht hätte, seine Ersparnisse bei Rothschild<lb/> oder in der Londoner Bank zu deponiren, auch angebotene Unterstützung ab¬<lb/> lehnte, zuweilen beinahe Not litt. Der verbannte König, der Prätendent von<lb/> heutzutage kann niemals in diesen Fall kommen, er hat gewöhnlich einen wohl¬<lb/> gefüllten Geldschrank. Ex-Neapel ist neuerdings zu einem respektabel» Ver¬<lb/> mögen gelangt. Ex-Modena war immer ein zehnfacher Millionär. Parma<lb/> und Toskana besitzen schöne Güter und Aktien in Fülle. Der Graf von<lb/> Chambord lebte und starb in sehr guten Verhältnissen. Die Orleans sind die<lb/> Rothschilds unter der Exfürstenschaft, sie erfreuen sich behaglich der reichen<lb/> Früchte des betriebsamen Sinnes, mit dem Papa Ludwig Philipp seine Stellung<lb/> als König der Franzosen zu fruktifiziren verstand, und wissen ihr Erbe zu¬<lb/> sammenzuhalten. Die Bonopartes haben zwar in einigen Mitgliedern der<lb/> Familie bisweilen mehr Schulden als Geld gehabt, im ganzen aber sind diese<lb/> „Stehaufchen" ebenfalls in guter pekunärer Lage. Auch um unsre deutschen<lb/> Depvsscdirten brauchen wir uns hinsichtlich des nervus rsruin keine Sorge zu<lb/> machen, auch sie haben reichlich zu leben. So der Herzog von Cumberland, der<lb/> statt vier oder fünf Millionen Thaler deren fünf oder sechs besitzen würde,<lb/> wenn seinen Herrn Vater die Welfenlegion und allerlei thörichte Agitationen,<lb/> über welche die Herren Meding und Windthorst mehr zu erzählen imstande sein<lb/> dürften als wir, nicht garzuviel Geld gekostet hätten. Auch liegen für ihn in<lb/> Berlin sechzehn Millionen bereit für den Fall, daß er — schließlich Vernunft<lb/> annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1006"> So wäre denn hier keine Ursache zu wehmütigen Betrachtungen. Indes<lb/> ist es andrerseits doch einigermaßen fraglich, ob Reichtum, Behagen und Luxus<lb/> und ob die geachtete Stellung, welche großer Besitz verschafft, die verdrießliche<lb/> Stimmung aufwiegen, in welcher Prätendenten dahinleben, wenn die Erfüllung<lb/> ihrer Hoffnungen sich stets verzögert, wenn das Micawbersche Harren auf etwas,<lb/> womit die Situation sich vorteilhaft ändern soll, nicht die kleinste verheißungs¬<lb/> volle Wolke am Horizonte zu erblicken vermag, wenn im Gegenteil der Kreis<lb/> der Möglichkeiten einer rsstitutio in mes^rum mit jedem Jahre kleiner und<lb/> enger wird. Wir meinen daher, daß der arme alte russische Offizier, mit dessen<lb/> Begräbnis wir begonnen, doch am Ende besser daran gewesen ist als diese im<lb/> Überfluß schwimmenden Prätendenten. Er lebte harmlos dahin, das Bewußt¬<lb/> sein, ein Erbe der Lusignan et'outrs-nrsr, vom blausten Blute und zu könig¬<lb/> lichen Ehren berechtigt zu sein, war mit keiner Bitterkeit gemischt und schadete<lb/> weder ihm noch andern, es schien nur wie eine ferne milde Sonne in seine<lb/> Dürftigkeit hinein und gab ihm geistig die Vergoldung, die materiell seinen<lb/> Verhältnissen fehlte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0244]
Der König von Lypern und Jerusalem.
letzte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts paßt. Ebensowenig der letzte
Krvuenträger aus dem Geschlechte der Wasa, der nach seiner Entthronung als
Oberst Gustavson in Deutschland lebte und hier, weil er seine Schatulle in
Stockholm gelassen und es verschmäht hätte, seine Ersparnisse bei Rothschild
oder in der Londoner Bank zu deponiren, auch angebotene Unterstützung ab¬
lehnte, zuweilen beinahe Not litt. Der verbannte König, der Prätendent von
heutzutage kann niemals in diesen Fall kommen, er hat gewöhnlich einen wohl¬
gefüllten Geldschrank. Ex-Neapel ist neuerdings zu einem respektabel» Ver¬
mögen gelangt. Ex-Modena war immer ein zehnfacher Millionär. Parma
und Toskana besitzen schöne Güter und Aktien in Fülle. Der Graf von
Chambord lebte und starb in sehr guten Verhältnissen. Die Orleans sind die
Rothschilds unter der Exfürstenschaft, sie erfreuen sich behaglich der reichen
Früchte des betriebsamen Sinnes, mit dem Papa Ludwig Philipp seine Stellung
als König der Franzosen zu fruktifiziren verstand, und wissen ihr Erbe zu¬
sammenzuhalten. Die Bonopartes haben zwar in einigen Mitgliedern der
Familie bisweilen mehr Schulden als Geld gehabt, im ganzen aber sind diese
„Stehaufchen" ebenfalls in guter pekunärer Lage. Auch um unsre deutschen
Depvsscdirten brauchen wir uns hinsichtlich des nervus rsruin keine Sorge zu
machen, auch sie haben reichlich zu leben. So der Herzog von Cumberland, der
statt vier oder fünf Millionen Thaler deren fünf oder sechs besitzen würde,
wenn seinen Herrn Vater die Welfenlegion und allerlei thörichte Agitationen,
über welche die Herren Meding und Windthorst mehr zu erzählen imstande sein
dürften als wir, nicht garzuviel Geld gekostet hätten. Auch liegen für ihn in
Berlin sechzehn Millionen bereit für den Fall, daß er — schließlich Vernunft
annimmt.
So wäre denn hier keine Ursache zu wehmütigen Betrachtungen. Indes
ist es andrerseits doch einigermaßen fraglich, ob Reichtum, Behagen und Luxus
und ob die geachtete Stellung, welche großer Besitz verschafft, die verdrießliche
Stimmung aufwiegen, in welcher Prätendenten dahinleben, wenn die Erfüllung
ihrer Hoffnungen sich stets verzögert, wenn das Micawbersche Harren auf etwas,
womit die Situation sich vorteilhaft ändern soll, nicht die kleinste verheißungs¬
volle Wolke am Horizonte zu erblicken vermag, wenn im Gegenteil der Kreis
der Möglichkeiten einer rsstitutio in mes^rum mit jedem Jahre kleiner und
enger wird. Wir meinen daher, daß der arme alte russische Offizier, mit dessen
Begräbnis wir begonnen, doch am Ende besser daran gewesen ist als diese im
Überfluß schwimmenden Prätendenten. Er lebte harmlos dahin, das Bewußt¬
sein, ein Erbe der Lusignan et'outrs-nrsr, vom blausten Blute und zu könig¬
lichen Ehren berechtigt zu sein, war mit keiner Bitterkeit gemischt und schadete
weder ihm noch andern, es schien nur wie eine ferne milde Sonne in seine
Dürftigkeit hinein und gab ihm geistig die Vergoldung, die materiell seinen
Verhältnissen fehlte.
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