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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Eine Übersetzung von Goethes Faust.

Als nun Goethe 1790 die ersten Fragmente des "Faust" veröffentlichte,
da hatte auf seine Denkweise noch keine andre Philosophie als die des Spinoza
Einfluß gewonnen, dieses merkwürdig abgeschlossene, in sich konsequente System,
welches so manchem der hervorragendsten deutschen Gelehrte" zur Beruhigung
des Gemüts gedient hat. Es ist eine Art Kompromiß zwischen Idealismus
und Realismus, ein Pantheismus, ähnlich dem modernen sogenannten Mo¬
nismus. Es werden alle Dinge und Erscheinungen materieller ebensowohl
wie geistiger Art als Bestimmungen oder Jnhärenzen einer absoluten Substanz,
gleich Gott, angesehen; es ist eine Vetrcichtungsart, die Dinge in der Welt
unter eine genieinsame Ordnung und in Zusammenhang zu bringen, ohne eine
wissenschaftliche Erklärung zu geben. Ob das Verhältnis der Ursubstanz zu
den Jnhärenzen das von Ursache und Wirkung sei, war nicht bestimmt,
sondern dunkel gelassen; durch die Bevorzugung mathematischer Anschau¬
ungsweise war das System der nur formalen, beschreibenden Naturbetrach¬
tung günstig, zumal wenn diese von genialen, ideenreichen Geistern wie
Goethe unternommen wurde. An Spinoza hätte darum eigentlich Dubois-
Reymond seinen Vorwurf richten sollen, daß Goethen der Begriff der mecha¬
nischen Kausalität gefehlt habe. Denn gestützt auf den Spinozismus sah Goethe
das Auffinden von typischen Gestalten und Ideen sür die Hauptaufgabe der
organischen Naturwissenschaft an. Aber er lernte durch Schiller Kant kennen.
Wer sich genauer darüber unterrichten will, der möge im Briefwechsel von
Goethe und Schiller im zweiten Bande die Briefe 413 bis 436 nachsehen.
Zuerst empfiehlt Schiller dem Freunde, er möge die Kantischen Kategorien be¬
nutzen, um seine Farbenlehre uach einer rationellen Methode zu bearbeiten;
Goethe versucht es, Schiller korrigirt ihn, sie sind in Zweifel, ob Licht und
Farbe schematisch in eine Tabelle gebracht werden könnten, als wenn die Farbe
nur die Wirkung des Lichtes sei, oder ob die Farbe als ebenso selbständige
Empfindungsart behandelt werden müsse. Schließlich schreibt Goethe (am
21. Februar 1798): "Sonst habe ich noch manches durchgedacht, um die An¬
forderungen an die rationelle Empirie nach Ihrer Ausführung, die Sie mir
vor einigen Wochen zuschickten, noch recht nach meiner Art durchzuarbeiten.
Ich muß damit aufs Reine kommen, eh' ich wieder an den Vacon gehe, zu
dem ich abermals ein großes Zutrauen gewonnen habe, Ich lasse mich auf
diesem Wege nichts verdrießen, und ich sehe schon voraus, daß, wenn ich mein
Farbenkapitel gut durchgearbeitet haben werde, ich in manchem andern mit
großer Leichtigkeit vorschreiten kann." Das heißt: Goethe war durch die
Freundschaft mit Schiller zu einem Kantianer geworden, und das blieb er bis
zu seinem Lebensende; denn wer Kant einmal begriffen und wer gar mit ihm
gearbeitet hat, den läßt er nicht wieder los.

Dadurch erklärt es sich aber, daß der Faust trotz Schillers unablässigem
Antreiben von 1790 bis 1808 nicht weiter kam als bis zum Abschluß des


Eine Übersetzung von Goethes Faust.

Als nun Goethe 1790 die ersten Fragmente des „Faust" veröffentlichte,
da hatte auf seine Denkweise noch keine andre Philosophie als die des Spinoza
Einfluß gewonnen, dieses merkwürdig abgeschlossene, in sich konsequente System,
welches so manchem der hervorragendsten deutschen Gelehrte» zur Beruhigung
des Gemüts gedient hat. Es ist eine Art Kompromiß zwischen Idealismus
und Realismus, ein Pantheismus, ähnlich dem modernen sogenannten Mo¬
nismus. Es werden alle Dinge und Erscheinungen materieller ebensowohl
wie geistiger Art als Bestimmungen oder Jnhärenzen einer absoluten Substanz,
gleich Gott, angesehen; es ist eine Vetrcichtungsart, die Dinge in der Welt
unter eine genieinsame Ordnung und in Zusammenhang zu bringen, ohne eine
wissenschaftliche Erklärung zu geben. Ob das Verhältnis der Ursubstanz zu
den Jnhärenzen das von Ursache und Wirkung sei, war nicht bestimmt,
sondern dunkel gelassen; durch die Bevorzugung mathematischer Anschau¬
ungsweise war das System der nur formalen, beschreibenden Naturbetrach¬
tung günstig, zumal wenn diese von genialen, ideenreichen Geistern wie
Goethe unternommen wurde. An Spinoza hätte darum eigentlich Dubois-
Reymond seinen Vorwurf richten sollen, daß Goethen der Begriff der mecha¬
nischen Kausalität gefehlt habe. Denn gestützt auf den Spinozismus sah Goethe
das Auffinden von typischen Gestalten und Ideen sür die Hauptaufgabe der
organischen Naturwissenschaft an. Aber er lernte durch Schiller Kant kennen.
Wer sich genauer darüber unterrichten will, der möge im Briefwechsel von
Goethe und Schiller im zweiten Bande die Briefe 413 bis 436 nachsehen.
Zuerst empfiehlt Schiller dem Freunde, er möge die Kantischen Kategorien be¬
nutzen, um seine Farbenlehre uach einer rationellen Methode zu bearbeiten;
Goethe versucht es, Schiller korrigirt ihn, sie sind in Zweifel, ob Licht und
Farbe schematisch in eine Tabelle gebracht werden könnten, als wenn die Farbe
nur die Wirkung des Lichtes sei, oder ob die Farbe als ebenso selbständige
Empfindungsart behandelt werden müsse. Schließlich schreibt Goethe (am
21. Februar 1798): „Sonst habe ich noch manches durchgedacht, um die An¬
forderungen an die rationelle Empirie nach Ihrer Ausführung, die Sie mir
vor einigen Wochen zuschickten, noch recht nach meiner Art durchzuarbeiten.
Ich muß damit aufs Reine kommen, eh' ich wieder an den Vacon gehe, zu
dem ich abermals ein großes Zutrauen gewonnen habe, Ich lasse mich auf
diesem Wege nichts verdrießen, und ich sehe schon voraus, daß, wenn ich mein
Farbenkapitel gut durchgearbeitet haben werde, ich in manchem andern mit
großer Leichtigkeit vorschreiten kann." Das heißt: Goethe war durch die
Freundschaft mit Schiller zu einem Kantianer geworden, und das blieb er bis
zu seinem Lebensende; denn wer Kant einmal begriffen und wer gar mit ihm
gearbeitet hat, den läßt er nicht wieder los.

Dadurch erklärt es sich aber, daß der Faust trotz Schillers unablässigem
Antreiben von 1790 bis 1808 nicht weiter kam als bis zum Abschluß des


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[0238] Eine Übersetzung von Goethes Faust. Als nun Goethe 1790 die ersten Fragmente des „Faust" veröffentlichte, da hatte auf seine Denkweise noch keine andre Philosophie als die des Spinoza Einfluß gewonnen, dieses merkwürdig abgeschlossene, in sich konsequente System, welches so manchem der hervorragendsten deutschen Gelehrte» zur Beruhigung des Gemüts gedient hat. Es ist eine Art Kompromiß zwischen Idealismus und Realismus, ein Pantheismus, ähnlich dem modernen sogenannten Mo¬ nismus. Es werden alle Dinge und Erscheinungen materieller ebensowohl wie geistiger Art als Bestimmungen oder Jnhärenzen einer absoluten Substanz, gleich Gott, angesehen; es ist eine Vetrcichtungsart, die Dinge in der Welt unter eine genieinsame Ordnung und in Zusammenhang zu bringen, ohne eine wissenschaftliche Erklärung zu geben. Ob das Verhältnis der Ursubstanz zu den Jnhärenzen das von Ursache und Wirkung sei, war nicht bestimmt, sondern dunkel gelassen; durch die Bevorzugung mathematischer Anschau¬ ungsweise war das System der nur formalen, beschreibenden Naturbetrach¬ tung günstig, zumal wenn diese von genialen, ideenreichen Geistern wie Goethe unternommen wurde. An Spinoza hätte darum eigentlich Dubois- Reymond seinen Vorwurf richten sollen, daß Goethen der Begriff der mecha¬ nischen Kausalität gefehlt habe. Denn gestützt auf den Spinozismus sah Goethe das Auffinden von typischen Gestalten und Ideen sür die Hauptaufgabe der organischen Naturwissenschaft an. Aber er lernte durch Schiller Kant kennen. Wer sich genauer darüber unterrichten will, der möge im Briefwechsel von Goethe und Schiller im zweiten Bande die Briefe 413 bis 436 nachsehen. Zuerst empfiehlt Schiller dem Freunde, er möge die Kantischen Kategorien be¬ nutzen, um seine Farbenlehre uach einer rationellen Methode zu bearbeiten; Goethe versucht es, Schiller korrigirt ihn, sie sind in Zweifel, ob Licht und Farbe schematisch in eine Tabelle gebracht werden könnten, als wenn die Farbe nur die Wirkung des Lichtes sei, oder ob die Farbe als ebenso selbständige Empfindungsart behandelt werden müsse. Schließlich schreibt Goethe (am 21. Februar 1798): „Sonst habe ich noch manches durchgedacht, um die An¬ forderungen an die rationelle Empirie nach Ihrer Ausführung, die Sie mir vor einigen Wochen zuschickten, noch recht nach meiner Art durchzuarbeiten. Ich muß damit aufs Reine kommen, eh' ich wieder an den Vacon gehe, zu dem ich abermals ein großes Zutrauen gewonnen habe, Ich lasse mich auf diesem Wege nichts verdrießen, und ich sehe schon voraus, daß, wenn ich mein Farbenkapitel gut durchgearbeitet haben werde, ich in manchem andern mit großer Leichtigkeit vorschreiten kann." Das heißt: Goethe war durch die Freundschaft mit Schiller zu einem Kantianer geworden, und das blieb er bis zu seinem Lebensende; denn wer Kant einmal begriffen und wer gar mit ihm gearbeitet hat, den läßt er nicht wieder los. Dadurch erklärt es sich aber, daß der Faust trotz Schillers unablässigem Antreiben von 1790 bis 1808 nicht weiter kam als bis zum Abschluß des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/238>, abgerufen am 23.06.2024.