Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Johannes Brahms. des Freischützkomponisten. An dieser interessant rastlosen Melodie prüften unsre Wenn wir Brahms' Thätigkeit als Klavierkomponist überblicken, so können Noch haben wir der "Ungarischen Tanze" zu gedenken. Die ersten zehn Johannes Brahms. des Freischützkomponisten. An dieser interessant rastlosen Melodie prüften unsre Wenn wir Brahms' Thätigkeit als Klavierkomponist überblicken, so können Noch haben wir der „Ungarischen Tanze" zu gedenken. Die ersten zehn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156452"/> <fw type="header" place="top"> Johannes Brahms.</fw><lb/> <p xml:id="ID_735" prev="#ID_734"> des Freischützkomponisten. An dieser interessant rastlosen Melodie prüften unsre<lb/> Großväter die Virtuosität ihrer Rechten. Brahms setzt sie in die linke Hand<lb/> und stellt ihr in der rechten neu erfundene und durchgeführte Contrapunktc ent¬<lb/> gegen. Die Idee dieser Studien ist an sich ganz nein sie zeigt wieder das<lb/> immer und überall erfindende Genie. Für die Klaviertechnik und die Aus¬<lb/> bildung der höhern und höchsten Virtuosität sind diese Studien von emi¬<lb/> nenter Bedeutung — allem Anscheine nach aber wenig benutzt. Außer den<lb/> Pianisten müssen sie auch jeden ausgebildeten Musiker und Musikfreund als<lb/> geniale Curiosa und Kunststücke ersten Ranges interessiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_736"> Wenn wir Brahms' Thätigkeit als Klavierkomponist überblicken, so können<lb/> wir nicht ganz das Bedauern unterdrücken, daß er sich auf diesem Gebiete so<lb/> selten macht. Die gewöhnlichen Lieferungen für die Hausmusik mögen den festen<lb/> Händen überlassen bleiben, in denen sie sich schon lange befinden. Aber ein<lb/> häufigerer Impuls von Meister Brahms auf diesem Terrain würde für die<lb/> Entwicklung der Tonkunst nicht unwichtig sein. Beethovens Symphonien wären<lb/> nicht so schnell und nicht so tief in alle Kreise der musikalischen Gesellschaft<lb/> eingedrungen, wenn ihnen die Sonaten des Meisters nicht zur Seite gestanden<lb/> hätten. Namentlich die „Vierhändigeu" im Lande lechzen nach einem neuen<lb/> Trunke aus dem Brahmsschen Muscnquell. Ein Heft neuer Variationen, über<lb/> ein Volkslied etwa, für Primo und secondo würde wie ein Weihnachtsgeschenk<lb/> begrüßt werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_737" next="#ID_738"> Noch haben wir der „Ungarischen Tanze" zu gedenken. Die ersten zehn<lb/> erschienen zu Anfang der siebziger Jahre in zwei Heften, und ein Jahrzehnt<lb/> später ließ ihnen Brahms wieder zwei Hefte, die gleiche Zahl enthaltend, nach¬<lb/> folgen. Die Originalmclodien zu diesen Tänzen hat Brahms selbst gesammelt.<lb/> In Ungarn gehören sie herrenlos zu dem öffentlichen Gut der Zigeunerkapellen —<lb/> ihren Komponisten ist erst nachgefragt worden, nachdem Brahms diese Weisen<lb/> berühmt gemacht hatte. In der That ist das Verdienst, welches sich Brahms<lb/> um die ungarische Musik erwarb, indem er diese Tänze in die internationale<lb/> Kunstpflege einführte, kein geringes. Weder Haydn, Beethoven und Schubert,<lb/> welche gelegentlich magyarische Anleihen machten, noch Liszt, der mit seinen<lb/> „Ungarischen Rhapsodien" zuerst systematisch voranging, haben uns das ganz<lb/> eigentümliche Element dieser ungarischen Musik so nahe gebracht wie Brahms,<lb/> der in seiner durchgreifenden Art an die Quellen selbst ging und sie so getreu<lb/> wiedergab, als dies überhaupt möglich ist. Wie schwierig aber dieses Unter¬<lb/> nehmen ist, das lernt man verstehen, wenn man einmal die eine oder die andre<lb/> der heute durch Brahms populär gemachten ungarischen Weisen von Zigeuner¬<lb/> kapellen, am besten ein und dieselbe von verschiedenen solchen Kapellen, vor¬<lb/> tragen hört. Das kommt alles aus einer unergründlich und zauberhaft reichen,<lb/> aber chaotischen Musikempfindung heraus und für unsre an Maß und Ord¬<lb/> nung gewöhnte Fassungskraft bieten diese regellos schweifenden und schwärmenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
Johannes Brahms.
des Freischützkomponisten. An dieser interessant rastlosen Melodie prüften unsre
Großväter die Virtuosität ihrer Rechten. Brahms setzt sie in die linke Hand
und stellt ihr in der rechten neu erfundene und durchgeführte Contrapunktc ent¬
gegen. Die Idee dieser Studien ist an sich ganz nein sie zeigt wieder das
immer und überall erfindende Genie. Für die Klaviertechnik und die Aus¬
bildung der höhern und höchsten Virtuosität sind diese Studien von emi¬
nenter Bedeutung — allem Anscheine nach aber wenig benutzt. Außer den
Pianisten müssen sie auch jeden ausgebildeten Musiker und Musikfreund als
geniale Curiosa und Kunststücke ersten Ranges interessiren.
Wenn wir Brahms' Thätigkeit als Klavierkomponist überblicken, so können
wir nicht ganz das Bedauern unterdrücken, daß er sich auf diesem Gebiete so
selten macht. Die gewöhnlichen Lieferungen für die Hausmusik mögen den festen
Händen überlassen bleiben, in denen sie sich schon lange befinden. Aber ein
häufigerer Impuls von Meister Brahms auf diesem Terrain würde für die
Entwicklung der Tonkunst nicht unwichtig sein. Beethovens Symphonien wären
nicht so schnell und nicht so tief in alle Kreise der musikalischen Gesellschaft
eingedrungen, wenn ihnen die Sonaten des Meisters nicht zur Seite gestanden
hätten. Namentlich die „Vierhändigeu" im Lande lechzen nach einem neuen
Trunke aus dem Brahmsschen Muscnquell. Ein Heft neuer Variationen, über
ein Volkslied etwa, für Primo und secondo würde wie ein Weihnachtsgeschenk
begrüßt werden!
Noch haben wir der „Ungarischen Tanze" zu gedenken. Die ersten zehn
erschienen zu Anfang der siebziger Jahre in zwei Heften, und ein Jahrzehnt
später ließ ihnen Brahms wieder zwei Hefte, die gleiche Zahl enthaltend, nach¬
folgen. Die Originalmclodien zu diesen Tänzen hat Brahms selbst gesammelt.
In Ungarn gehören sie herrenlos zu dem öffentlichen Gut der Zigeunerkapellen —
ihren Komponisten ist erst nachgefragt worden, nachdem Brahms diese Weisen
berühmt gemacht hatte. In der That ist das Verdienst, welches sich Brahms
um die ungarische Musik erwarb, indem er diese Tänze in die internationale
Kunstpflege einführte, kein geringes. Weder Haydn, Beethoven und Schubert,
welche gelegentlich magyarische Anleihen machten, noch Liszt, der mit seinen
„Ungarischen Rhapsodien" zuerst systematisch voranging, haben uns das ganz
eigentümliche Element dieser ungarischen Musik so nahe gebracht wie Brahms,
der in seiner durchgreifenden Art an die Quellen selbst ging und sie so getreu
wiedergab, als dies überhaupt möglich ist. Wie schwierig aber dieses Unter¬
nehmen ist, das lernt man verstehen, wenn man einmal die eine oder die andre
der heute durch Brahms populär gemachten ungarischen Weisen von Zigeuner¬
kapellen, am besten ein und dieselbe von verschiedenen solchen Kapellen, vor¬
tragen hört. Das kommt alles aus einer unergründlich und zauberhaft reichen,
aber chaotischen Musikempfindung heraus und für unsre an Maß und Ord¬
nung gewöhnte Fassungskraft bieten diese regellos schweifenden und schwärmenden
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |