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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

lieu niemals strauchelt, der ist auf dem besten Wege, ein Paganini des Klaviers
zu werden. Zugleich sind aber diese harten Nüsse mit soviel Caprice und Genie
aufgetischt, daß man auch vom musikalischen Staudpunkte aus diese Paganini-
variationen hoch bewundern darf. Für diejenigen, welche sich ans die Klavier¬
konzerte von Brahms technisch vorbereiten und in die Eigentümlichkeit seines
Klavierstiles eindringen wollen, giebt es kein besseres Mittel als diese Varia¬
tionen in ox. 33.

Bekanntermaßen erfreut sich der Klaviersatz unsers Meisters bei den Pia¬
nisten keiner besondern Zuneigung. Brahms verschmäht prinzipiell die billigen
und abgebrauchter Effekte. Er schreibt keine auf- und abrennenden Skalen hin,
keine Arpeggienschwärme mit und ohne Melodienkern, er entzieht den Virtuosen
eine Reihe ihrer gewohnten "dankbaren" Aufgaben. Auf der andern Seite
verlangt er von ihnen neue, kühne technische Leistungen, eine Vielseitigkeit und
Elastizität der Spielkunst, die ihnen bisher kaum zugemutet wurde -- und dies
alles, als wäre es etwas Selbstverständliches und Gewöhnliches. Die Bravour
hat gar keine Gelegenheit, sich in ihrem vollen Lichte zu zeigen, sie tritt nicht
auf deu Vorderplatz und wird nicht um ihrer selbst willen herangezogen. Die
schwierigen Partien, die neuen Klangesfekte, die erst in einigen Jahrzehnten Ge¬
meingut der Klavierkomposition und der Klaviervirtuosität sein werden, sind
Produkte der motivischen Entwicklung und erscheinen im Gange der musikalischen
Ideen wie beiläufig gefunden. Brahms kennt keine Verquickung dichterischer und
virtuoser Tendenzen. Er ist in der Welt der elementaren Klanggeister heimisch
wie einer und schöpft aus ihren Schätzen neue Wunder -- aber er läßt sich
nicht von ihr beherrschen. Die Reinheit des Stils, welche seine Klavierkom¬
positionen charakterisirt, steht im engsten Zusammenhange mit einer Reihe geistiger
Eigenschaften, von denen später noch zu sprechen sein wird.

Was die ungewöhnlichen technischen Anforderungen der Klavierwerke des
Komponisten betrifft, so ist noch zu bemerken, daß sie nicht in allen die gleichen
sind. Kaum unter den Begriff schwieriger Klavierstücke sind zu rechnen die
Balladen, die Capriccios und Intermezzi ox. 76, die Rhapsodien. Mehr ver¬
langen die Sonaten und die Variationen ox. 9 und 21, noch höheres die
Händel-Variationen, das höchste die Pagamni-Variationen und die beiden Klavier¬
konzerte. Auf letztere kommen wir noch zurück.

Die Paganini-Variationen führen uns zu einem Anhang der Klavier¬
kompositionen des Meisters. Sie haben nämlich den Nebentitel: "Studien für
Pianoforte." Zu solchen Studien hat aber Brahms noch fünf Beiträge ver¬
öffentlicht: eine Etude lI-me>11) nach F. Chopin, ein Rondo (0-Äur) nach Weber,
ein Presto nach I. S. Bach in zwei Bearbeitungen und Bachs v-moll-Chaconne
für die linke Hand allein. Die Originale sind in diesen Nachbildungen voll¬
ständig aufgenommen, aber in einer ganz eigenartigen Weise: In dem "Rondo
nach Weber" finden wir einen alten lieben Bekannten: das I^rpswum mobile


Johannes Brahms.

lieu niemals strauchelt, der ist auf dem besten Wege, ein Paganini des Klaviers
zu werden. Zugleich sind aber diese harten Nüsse mit soviel Caprice und Genie
aufgetischt, daß man auch vom musikalischen Staudpunkte aus diese Paganini-
variationen hoch bewundern darf. Für diejenigen, welche sich ans die Klavier¬
konzerte von Brahms technisch vorbereiten und in die Eigentümlichkeit seines
Klavierstiles eindringen wollen, giebt es kein besseres Mittel als diese Varia¬
tionen in ox. 33.

Bekanntermaßen erfreut sich der Klaviersatz unsers Meisters bei den Pia¬
nisten keiner besondern Zuneigung. Brahms verschmäht prinzipiell die billigen
und abgebrauchter Effekte. Er schreibt keine auf- und abrennenden Skalen hin,
keine Arpeggienschwärme mit und ohne Melodienkern, er entzieht den Virtuosen
eine Reihe ihrer gewohnten „dankbaren" Aufgaben. Auf der andern Seite
verlangt er von ihnen neue, kühne technische Leistungen, eine Vielseitigkeit und
Elastizität der Spielkunst, die ihnen bisher kaum zugemutet wurde — und dies
alles, als wäre es etwas Selbstverständliches und Gewöhnliches. Die Bravour
hat gar keine Gelegenheit, sich in ihrem vollen Lichte zu zeigen, sie tritt nicht
auf deu Vorderplatz und wird nicht um ihrer selbst willen herangezogen. Die
schwierigen Partien, die neuen Klangesfekte, die erst in einigen Jahrzehnten Ge¬
meingut der Klavierkomposition und der Klaviervirtuosität sein werden, sind
Produkte der motivischen Entwicklung und erscheinen im Gange der musikalischen
Ideen wie beiläufig gefunden. Brahms kennt keine Verquickung dichterischer und
virtuoser Tendenzen. Er ist in der Welt der elementaren Klanggeister heimisch
wie einer und schöpft aus ihren Schätzen neue Wunder — aber er läßt sich
nicht von ihr beherrschen. Die Reinheit des Stils, welche seine Klavierkom¬
positionen charakterisirt, steht im engsten Zusammenhange mit einer Reihe geistiger
Eigenschaften, von denen später noch zu sprechen sein wird.

Was die ungewöhnlichen technischen Anforderungen der Klavierwerke des
Komponisten betrifft, so ist noch zu bemerken, daß sie nicht in allen die gleichen
sind. Kaum unter den Begriff schwieriger Klavierstücke sind zu rechnen die
Balladen, die Capriccios und Intermezzi ox. 76, die Rhapsodien. Mehr ver¬
langen die Sonaten und die Variationen ox. 9 und 21, noch höheres die
Händel-Variationen, das höchste die Pagamni-Variationen und die beiden Klavier¬
konzerte. Auf letztere kommen wir noch zurück.

Die Paganini-Variationen führen uns zu einem Anhang der Klavier¬
kompositionen des Meisters. Sie haben nämlich den Nebentitel: „Studien für
Pianoforte." Zu solchen Studien hat aber Brahms noch fünf Beiträge ver¬
öffentlicht: eine Etude lI-me>11) nach F. Chopin, ein Rondo (0-Äur) nach Weber,
ein Presto nach I. S. Bach in zwei Bearbeitungen und Bachs v-moll-Chaconne
für die linke Hand allein. Die Originale sind in diesen Nachbildungen voll¬
ständig aufgenommen, aber in einer ganz eigenartigen Weise: In dem „Rondo
nach Weber" finden wir einen alten lieben Bekannten: das I^rpswum mobile


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/180>, abgerufen am 23.06.2024.