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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

Wenig bekannten Brahms als denjenigen Künstler proklamirte, der "den höchsten
Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen sei, der die Meister¬
schaft nicht in stufenweiser Entfaltung bringe, sondern, wie Minerva, gleich
vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspringe." Niemals
vorher und nachher hat ein Artikel einer Mnsikzeitnng ein solches Aufsehen
erregt wie dieser. Er drang weit über die Kreise hinaus, für welche er bestimmt
war, und blieb jahrzehntelang vielfach mißverstanden im Gedächtnis derer, die
von ihm gehört hatten; er wirkte wie ein Blitzschlag, zugleich belebend und
verwirrend. Als Brahms, kurze Zeit nachdem Schumanns Aufsatz erschienen
war, nach Leipzig kam und in der Kamniermusik des Gewandhauses -- am
17. Dezember 1853 -- in einem Privatzirkel spielte, empfing ihn die begeisterte
Schwärmerei eines Schladcbach, aber auch liebloser Widerspruch. Bei diesem
Aufenthalte in der tonangebenden Musikstadt fand Brahms seine ersten Ver¬
leger: Breitkopf und Härtel druckten sechs, Barth. Senff zwei Hefte von ihm.

Nach jener spannenden Episode verschwand Brahms bald wieder auf
längere Zeit aus dem Gesichtskreise des großen Publikums. Es war Jahre
hindurch ein anfangs nnr intimer Kreis von feinern Musikern, aus deren
Reihe wir Joachim und Stockhausen zu nennen die Verpflichtung fühlen, der
seine Bahnen mit warmem Interesse verfolgte. Es ist bezeichnend, daß Moritz
Hauptmann in seinen bekannten Briefen, die doch die musikalische Bewegung
in Deutschland vom Anfang des Jahrhunderts bis zum Jahre 1867 ziemlich
vollständig wiederspiegeln, den Namen Brahms nicht ein einziges mal erwähnt.
Jener Kreis verständnisvoller Verehrer wuchs nach dem Erscheinen der Sextette,
der Magellonenromanzcn wohl merkbar -- aber die entschiedne Wendung in
dem Verhältnis der öffentlichen Musikpflege zu Brahms trat erst mit dem Be¬
kanntwerden des "Deutschen Requiem" ein, etwa um das Jahr 1868. Das
Wort, welches Goethe für das Blücherdenkmal schrieb: "In Harren und Krieg,
in Sturz und Sieg bewußt und groß," kann man auch auf Brahms anwenden.
Die Gleichgiltigkeit seiner Zeitgenossen lähmte nicht seine Schaffenslust und seinen
Fleiß -- ihr lauter Jubel beirrte ihn nicht in der künstlerischen Strenge und
Sorgfalt. Die Stetigkeit, mit welcher er arbeitete, blieb in der glänzenden Hälfte
nach dem Requiem dieselbe wie in den stillen Jahren, die ihr vorhergingen.
Es entstanden in der Zeit von 1853 bis 1867 fünfundvierzig Werke, und genau
dieselbe Zahl von da ab bis zum Jahre 1883.

Das äußere Leben von Brahms, welcher jetzt Ehrendoktor mehrerer Uni¬
versitäten und im Besitze hoher Orden und andrer Auszeichnungen ist, verlief
einfach und ruhig. Öffentliche Stellungen hat er nnr vorübergehend bekleidet.
Einige Jahre fungirte er beim Fürsten zu Detmold als Chordirigent und
Musiklehrer; zweimal stand er in Wien an der Spitze angesehener Musik¬
gesellschaften: im Jahre 1863 als Chormcister der Wiener Singakademie, von
1872 bis 1874 als Dirigent der Konzerte der alten "Gesellschaft der Musik-


Johannes Brahms.

Wenig bekannten Brahms als denjenigen Künstler proklamirte, der „den höchsten
Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen sei, der die Meister¬
schaft nicht in stufenweiser Entfaltung bringe, sondern, wie Minerva, gleich
vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspringe." Niemals
vorher und nachher hat ein Artikel einer Mnsikzeitnng ein solches Aufsehen
erregt wie dieser. Er drang weit über die Kreise hinaus, für welche er bestimmt
war, und blieb jahrzehntelang vielfach mißverstanden im Gedächtnis derer, die
von ihm gehört hatten; er wirkte wie ein Blitzschlag, zugleich belebend und
verwirrend. Als Brahms, kurze Zeit nachdem Schumanns Aufsatz erschienen
war, nach Leipzig kam und in der Kamniermusik des Gewandhauses — am
17. Dezember 1853 — in einem Privatzirkel spielte, empfing ihn die begeisterte
Schwärmerei eines Schladcbach, aber auch liebloser Widerspruch. Bei diesem
Aufenthalte in der tonangebenden Musikstadt fand Brahms seine ersten Ver¬
leger: Breitkopf und Härtel druckten sechs, Barth. Senff zwei Hefte von ihm.

Nach jener spannenden Episode verschwand Brahms bald wieder auf
längere Zeit aus dem Gesichtskreise des großen Publikums. Es war Jahre
hindurch ein anfangs nnr intimer Kreis von feinern Musikern, aus deren
Reihe wir Joachim und Stockhausen zu nennen die Verpflichtung fühlen, der
seine Bahnen mit warmem Interesse verfolgte. Es ist bezeichnend, daß Moritz
Hauptmann in seinen bekannten Briefen, die doch die musikalische Bewegung
in Deutschland vom Anfang des Jahrhunderts bis zum Jahre 1867 ziemlich
vollständig wiederspiegeln, den Namen Brahms nicht ein einziges mal erwähnt.
Jener Kreis verständnisvoller Verehrer wuchs nach dem Erscheinen der Sextette,
der Magellonenromanzcn wohl merkbar — aber die entschiedne Wendung in
dem Verhältnis der öffentlichen Musikpflege zu Brahms trat erst mit dem Be¬
kanntwerden des „Deutschen Requiem" ein, etwa um das Jahr 1868. Das
Wort, welches Goethe für das Blücherdenkmal schrieb: „In Harren und Krieg,
in Sturz und Sieg bewußt und groß," kann man auch auf Brahms anwenden.
Die Gleichgiltigkeit seiner Zeitgenossen lähmte nicht seine Schaffenslust und seinen
Fleiß — ihr lauter Jubel beirrte ihn nicht in der künstlerischen Strenge und
Sorgfalt. Die Stetigkeit, mit welcher er arbeitete, blieb in der glänzenden Hälfte
nach dem Requiem dieselbe wie in den stillen Jahren, die ihr vorhergingen.
Es entstanden in der Zeit von 1853 bis 1867 fünfundvierzig Werke, und genau
dieselbe Zahl von da ab bis zum Jahre 1883.

Das äußere Leben von Brahms, welcher jetzt Ehrendoktor mehrerer Uni¬
versitäten und im Besitze hoher Orden und andrer Auszeichnungen ist, verlief
einfach und ruhig. Öffentliche Stellungen hat er nnr vorübergehend bekleidet.
Einige Jahre fungirte er beim Fürsten zu Detmold als Chordirigent und
Musiklehrer; zweimal stand er in Wien an der Spitze angesehener Musik¬
gesellschaften: im Jahre 1863 als Chormcister der Wiener Singakademie, von
1872 bis 1874 als Dirigent der Konzerte der alten „Gesellschaft der Musik-


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[0133] Johannes Brahms. Wenig bekannten Brahms als denjenigen Künstler proklamirte, der „den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen sei, der die Meister¬ schaft nicht in stufenweiser Entfaltung bringe, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspringe." Niemals vorher und nachher hat ein Artikel einer Mnsikzeitnng ein solches Aufsehen erregt wie dieser. Er drang weit über die Kreise hinaus, für welche er bestimmt war, und blieb jahrzehntelang vielfach mißverstanden im Gedächtnis derer, die von ihm gehört hatten; er wirkte wie ein Blitzschlag, zugleich belebend und verwirrend. Als Brahms, kurze Zeit nachdem Schumanns Aufsatz erschienen war, nach Leipzig kam und in der Kamniermusik des Gewandhauses — am 17. Dezember 1853 — in einem Privatzirkel spielte, empfing ihn die begeisterte Schwärmerei eines Schladcbach, aber auch liebloser Widerspruch. Bei diesem Aufenthalte in der tonangebenden Musikstadt fand Brahms seine ersten Ver¬ leger: Breitkopf und Härtel druckten sechs, Barth. Senff zwei Hefte von ihm. Nach jener spannenden Episode verschwand Brahms bald wieder auf längere Zeit aus dem Gesichtskreise des großen Publikums. Es war Jahre hindurch ein anfangs nnr intimer Kreis von feinern Musikern, aus deren Reihe wir Joachim und Stockhausen zu nennen die Verpflichtung fühlen, der seine Bahnen mit warmem Interesse verfolgte. Es ist bezeichnend, daß Moritz Hauptmann in seinen bekannten Briefen, die doch die musikalische Bewegung in Deutschland vom Anfang des Jahrhunderts bis zum Jahre 1867 ziemlich vollständig wiederspiegeln, den Namen Brahms nicht ein einziges mal erwähnt. Jener Kreis verständnisvoller Verehrer wuchs nach dem Erscheinen der Sextette, der Magellonenromanzcn wohl merkbar — aber die entschiedne Wendung in dem Verhältnis der öffentlichen Musikpflege zu Brahms trat erst mit dem Be¬ kanntwerden des „Deutschen Requiem" ein, etwa um das Jahr 1868. Das Wort, welches Goethe für das Blücherdenkmal schrieb: „In Harren und Krieg, in Sturz und Sieg bewußt und groß," kann man auch auf Brahms anwenden. Die Gleichgiltigkeit seiner Zeitgenossen lähmte nicht seine Schaffenslust und seinen Fleiß — ihr lauter Jubel beirrte ihn nicht in der künstlerischen Strenge und Sorgfalt. Die Stetigkeit, mit welcher er arbeitete, blieb in der glänzenden Hälfte nach dem Requiem dieselbe wie in den stillen Jahren, die ihr vorhergingen. Es entstanden in der Zeit von 1853 bis 1867 fünfundvierzig Werke, und genau dieselbe Zahl von da ab bis zum Jahre 1883. Das äußere Leben von Brahms, welcher jetzt Ehrendoktor mehrerer Uni¬ versitäten und im Besitze hoher Orden und andrer Auszeichnungen ist, verlief einfach und ruhig. Öffentliche Stellungen hat er nnr vorübergehend bekleidet. Einige Jahre fungirte er beim Fürsten zu Detmold als Chordirigent und Musiklehrer; zweimal stand er in Wien an der Spitze angesehener Musik¬ gesellschaften: im Jahre 1863 als Chormcister der Wiener Singakademie, von 1872 bis 1874 als Dirigent der Konzerte der alten „Gesellschaft der Musik-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/133>, abgerufen am 20.06.2024.