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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Belgische und holländische Verlegenheiten.

nahe in Krieg verwickelt hätten. Erst vor vierzehn Jahren beschleunigte die
Erledigung des spanischen Thrones und dessen Neubesetzung den Kampf zwischen
Deutschland und Frankreich. Wie, wenn die gegenwärtige holländische Dynastie
erlösche? "Der König ist alt, sein Erbe sehr krank, es existirt nur ein Kind
noch, und zwar eine Prinzessin, und wird Holland sich zum erstenmale von
einer Königin regieren zu lassen geneigt sein? Das ist nicht Brauch bei den
Deutschen, und die Holländer sind ihrer Abstammung nach Deutsche. Sehen
wir von dem kleinen Mädchen ab, so geht die Krone einst auf deu Fürsten von
Wied über, aber da dessen Ansprüche sich gleichfalls auf eine Frau gründen,
so würde das salische Gesetz auch ihn ausschließen. Dann tritt das Recht des
ExHerzogs von Nassau in Geltung. Dieser ist der legitime und anerkannte Erbe
in betreff Luxemburgs. Wird Deutschland ihn auch König von Holland werden
lassen, oder wird es sich mit ihm verständigen und ihn dadurch mit der Ver¬
gangenheit versöhnen, daß es ihm für die verlorene nassauische Herzogskrone
gestattet, das fremde und vornehmere Diadem sich aufs Haupt zu setzen? Das
wäre eine des Fürsten Bismarck würdige Politik: er würde einen deutschen
Fürsten auf den Thron von Holland bringen und letzteres dann durch Verträge
zum "Admiralstaate" des Reiches machen. Mit einem Schlage würde das
deutsche Reich eine Flotte, Kolonien und Welthandel haben und über den Rhein
von seiner Quelle bis zu seiner Mündung gebieten. Was die Franzosen dabei
empfinden würden, können wir erraten, was sie dazu sagen würden, läßt sich
aus dem Schweigen voraussagen, das sie beobachten, wenn Bismarck auch nur
den kleinen Finger erhebt, was sie dagegen thun würden, steht auf einem andern
Blatte geschrieben. Ein abermaliger Angriff auf Deutschland würde einen aber¬
maligen Anfall von Tobsucht in Paris voraussetzen, und es ist noch zu früh,
als daß man eine Wiederkehr politischen Irrsinns dort erwarten dürfte. Was
aber würden die Holländer dazu sagen, wenn man sie gegen ihren Willen ger-
manisirte? Die Deutschen werden als Herrscher oder Regierer oft mehr geachtet
als geliebt. Die Italiener haßten sie, die Polen und Tschechen verabscheuen sie.
Die Holländer sind Verwandte von ihnen, und Fürst Bismarck wußte sich neulich
mit dem Boerpräsidenten Krüger ganz flott zu verständigen, indem er mit dem¬
selben Plattdeutsch sprach. Aber Familienhäkeleien sind sprichwörtlich, und Vet¬
tern ersten Grades sind oft aufgelegt, miteinander zu raufen. Eine holländische
Auflehnung gegen die Einverleibung in Deutschland wäre nicht unmöglich, und
wir können mit Sicherheit annehmen, daß der deutsche Reichskanzler, wie gern
er auch eine ruhig vor sich gehende Besitznahme sehen möchte, keinen Schritt in
der Sache thun wird, wenn er glaubt, daß Holland in seinen Hände" ein Ir¬
land sein würde. Glücklicherweise sind die Zeiten vorüber, wo England sich ein¬
mischte: es wird keinen Mann senden und keinen Penny ausgeben, um einen
Prinzen oder eine Prinzessin auf den holländischen Thron zu setzen oder sie
davon fernzuhalten."


Belgische und holländische Verlegenheiten.

nahe in Krieg verwickelt hätten. Erst vor vierzehn Jahren beschleunigte die
Erledigung des spanischen Thrones und dessen Neubesetzung den Kampf zwischen
Deutschland und Frankreich. Wie, wenn die gegenwärtige holländische Dynastie
erlösche? „Der König ist alt, sein Erbe sehr krank, es existirt nur ein Kind
noch, und zwar eine Prinzessin, und wird Holland sich zum erstenmale von
einer Königin regieren zu lassen geneigt sein? Das ist nicht Brauch bei den
Deutschen, und die Holländer sind ihrer Abstammung nach Deutsche. Sehen
wir von dem kleinen Mädchen ab, so geht die Krone einst auf deu Fürsten von
Wied über, aber da dessen Ansprüche sich gleichfalls auf eine Frau gründen,
so würde das salische Gesetz auch ihn ausschließen. Dann tritt das Recht des
ExHerzogs von Nassau in Geltung. Dieser ist der legitime und anerkannte Erbe
in betreff Luxemburgs. Wird Deutschland ihn auch König von Holland werden
lassen, oder wird es sich mit ihm verständigen und ihn dadurch mit der Ver¬
gangenheit versöhnen, daß es ihm für die verlorene nassauische Herzogskrone
gestattet, das fremde und vornehmere Diadem sich aufs Haupt zu setzen? Das
wäre eine des Fürsten Bismarck würdige Politik: er würde einen deutschen
Fürsten auf den Thron von Holland bringen und letzteres dann durch Verträge
zum »Admiralstaate« des Reiches machen. Mit einem Schlage würde das
deutsche Reich eine Flotte, Kolonien und Welthandel haben und über den Rhein
von seiner Quelle bis zu seiner Mündung gebieten. Was die Franzosen dabei
empfinden würden, können wir erraten, was sie dazu sagen würden, läßt sich
aus dem Schweigen voraussagen, das sie beobachten, wenn Bismarck auch nur
den kleinen Finger erhebt, was sie dagegen thun würden, steht auf einem andern
Blatte geschrieben. Ein abermaliger Angriff auf Deutschland würde einen aber¬
maligen Anfall von Tobsucht in Paris voraussetzen, und es ist noch zu früh,
als daß man eine Wiederkehr politischen Irrsinns dort erwarten dürfte. Was
aber würden die Holländer dazu sagen, wenn man sie gegen ihren Willen ger-
manisirte? Die Deutschen werden als Herrscher oder Regierer oft mehr geachtet
als geliebt. Die Italiener haßten sie, die Polen und Tschechen verabscheuen sie.
Die Holländer sind Verwandte von ihnen, und Fürst Bismarck wußte sich neulich
mit dem Boerpräsidenten Krüger ganz flott zu verständigen, indem er mit dem¬
selben Plattdeutsch sprach. Aber Familienhäkeleien sind sprichwörtlich, und Vet¬
tern ersten Grades sind oft aufgelegt, miteinander zu raufen. Eine holländische
Auflehnung gegen die Einverleibung in Deutschland wäre nicht unmöglich, und
wir können mit Sicherheit annehmen, daß der deutsche Reichskanzler, wie gern
er auch eine ruhig vor sich gehende Besitznahme sehen möchte, keinen Schritt in
der Sache thun wird, wenn er glaubt, daß Holland in seinen Hände» ein Ir¬
land sein würde. Glücklicherweise sind die Zeiten vorüber, wo England sich ein¬
mischte: es wird keinen Mann senden und keinen Penny ausgeben, um einen
Prinzen oder eine Prinzessin auf den holländischen Thron zu setzen oder sie
davon fernzuhalten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/13>, abgerufen am 23.06.2024.