Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken über Goethe.

Jahr ist, so sind sie noch gesund und geschickt, und lasse Gott sorgen, wie sie
mit ihren Kindern ernähret werden."^)

Auch bei Goethe ist frühe Ehe die natürliche, unrcflcktirte Form. Her¬
manns Mutter war, wie sie selbst sagt, als vor zwanzig Jahren das große
Jener ausbrach, fast noch ein Kind, und auf den Trümmern geschah ihre Ver¬
lobung; Hermann selbst kann, da der Bund der Eltern erst vor zwanzig Jahren
geschlossen war, nicht älter als neunzehn Jahre sein, und doch hat er sich in
seiner Kammer einsam gefühlt und entbehrte des Weibes, und in einem Nach¬
mittage hat er die Braut gewählt und heimgeführt, und die Hochzeit wird, da
ihr nichts entgegensteht, bald gefeiert werden. Dasselbe ergiebt sich aus dem
schönen Gedicht "Die glücklichen Gatten," einem ländlichen Familiengemälde.
Es entstand einige Jahre nach "Hermann und Dorothea," mit dem es, obwohl
in gereimten Strophen verfaßt, Stimmung und Sphäre teilt. Der Gatte, die
soeben von einem Frühlingsregen erfrischte Gegend überschauend, spricht zu seinem
Weibe: "Hier war es, wo wir uns fanden, wo wir den Ehebund eingingen,
das erste Glück genossen; wir glaubten uns zu zwei, da waren wir bald drei
und nachher sechs, und die Kinder wuchsen und sind uns jetzt fast alle über
den Kopf; dort am Wäldchen wohnt unser Sohn mit seiner Liebsten, dort in
der Mühle im Felsengrunde, die schöne Müllerin ist unsre Tochter; da kommt
uach geschlossenem Frieden an der Spitze der Heeressäule unser zweiter Sohn
gezogen, ihn schmückt das Ehrenzeichen, ihn erwartet die Braut, am Friedens¬
feste ist die Hochzeit, da giebst du auch den drei jüngsten Kindern Kränze zu
tragen, da erneut sich die Zeit, wo wir ein junges Paar gewesen, und schon
ahnt mirs, dus nächste Jahr schenkt uns nicht bloß einen Enkel, sondern auch einen
Sohn und beide werden an demselben Tage getauft." So spricht der wohl¬
habende Pächter oder was er sonst ist, zu seinem Weibe, sie schalkhaft anblickend,
in behaglicher Lebensfreude, mit Jugendmnt, und erwartet noch weiter" Kinder¬
segen, und so wird er damals, wo er mit seiner Braut am Altare vor dem
Pfarrer stand, gewiß nicht älter gewesen sein als Hermann, und sie nicht älter
als Hermanns Mutter am Tage des großen Brandes. Diesem Bilde eines
dauernden Glückes steht in den "Wahlverwandtschaften" das tragische Unheil
gegenüber, das auch im Schoße der Ehe schlummern und ausbrechen kann --
eine Betrachtung, welche aber für uns hier außer dem Zusammenhang liegt.
Nur daran mag erinnert werden, daß Eduard in dem Romane schon vorher
mit einer ältern Frau vermählt war und ebenso Charlotte mit einem Manne,
den sie bloß geachtet hatte; daß beide in reifern Jahren ihre Verbindung schlossen,
mehr aus Eigensinn gegen die Welt und im Andenken vergangener Tage, als
aus innerm Triebe; daß Charlotte schon eine fast erwachsene Tochter, eine schöne



*) Gleich am Anfang der genannten, aus dem Jahre 1S22 stammenden Schrift stehen
die naiven Worte: "Wiewohl mir grauet und nicht gern vom ehelichen Leben predige."
Gedanken über Goethe.

Jahr ist, so sind sie noch gesund und geschickt, und lasse Gott sorgen, wie sie
mit ihren Kindern ernähret werden."^)

Auch bei Goethe ist frühe Ehe die natürliche, unrcflcktirte Form. Her¬
manns Mutter war, wie sie selbst sagt, als vor zwanzig Jahren das große
Jener ausbrach, fast noch ein Kind, und auf den Trümmern geschah ihre Ver¬
lobung; Hermann selbst kann, da der Bund der Eltern erst vor zwanzig Jahren
geschlossen war, nicht älter als neunzehn Jahre sein, und doch hat er sich in
seiner Kammer einsam gefühlt und entbehrte des Weibes, und in einem Nach¬
mittage hat er die Braut gewählt und heimgeführt, und die Hochzeit wird, da
ihr nichts entgegensteht, bald gefeiert werden. Dasselbe ergiebt sich aus dem
schönen Gedicht „Die glücklichen Gatten," einem ländlichen Familiengemälde.
Es entstand einige Jahre nach „Hermann und Dorothea," mit dem es, obwohl
in gereimten Strophen verfaßt, Stimmung und Sphäre teilt. Der Gatte, die
soeben von einem Frühlingsregen erfrischte Gegend überschauend, spricht zu seinem
Weibe: „Hier war es, wo wir uns fanden, wo wir den Ehebund eingingen,
das erste Glück genossen; wir glaubten uns zu zwei, da waren wir bald drei
und nachher sechs, und die Kinder wuchsen und sind uns jetzt fast alle über
den Kopf; dort am Wäldchen wohnt unser Sohn mit seiner Liebsten, dort in
der Mühle im Felsengrunde, die schöne Müllerin ist unsre Tochter; da kommt
uach geschlossenem Frieden an der Spitze der Heeressäule unser zweiter Sohn
gezogen, ihn schmückt das Ehrenzeichen, ihn erwartet die Braut, am Friedens¬
feste ist die Hochzeit, da giebst du auch den drei jüngsten Kindern Kränze zu
tragen, da erneut sich die Zeit, wo wir ein junges Paar gewesen, und schon
ahnt mirs, dus nächste Jahr schenkt uns nicht bloß einen Enkel, sondern auch einen
Sohn und beide werden an demselben Tage getauft." So spricht der wohl¬
habende Pächter oder was er sonst ist, zu seinem Weibe, sie schalkhaft anblickend,
in behaglicher Lebensfreude, mit Jugendmnt, und erwartet noch weiter» Kinder¬
segen, und so wird er damals, wo er mit seiner Braut am Altare vor dem
Pfarrer stand, gewiß nicht älter gewesen sein als Hermann, und sie nicht älter
als Hermanns Mutter am Tage des großen Brandes. Diesem Bilde eines
dauernden Glückes steht in den „Wahlverwandtschaften" das tragische Unheil
gegenüber, das auch im Schoße der Ehe schlummern und ausbrechen kann —
eine Betrachtung, welche aber für uns hier außer dem Zusammenhang liegt.
Nur daran mag erinnert werden, daß Eduard in dem Romane schon vorher
mit einer ältern Frau vermählt war und ebenso Charlotte mit einem Manne,
den sie bloß geachtet hatte; daß beide in reifern Jahren ihre Verbindung schlossen,
mehr aus Eigensinn gegen die Welt und im Andenken vergangener Tage, als
aus innerm Triebe; daß Charlotte schon eine fast erwachsene Tochter, eine schöne



*) Gleich am Anfang der genannten, aus dem Jahre 1S22 stammenden Schrift stehen
die naiven Worte: „Wiewohl mir grauet und nicht gern vom ehelichen Leben predige."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154260"/>
          <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> Jahr ist, so sind sie noch gesund und geschickt, und lasse Gott sorgen, wie sie<lb/>
mit ihren Kindern ernähret werden."^)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266" next="#ID_267"> Auch bei Goethe ist frühe Ehe die natürliche, unrcflcktirte Form. Her¬<lb/>
manns Mutter war, wie sie selbst sagt, als vor zwanzig Jahren das große<lb/>
Jener ausbrach, fast noch ein Kind, und auf den Trümmern geschah ihre Ver¬<lb/>
lobung; Hermann selbst kann, da der Bund der Eltern erst vor zwanzig Jahren<lb/>
geschlossen war, nicht älter als neunzehn Jahre sein, und doch hat er sich in<lb/>
seiner Kammer einsam gefühlt und entbehrte des Weibes, und in einem Nach¬<lb/>
mittage hat er die Braut gewählt und heimgeführt, und die Hochzeit wird, da<lb/>
ihr nichts entgegensteht, bald gefeiert werden. Dasselbe ergiebt sich aus dem<lb/>
schönen Gedicht &#x201E;Die glücklichen Gatten," einem ländlichen Familiengemälde.<lb/>
Es entstand einige Jahre nach &#x201E;Hermann und Dorothea," mit dem es, obwohl<lb/>
in gereimten Strophen verfaßt, Stimmung und Sphäre teilt. Der Gatte, die<lb/>
soeben von einem Frühlingsregen erfrischte Gegend überschauend, spricht zu seinem<lb/>
Weibe: &#x201E;Hier war es, wo wir uns fanden, wo wir den Ehebund eingingen,<lb/>
das erste Glück genossen; wir glaubten uns zu zwei, da waren wir bald drei<lb/>
und nachher sechs, und die Kinder wuchsen und sind uns jetzt fast alle über<lb/>
den Kopf; dort am Wäldchen wohnt unser Sohn mit seiner Liebsten, dort in<lb/>
der Mühle im Felsengrunde, die schöne Müllerin ist unsre Tochter; da kommt<lb/>
uach geschlossenem Frieden an der Spitze der Heeressäule unser zweiter Sohn<lb/>
gezogen, ihn schmückt das Ehrenzeichen, ihn erwartet die Braut, am Friedens¬<lb/>
feste ist die Hochzeit, da giebst du auch den drei jüngsten Kindern Kränze zu<lb/>
tragen, da erneut sich die Zeit, wo wir ein junges Paar gewesen, und schon<lb/>
ahnt mirs, dus nächste Jahr schenkt uns nicht bloß einen Enkel, sondern auch einen<lb/>
Sohn und beide werden an demselben Tage getauft." So spricht der wohl¬<lb/>
habende Pächter oder was er sonst ist, zu seinem Weibe, sie schalkhaft anblickend,<lb/>
in behaglicher Lebensfreude, mit Jugendmnt, und erwartet noch weiter» Kinder¬<lb/>
segen, und so wird er damals, wo er mit seiner Braut am Altare vor dem<lb/>
Pfarrer stand, gewiß nicht älter gewesen sein als Hermann, und sie nicht älter<lb/>
als Hermanns Mutter am Tage des großen Brandes. Diesem Bilde eines<lb/>
dauernden Glückes steht in den &#x201E;Wahlverwandtschaften" das tragische Unheil<lb/>
gegenüber, das auch im Schoße der Ehe schlummern und ausbrechen kann &#x2014;<lb/>
eine Betrachtung, welche aber für uns hier außer dem Zusammenhang liegt.<lb/>
Nur daran mag erinnert werden, daß Eduard in dem Romane schon vorher<lb/>
mit einer ältern Frau vermählt war und ebenso Charlotte mit einem Manne,<lb/>
den sie bloß geachtet hatte; daß beide in reifern Jahren ihre Verbindung schlossen,<lb/>
mehr aus Eigensinn gegen die Welt und im Andenken vergangener Tage, als<lb/>
aus innerm Triebe; daß Charlotte schon eine fast erwachsene Tochter, eine schöne</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> *) Gleich am Anfang der genannten, aus dem Jahre 1S22 stammenden Schrift stehen<lb/>
die naiven Worte: &#x201E;Wiewohl mir grauet und nicht gern vom ehelichen Leben predige."</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] Gedanken über Goethe. Jahr ist, so sind sie noch gesund und geschickt, und lasse Gott sorgen, wie sie mit ihren Kindern ernähret werden."^) Auch bei Goethe ist frühe Ehe die natürliche, unrcflcktirte Form. Her¬ manns Mutter war, wie sie selbst sagt, als vor zwanzig Jahren das große Jener ausbrach, fast noch ein Kind, und auf den Trümmern geschah ihre Ver¬ lobung; Hermann selbst kann, da der Bund der Eltern erst vor zwanzig Jahren geschlossen war, nicht älter als neunzehn Jahre sein, und doch hat er sich in seiner Kammer einsam gefühlt und entbehrte des Weibes, und in einem Nach¬ mittage hat er die Braut gewählt und heimgeführt, und die Hochzeit wird, da ihr nichts entgegensteht, bald gefeiert werden. Dasselbe ergiebt sich aus dem schönen Gedicht „Die glücklichen Gatten," einem ländlichen Familiengemälde. Es entstand einige Jahre nach „Hermann und Dorothea," mit dem es, obwohl in gereimten Strophen verfaßt, Stimmung und Sphäre teilt. Der Gatte, die soeben von einem Frühlingsregen erfrischte Gegend überschauend, spricht zu seinem Weibe: „Hier war es, wo wir uns fanden, wo wir den Ehebund eingingen, das erste Glück genossen; wir glaubten uns zu zwei, da waren wir bald drei und nachher sechs, und die Kinder wuchsen und sind uns jetzt fast alle über den Kopf; dort am Wäldchen wohnt unser Sohn mit seiner Liebsten, dort in der Mühle im Felsengrunde, die schöne Müllerin ist unsre Tochter; da kommt uach geschlossenem Frieden an der Spitze der Heeressäule unser zweiter Sohn gezogen, ihn schmückt das Ehrenzeichen, ihn erwartet die Braut, am Friedens¬ feste ist die Hochzeit, da giebst du auch den drei jüngsten Kindern Kränze zu tragen, da erneut sich die Zeit, wo wir ein junges Paar gewesen, und schon ahnt mirs, dus nächste Jahr schenkt uns nicht bloß einen Enkel, sondern auch einen Sohn und beide werden an demselben Tage getauft." So spricht der wohl¬ habende Pächter oder was er sonst ist, zu seinem Weibe, sie schalkhaft anblickend, in behaglicher Lebensfreude, mit Jugendmnt, und erwartet noch weiter» Kinder¬ segen, und so wird er damals, wo er mit seiner Braut am Altare vor dem Pfarrer stand, gewiß nicht älter gewesen sein als Hermann, und sie nicht älter als Hermanns Mutter am Tage des großen Brandes. Diesem Bilde eines dauernden Glückes steht in den „Wahlverwandtschaften" das tragische Unheil gegenüber, das auch im Schoße der Ehe schlummern und ausbrechen kann — eine Betrachtung, welche aber für uns hier außer dem Zusammenhang liegt. Nur daran mag erinnert werden, daß Eduard in dem Romane schon vorher mit einer ältern Frau vermählt war und ebenso Charlotte mit einem Manne, den sie bloß geachtet hatte; daß beide in reifern Jahren ihre Verbindung schlossen, mehr aus Eigensinn gegen die Welt und im Andenken vergangener Tage, als aus innerm Triebe; daß Charlotte schon eine fast erwachsene Tochter, eine schöne *) Gleich am Anfang der genannten, aus dem Jahre 1S22 stammenden Schrift stehen die naiven Worte: „Wiewohl mir grauet und nicht gern vom ehelichen Leben predige."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/95>, abgerufen am 27.07.2024.