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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

der Gesamtcharakteristik Dalbergs wenig mehr ändern könnten, ist freilich außer
Zweifel. Denn es gehört zu den unerbittlichsten Gesetzen des menschlichen
Daseins, daß man mit einem ehrenreichen und segensvoll wirkungsreichen Alter
wohl eine von Irrungen und Schwächen erfüllte Jugend aufwiegen kann, aber
umgekehrt die vielversprechendste und liebenswürdigste Jugend die Schuld des
Mannesalters nicht wettmacht.

Karl Theodor Anna Maria von Dalberg, aus einem alten, vielberühmten
pfälzischen Geschlecht stammend, welches in die Geschichte der geistlichen Staaten
am Rhein und der Kurpfalz schon seit Jahrhunderten verflochten war, ward
als der Sohn des kurmainzischen Geheimrath, Kämmerers und Statthalters
von Worms Franz Heinrich Freiherrn von Dalberg am 8. Februar 1744 zu
Mannheim, wo der Vater damals wohnte, geboren. Sein jüngerer Bruder
war jener Wolfgang Heribert von Dalberg, der gleichfalls in der Geschichte
der klassischen Periode vielgenannt, sich als Intendant des Mannheimschen Hof-
und Nationaltheaters in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das
unvergeßliche Verdienst erwarb, Schiller zuerst auf der deutschen Bühne heimisch
gemacht zu haben. Karl Theodor war früh zum geistlichen Stande, das heißt
zum Eintritt in jenen Kapiteladel bestimmt worden, aus welchem im alten Reiche
die Fürsten wie die höchsten Würdenträger der geistlichen Staaten gewählt
wurden, welche die Stürme des sechzehnten Jahrhunderts und des dreißigjährigen ^
Krieges überlebt hatten. Zwei Dalberge waren Kurfürsten des Reichs, Erzbischöfe
von Köln und Mainz gewesen. Johann von Dalberg, der bekannte Humanist, der
Förderer der Altertumsstudien, regierte zu Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts
als Bischof von Worms, ein andrer Dalberg war 1730 der letzte "Fürstabt" von
Fulda, bevor die Abtei des heiligen Bonifazius zum souveränen Bistum erhoben
wurde. Die Zahl der Familienglieder, welche als Domherren und hohe Würden¬
träger in den Annalen der geistlichen Staaten in Südwestdeutschland verzeichnet
standen, war vollends Legion. Die Familie folgte demnach einer starken Tradition,
wenn sie dem begabten Knaben die vielversprechende geistlich-weltliche Laufbahn
eröffnete. Und die Dinge lagen so, daß Karl Theodor zwischen seinem
zehnten und vierzehnten Jahre nacheinander Domizellar der Hochstifte Würzburg,
Mainz und Worms wurde. Mit solchen Aussichten bezog der junge Dalberg
1760 die Universität Heidelberg und wurde, als er siebzehn Jahre alt war,
auf Grund einer Dissertation, an der er sicher den geringsten Anteil hatte und
haben konnte, Doktor beider Rechte. Mit neunzehn Jahren hatte er bereits
die große Kavaliertour nach Italien, Frankreich und den Niederlanden hinter
sich und trat in das kurmainzische Ministerium als Mitarbeiter ein.

Er war eben, wie Immermann im "Münchhausen" spottet, "geborner Ge¬
heimrat im höchsten Gericht." Der Ausspruch des alten Hesiod, daß die Götter
vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben, ein Ausspruch, der in unsern
ehernen Tagen auch dem Höchstgestellten und Glückbcgünstigstcn fortwährend


Aus den Tagen der Klassiker.

der Gesamtcharakteristik Dalbergs wenig mehr ändern könnten, ist freilich außer
Zweifel. Denn es gehört zu den unerbittlichsten Gesetzen des menschlichen
Daseins, daß man mit einem ehrenreichen und segensvoll wirkungsreichen Alter
wohl eine von Irrungen und Schwächen erfüllte Jugend aufwiegen kann, aber
umgekehrt die vielversprechendste und liebenswürdigste Jugend die Schuld des
Mannesalters nicht wettmacht.

Karl Theodor Anna Maria von Dalberg, aus einem alten, vielberühmten
pfälzischen Geschlecht stammend, welches in die Geschichte der geistlichen Staaten
am Rhein und der Kurpfalz schon seit Jahrhunderten verflochten war, ward
als der Sohn des kurmainzischen Geheimrath, Kämmerers und Statthalters
von Worms Franz Heinrich Freiherrn von Dalberg am 8. Februar 1744 zu
Mannheim, wo der Vater damals wohnte, geboren. Sein jüngerer Bruder
war jener Wolfgang Heribert von Dalberg, der gleichfalls in der Geschichte
der klassischen Periode vielgenannt, sich als Intendant des Mannheimschen Hof-
und Nationaltheaters in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das
unvergeßliche Verdienst erwarb, Schiller zuerst auf der deutschen Bühne heimisch
gemacht zu haben. Karl Theodor war früh zum geistlichen Stande, das heißt
zum Eintritt in jenen Kapiteladel bestimmt worden, aus welchem im alten Reiche
die Fürsten wie die höchsten Würdenträger der geistlichen Staaten gewählt
wurden, welche die Stürme des sechzehnten Jahrhunderts und des dreißigjährigen ^
Krieges überlebt hatten. Zwei Dalberge waren Kurfürsten des Reichs, Erzbischöfe
von Köln und Mainz gewesen. Johann von Dalberg, der bekannte Humanist, der
Förderer der Altertumsstudien, regierte zu Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts
als Bischof von Worms, ein andrer Dalberg war 1730 der letzte „Fürstabt" von
Fulda, bevor die Abtei des heiligen Bonifazius zum souveränen Bistum erhoben
wurde. Die Zahl der Familienglieder, welche als Domherren und hohe Würden¬
träger in den Annalen der geistlichen Staaten in Südwestdeutschland verzeichnet
standen, war vollends Legion. Die Familie folgte demnach einer starken Tradition,
wenn sie dem begabten Knaben die vielversprechende geistlich-weltliche Laufbahn
eröffnete. Und die Dinge lagen so, daß Karl Theodor zwischen seinem
zehnten und vierzehnten Jahre nacheinander Domizellar der Hochstifte Würzburg,
Mainz und Worms wurde. Mit solchen Aussichten bezog der junge Dalberg
1760 die Universität Heidelberg und wurde, als er siebzehn Jahre alt war,
auf Grund einer Dissertation, an der er sicher den geringsten Anteil hatte und
haben konnte, Doktor beider Rechte. Mit neunzehn Jahren hatte er bereits
die große Kavaliertour nach Italien, Frankreich und den Niederlanden hinter
sich und trat in das kurmainzische Ministerium als Mitarbeiter ein.

Er war eben, wie Immermann im „Münchhausen" spottet, „geborner Ge¬
heimrat im höchsten Gericht." Der Ausspruch des alten Hesiod, daß die Götter
vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben, ein Ausspruch, der in unsern
ehernen Tagen auch dem Höchstgestellten und Glückbcgünstigstcn fortwährend


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[0074] Aus den Tagen der Klassiker. der Gesamtcharakteristik Dalbergs wenig mehr ändern könnten, ist freilich außer Zweifel. Denn es gehört zu den unerbittlichsten Gesetzen des menschlichen Daseins, daß man mit einem ehrenreichen und segensvoll wirkungsreichen Alter wohl eine von Irrungen und Schwächen erfüllte Jugend aufwiegen kann, aber umgekehrt die vielversprechendste und liebenswürdigste Jugend die Schuld des Mannesalters nicht wettmacht. Karl Theodor Anna Maria von Dalberg, aus einem alten, vielberühmten pfälzischen Geschlecht stammend, welches in die Geschichte der geistlichen Staaten am Rhein und der Kurpfalz schon seit Jahrhunderten verflochten war, ward als der Sohn des kurmainzischen Geheimrath, Kämmerers und Statthalters von Worms Franz Heinrich Freiherrn von Dalberg am 8. Februar 1744 zu Mannheim, wo der Vater damals wohnte, geboren. Sein jüngerer Bruder war jener Wolfgang Heribert von Dalberg, der gleichfalls in der Geschichte der klassischen Periode vielgenannt, sich als Intendant des Mannheimschen Hof- und Nationaltheaters in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das unvergeßliche Verdienst erwarb, Schiller zuerst auf der deutschen Bühne heimisch gemacht zu haben. Karl Theodor war früh zum geistlichen Stande, das heißt zum Eintritt in jenen Kapiteladel bestimmt worden, aus welchem im alten Reiche die Fürsten wie die höchsten Würdenträger der geistlichen Staaten gewählt wurden, welche die Stürme des sechzehnten Jahrhunderts und des dreißigjährigen ^ Krieges überlebt hatten. Zwei Dalberge waren Kurfürsten des Reichs, Erzbischöfe von Köln und Mainz gewesen. Johann von Dalberg, der bekannte Humanist, der Förderer der Altertumsstudien, regierte zu Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts als Bischof von Worms, ein andrer Dalberg war 1730 der letzte „Fürstabt" von Fulda, bevor die Abtei des heiligen Bonifazius zum souveränen Bistum erhoben wurde. Die Zahl der Familienglieder, welche als Domherren und hohe Würden¬ träger in den Annalen der geistlichen Staaten in Südwestdeutschland verzeichnet standen, war vollends Legion. Die Familie folgte demnach einer starken Tradition, wenn sie dem begabten Knaben die vielversprechende geistlich-weltliche Laufbahn eröffnete. Und die Dinge lagen so, daß Karl Theodor zwischen seinem zehnten und vierzehnten Jahre nacheinander Domizellar der Hochstifte Würzburg, Mainz und Worms wurde. Mit solchen Aussichten bezog der junge Dalberg 1760 die Universität Heidelberg und wurde, als er siebzehn Jahre alt war, auf Grund einer Dissertation, an der er sicher den geringsten Anteil hatte und haben konnte, Doktor beider Rechte. Mit neunzehn Jahren hatte er bereits die große Kavaliertour nach Italien, Frankreich und den Niederlanden hinter sich und trat in das kurmainzische Ministerium als Mitarbeiter ein. Er war eben, wie Immermann im „Münchhausen" spottet, „geborner Ge¬ heimrat im höchsten Gericht." Der Ausspruch des alten Hesiod, daß die Götter vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben, ein Ausspruch, der in unsern ehernen Tagen auch dem Höchstgestellten und Glückbcgünstigstcn fortwährend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/74>, abgerufen am 27.07.2024.