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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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der Koufektiousgcschäfte begegne" allerdings jenem Notstand ebenso wie die
"Ratenzahlungen/' für welche sich die Händler immer mehr einzurichten scheinen.
Auch diese Seite des modernen Geschäftslcbens muß daher von einer bewußten
"ut thatkräftigen GewerbSpolitik nicht sowohl bekämpft als erfaßt und im Sinne
und zum Nutzen der kleinen Gewerbtreibenden selbst ausgenutzt werden.

Es liegt auch gar kein Grund vor, weshalb es der organisirten Zunft nicht
möglich sein sollte, die Geschäftsvorteile des Zwischenhandels sich anzueignen,
ohne doch auf deren unsolider Grundlage sich zu bewegen, Ihr Kredit würde
sicher größer sein als derjenige des einzelnen Konfektionärs; im Ankauf des
Rohstoffes in allen Qualitäten -- hinsichtlich welcher auch den bescheidensten
Ansprüchen Rechnung getragen werden muß -- muß sie daher jenem entschieden
voraus sein. Wollte man freilich den Zweck neuer zünftlerischer Organisation
suchen in der unbeschränkten Möglichkeit, dem Verbrauch die eigenen Bedingungen
absolut zu diktiren -- wie hie und da der Gedanke zu sein scheint und wie in
der That die Praxis in manchen noch bestehenden zunftähnlichen Organisationen,
z, B. in der Metzgerei und Bäckerei ist --, so würde sich die Zunft bald un¬
haltbar machen. Der Staat, der sie gesetzlich gestützt, würde sie baldigst wieder
fallen lassen müssen. Überhaupt wollen wir sogleich bemerken, daß der ent¬
scheidenden Mitwirkung des Staates, ohne welche die obligatorische Zunft weder
nen erstehen noch fortbestehen kann, eine organische Beziehung der Zunft zum
staatlichen Zusammenhange von vornherein feststehen muß. Etwa den Kampf
aller gegen alle zu organisiren und ihn zu verewigen, indem man lediglich die
sogenannte Konkurrenz auf einzelnen Wirtschaftsgebieten beseitigt, diese Wirtschafts¬
gebiete aber völlig unabhängig den übrigen gegenüberstellt, lohnt sich nicht. Der
soziale Kampf wird damit mir auf andern Boden gestellt; fortwntcn aber wird
er nach wie vor. Die Zuuftleitung und die Zunft überhaupt muß sich ihrer
sozialen Gesamtausgabe jederzeit bewußt bleiben, und die Einrichtung muß von
vornherein so sein, daß dies Bewußtsein gar nicht schwinden kann.

Die Mauchesterthevrie sieht, wie mau weiß, in "Angebot und Nachfrage"
den Angelpunkt aller wirtschaftlichen Beziehungen. Gerade auf dem Boden des
Marktes erscheint diese Theorie am meisten zutreffend. Will aber die Zunft
den Markt für ihre Produkte gewinnen -- und ohne Besitz des Marktes wird
sie materiell niemals Kraft und Bedeutung erobern --, so muß sie auch bereit
sein, der Nachfrage auf ihrem Gebiete zu entsprechen, und zwar unter Bedin¬
gungen, welche den vorhandenen wirtschaftliche" und sozialen Verhältnissen ent-
Prechen. Nun steht von vornherein fest, daß eine Zuuftorgcmisation, welche
einerseits alle Gewerbsgenossen nötigt, sich der Zuuftorganisatiou anzuschließen,
anderseits der Zunft auferlegt, den nötigen Marktbezirk fus ihre Angehö¬
rigen zu gewinnen, den sogenannten Konfektionsgeschäften eine wesentliche Vor¬
bedingung ihrer Existenz entziehen wird, indem sie die Zeitperioden ungenügender
oder völlig stockender Beschäftigung für unmittelbare Bestellung beseitigt durch


der Koufektiousgcschäfte begegne» allerdings jenem Notstand ebenso wie die
„Ratenzahlungen/' für welche sich die Händler immer mehr einzurichten scheinen.
Auch diese Seite des modernen Geschäftslcbens muß daher von einer bewußten
»ut thatkräftigen GewerbSpolitik nicht sowohl bekämpft als erfaßt und im Sinne
und zum Nutzen der kleinen Gewerbtreibenden selbst ausgenutzt werden.

Es liegt auch gar kein Grund vor, weshalb es der organisirten Zunft nicht
möglich sein sollte, die Geschäftsvorteile des Zwischenhandels sich anzueignen,
ohne doch auf deren unsolider Grundlage sich zu bewegen, Ihr Kredit würde
sicher größer sein als derjenige des einzelnen Konfektionärs; im Ankauf des
Rohstoffes in allen Qualitäten — hinsichtlich welcher auch den bescheidensten
Ansprüchen Rechnung getragen werden muß — muß sie daher jenem entschieden
voraus sein. Wollte man freilich den Zweck neuer zünftlerischer Organisation
suchen in der unbeschränkten Möglichkeit, dem Verbrauch die eigenen Bedingungen
absolut zu diktiren — wie hie und da der Gedanke zu sein scheint und wie in
der That die Praxis in manchen noch bestehenden zunftähnlichen Organisationen,
z, B. in der Metzgerei und Bäckerei ist —, so würde sich die Zunft bald un¬
haltbar machen. Der Staat, der sie gesetzlich gestützt, würde sie baldigst wieder
fallen lassen müssen. Überhaupt wollen wir sogleich bemerken, daß der ent¬
scheidenden Mitwirkung des Staates, ohne welche die obligatorische Zunft weder
nen erstehen noch fortbestehen kann, eine organische Beziehung der Zunft zum
staatlichen Zusammenhange von vornherein feststehen muß. Etwa den Kampf
aller gegen alle zu organisiren und ihn zu verewigen, indem man lediglich die
sogenannte Konkurrenz auf einzelnen Wirtschaftsgebieten beseitigt, diese Wirtschafts¬
gebiete aber völlig unabhängig den übrigen gegenüberstellt, lohnt sich nicht. Der
soziale Kampf wird damit mir auf andern Boden gestellt; fortwntcn aber wird
er nach wie vor. Die Zuuftleitung und die Zunft überhaupt muß sich ihrer
sozialen Gesamtausgabe jederzeit bewußt bleiben, und die Einrichtung muß von
vornherein so sein, daß dies Bewußtsein gar nicht schwinden kann.

Die Mauchesterthevrie sieht, wie mau weiß, in „Angebot und Nachfrage"
den Angelpunkt aller wirtschaftlichen Beziehungen. Gerade auf dem Boden des
Marktes erscheint diese Theorie am meisten zutreffend. Will aber die Zunft
den Markt für ihre Produkte gewinnen — und ohne Besitz des Marktes wird
sie materiell niemals Kraft und Bedeutung erobern —, so muß sie auch bereit
sein, der Nachfrage auf ihrem Gebiete zu entsprechen, und zwar unter Bedin¬
gungen, welche den vorhandenen wirtschaftliche» und sozialen Verhältnissen ent-
Prechen. Nun steht von vornherein fest, daß eine Zuuftorgcmisation, welche
einerseits alle Gewerbsgenossen nötigt, sich der Zuuftorganisatiou anzuschließen,
anderseits der Zunft auferlegt, den nötigen Marktbezirk fus ihre Angehö¬
rigen zu gewinnen, den sogenannten Konfektionsgeschäften eine wesentliche Vor¬
bedingung ihrer Existenz entziehen wird, indem sie die Zeitperioden ungenügender
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/693>, abgerufen am 28.07.2024.