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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Staatsanwalte und Fortschritt,

"kulturellen" Förderung unsers Volkes in ihrem Organ sich selbst loben, schließt
der "Beobachter" mit folgender Apostrophe an die Negierung:

Wir fragen die Vertreter der Regierung selber, ob sie gemeint sind, derartige
Angriffe und Hetzereien gegen politische Gegner in ihrem Organ zu dulden und
zu verantworten? Ob sie im Ernst glauben, die Schwächen und Mängel unsrer
Gesetzgebung, an deren Kritik unabhängige, sachverständige Männer es auch fernerhin
nicht werden fehlen lassen, mit solchen Mitteln vor den Angen des Volkes verdecken
zu können? und ob sie nicht fühlen, daß das offizielle Attentat, die Überzeugung
und die moralische Ehre des politischen Gegners mit den Bleihämmern der Lüge und
Verleumdung niederzuschlagen, vor dem Richterstuhl der sittlichen Weltordnung kaum,
weniger verdammungswürdig erscheint, als jener andre Frevel vor den Schranken
eines weltlichen Gerichtshofes?

Der Brustton der Überzeugung, mit welchem die tiefernste "kulturelle"
Mission des Demokraten betont und der Richterstuhl der sittlichen Weltordnung
von ihm angerufen wird, wenn man ihm einmal eine unbequeme Wahrheit sagt,
ist ja nun ein bekanntes Mittel desselben, wenn es auch nicht immer in der
Stärke der vorliegenden Leistung angewendet wird, um seine Gegner,zu ver¬
blüffen; es ist aber zu hoffen, daß dieses Mittel durch den lange andauernden
Gebrauch an seiner Wirksamkeit auch auf den weniger urteilsfähigen Teil der
Leser und Hörer nach und mich verloren hat, und daß auch dieser den dem
Liberalismus gemachten Vorwurf sich einmal des Nähern besieht. Daß aber
dieser Vorwurf durchaus begründet ist, daß mit andern Worten allerdings die
Tendenzen des Liberalismus zu einer Erschwerung der Verfolgung der Ver¬
brecher überhaupt und damit auch der Verfolgung der Mörder führen, das ist
eine Thatsache, welche derselbe nicht ableugnen kann, so unbequem ihm mich diese
Konsequenz sein mag, wenn Fülle wie der Stuttgarter Raubmord auch dem größern
Publikum einmal wieder recht drastisch zum Bewußtsein bringen, wohin es führen
muß, wenn die Befugnisse der mit der Sicherheitshandhabnng betrauten Staats¬
behörden systematisch geschwächt und vermindert werden. Dieses Ziel verfolgt
die Demokratie mit allen Mitteln und in allen Richtungen, und der sittlich ent¬
rüstete Stuttgarter "Beobachter" ist es, welcher gerade um die Zeit des daselbst
verübten Raubmvrdes eine Anzahl Artikel ans dein "Rechtsstaat, Korrespon¬
denz zur Aufklärung der Mängel der deutschen Rechtspflege" unter vollständiger
Billigung des Inhalts als seinen eigenen Ansichten durchaus entsprechend ab¬
gedruckt hat, die sämtlich den Zweck haben, die Rechte und Befugnisse der Staats¬
anwaltschaft, der hauptsächlich zur Verfolgung der Verbreche" berufenen Behörde,
beziehungsweise der Gerichte, einzuschränken und zu vermindern. Die betreffende"
Erörterungen werden damit eingeleitet, daß neben einer Anzahl von Bestim¬
mungen der Strafprozeßordnung, welche die Stellung des Angekagten ohne
zwingende Notwendigkeit verschlechtern und daher dem Rechtsbegriffe und Rcchts-
zwccke widerspreche", als einer der schwersten Schäden unsrer Strafrechts-


Staatsanwalte und Fortschritt,

„kulturellen" Förderung unsers Volkes in ihrem Organ sich selbst loben, schließt
der „Beobachter" mit folgender Apostrophe an die Negierung:

Wir fragen die Vertreter der Regierung selber, ob sie gemeint sind, derartige
Angriffe und Hetzereien gegen politische Gegner in ihrem Organ zu dulden und
zu verantworten? Ob sie im Ernst glauben, die Schwächen und Mängel unsrer
Gesetzgebung, an deren Kritik unabhängige, sachverständige Männer es auch fernerhin
nicht werden fehlen lassen, mit solchen Mitteln vor den Angen des Volkes verdecken
zu können? und ob sie nicht fühlen, daß das offizielle Attentat, die Überzeugung
und die moralische Ehre des politischen Gegners mit den Bleihämmern der Lüge und
Verleumdung niederzuschlagen, vor dem Richterstuhl der sittlichen Weltordnung kaum,
weniger verdammungswürdig erscheint, als jener andre Frevel vor den Schranken
eines weltlichen Gerichtshofes?

Der Brustton der Überzeugung, mit welchem die tiefernste „kulturelle"
Mission des Demokraten betont und der Richterstuhl der sittlichen Weltordnung
von ihm angerufen wird, wenn man ihm einmal eine unbequeme Wahrheit sagt,
ist ja nun ein bekanntes Mittel desselben, wenn es auch nicht immer in der
Stärke der vorliegenden Leistung angewendet wird, um seine Gegner,zu ver¬
blüffen; es ist aber zu hoffen, daß dieses Mittel durch den lange andauernden
Gebrauch an seiner Wirksamkeit auch auf den weniger urteilsfähigen Teil der
Leser und Hörer nach und mich verloren hat, und daß auch dieser den dem
Liberalismus gemachten Vorwurf sich einmal des Nähern besieht. Daß aber
dieser Vorwurf durchaus begründet ist, daß mit andern Worten allerdings die
Tendenzen des Liberalismus zu einer Erschwerung der Verfolgung der Ver¬
brecher überhaupt und damit auch der Verfolgung der Mörder führen, das ist
eine Thatsache, welche derselbe nicht ableugnen kann, so unbequem ihm mich diese
Konsequenz sein mag, wenn Fülle wie der Stuttgarter Raubmord auch dem größern
Publikum einmal wieder recht drastisch zum Bewußtsein bringen, wohin es führen
muß, wenn die Befugnisse der mit der Sicherheitshandhabnng betrauten Staats¬
behörden systematisch geschwächt und vermindert werden. Dieses Ziel verfolgt
die Demokratie mit allen Mitteln und in allen Richtungen, und der sittlich ent¬
rüstete Stuttgarter „Beobachter" ist es, welcher gerade um die Zeit des daselbst
verübten Raubmvrdes eine Anzahl Artikel ans dein „Rechtsstaat, Korrespon¬
denz zur Aufklärung der Mängel der deutschen Rechtspflege" unter vollständiger
Billigung des Inhalts als seinen eigenen Ansichten durchaus entsprechend ab¬
gedruckt hat, die sämtlich den Zweck haben, die Rechte und Befugnisse der Staats¬
anwaltschaft, der hauptsächlich zur Verfolgung der Verbreche» berufenen Behörde,
beziehungsweise der Gerichte, einzuschränken und zu vermindern. Die betreffende»
Erörterungen werden damit eingeleitet, daß neben einer Anzahl von Bestim¬
mungen der Strafprozeßordnung, welche die Stellung des Angekagten ohne
zwingende Notwendigkeit verschlechtern und daher dem Rechtsbegriffe und Rcchts-
zwccke widerspreche», als einer der schwersten Schäden unsrer Strafrechts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/653>, abgerufen am 01.09.2024.