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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das diesjährige Prachtwerk.

bestehend in Aushängebogen, welche die Verleger besonders viel versprechenden
Zeitschriften schon vor der Herausgabe eines Buches zusenden. Die "Grenzboten"
sind vor solchen "freundlichen Zufällen," wenigstens gewissen Verlegern gegenüber,
ein für allemal gesichert. Wir tragen unser Schicksal mit Ergebung und ohne
jeden Neid. Können wir uns nun aber einen glänzenderen Erfolg davon wünschen,
daß wir uns jahrelang durch Spott und Anfeindung aller Art in unsern Be¬
strebungen nicht haben irre machen lassen, als daß eine Zeitschrift wie "Nord
und Süd" uns jetzt eine Kritik, wie sie vor zwei oder drei Jahren nur die
"Grenzboten" zu schreiben gewagt hätten, vorwegnimmt, sodaß wir unsrerseits
nichts besseres thun können als an sie anknüpfen?

Der Verfasser der angeführten Besprechung verfährt nach dem üblichen
Rezepte der sogenannten "wohlwollenden" Besprechungen: er "äußert etliche
Bedenken vorweg" und "wendet sich dann dem Rühmenswerten zu." Leider
thut er dies nicht stillschweigend, sondern begeht die Bosheit, durch die er sein
ganzes Wohlwollen wieder aufhebt, den Leser auf diese Gruppirung seiner
Bemerkungen aufmerksam zu machen. "Denn, sagt er, zählt man erst auf, was
man lobenswert gefunden hat, und hinkt am Schlüsse mit einer Einwendung
nach, so erhält diese durch ihr nachklingen einen unberechenbaren Nach¬
druck."

Der "Haupteinwand," den der Rezensent gegen den illustrirten Heine zu
machen hat, geht "gegen die Wahl des Stoffes." "Das Buch der Lieder ist
für die Illustrirung wenig geeignet. Es ist dafür wirklich spröder Stoff.
Einzelne der Gedichte fordern szwar^j den Stift förmlich heraus, die meisten
aber, in ihrem verschwimmenden Gefühle, in ihrer verklingenden Melodik, ihrer
häufig rein sprachlichen Wirkung sind durchaus unbildlich. Heines Dichtungen
sind wie die Goethes in ungewöhnlichem Grade musikalisch, und es ist ein alter
Erfahrungssatz, daß in den meisten Füllen, wo der Komponist hingerissen wird,
der Zeichner ruhig bleibt, daß für solchen Ausdruck nicht bloß Gedanken, sondern
auch Formen zu fern stehen." Schade nur, daß der Rezensent von dem, wovon
er seinen Hcmpteinwand hernimmt, selber keine recht klare Vorstellung, sondern
mehr ein "verschwimmendes Gefühl" gehabt zu haben scheint.

Schon in unserm Aufsatz über den illustrirten Goethe haben wir seiner
Zeit auseinandergesetzt, welche Verirrung es überhaupt ist, einen Lyriker
"illustriren" zu wollen, mag er nun Goethe oder Heine heißen. Was bildlich
dargestellt werden kann, das ist doch immer nur eine äußere Handlung oder
eine äußere Situation. Ein lyrisches Gedicht aber, wenigstens ein rein lyrisches,
beschäftigt sich mit innern, seelischen Vorgängen, es spricht Empfindungen aus.
Wie soll mau diese anschaulich machen? "Ich grolle nicht, und wenn das Herz
auch bricht" -- "Mir ist, als ob ich die Hände aufs Haupt dir legen sollt'" --
"Ich wollt', meine Schmerzen ergossen sich" -- wie in aller Welt soll man so
etwas "illustriren"?


Grenzboten IV. 1883. - 70
Das diesjährige Prachtwerk.

bestehend in Aushängebogen, welche die Verleger besonders viel versprechenden
Zeitschriften schon vor der Herausgabe eines Buches zusenden. Die „Grenzboten"
sind vor solchen „freundlichen Zufällen," wenigstens gewissen Verlegern gegenüber,
ein für allemal gesichert. Wir tragen unser Schicksal mit Ergebung und ohne
jeden Neid. Können wir uns nun aber einen glänzenderen Erfolg davon wünschen,
daß wir uns jahrelang durch Spott und Anfeindung aller Art in unsern Be¬
strebungen nicht haben irre machen lassen, als daß eine Zeitschrift wie „Nord
und Süd" uns jetzt eine Kritik, wie sie vor zwei oder drei Jahren nur die
„Grenzboten" zu schreiben gewagt hätten, vorwegnimmt, sodaß wir unsrerseits
nichts besseres thun können als an sie anknüpfen?

Der Verfasser der angeführten Besprechung verfährt nach dem üblichen
Rezepte der sogenannten „wohlwollenden" Besprechungen: er „äußert etliche
Bedenken vorweg" und „wendet sich dann dem Rühmenswerten zu." Leider
thut er dies nicht stillschweigend, sondern begeht die Bosheit, durch die er sein
ganzes Wohlwollen wieder aufhebt, den Leser auf diese Gruppirung seiner
Bemerkungen aufmerksam zu machen. „Denn, sagt er, zählt man erst auf, was
man lobenswert gefunden hat, und hinkt am Schlüsse mit einer Einwendung
nach, so erhält diese durch ihr nachklingen einen unberechenbaren Nach¬
druck."

Der „Haupteinwand," den der Rezensent gegen den illustrirten Heine zu
machen hat, geht „gegen die Wahl des Stoffes." „Das Buch der Lieder ist
für die Illustrirung wenig geeignet. Es ist dafür wirklich spröder Stoff.
Einzelne der Gedichte fordern szwar^j den Stift förmlich heraus, die meisten
aber, in ihrem verschwimmenden Gefühle, in ihrer verklingenden Melodik, ihrer
häufig rein sprachlichen Wirkung sind durchaus unbildlich. Heines Dichtungen
sind wie die Goethes in ungewöhnlichem Grade musikalisch, und es ist ein alter
Erfahrungssatz, daß in den meisten Füllen, wo der Komponist hingerissen wird,
der Zeichner ruhig bleibt, daß für solchen Ausdruck nicht bloß Gedanken, sondern
auch Formen zu fern stehen." Schade nur, daß der Rezensent von dem, wovon
er seinen Hcmpteinwand hernimmt, selber keine recht klare Vorstellung, sondern
mehr ein „verschwimmendes Gefühl" gehabt zu haben scheint.

Schon in unserm Aufsatz über den illustrirten Goethe haben wir seiner
Zeit auseinandergesetzt, welche Verirrung es überhaupt ist, einen Lyriker
„illustriren" zu wollen, mag er nun Goethe oder Heine heißen. Was bildlich
dargestellt werden kann, das ist doch immer nur eine äußere Handlung oder
eine äußere Situation. Ein lyrisches Gedicht aber, wenigstens ein rein lyrisches,
beschäftigt sich mit innern, seelischen Vorgängen, es spricht Empfindungen aus.
Wie soll mau diese anschaulich machen? „Ich grolle nicht, und wenn das Herz
auch bricht" — „Mir ist, als ob ich die Hände aufs Haupt dir legen sollt'" —
„Ich wollt', meine Schmerzen ergossen sich" — wie in aller Welt soll man so
etwas „illustriren"?


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[0635] Das diesjährige Prachtwerk. bestehend in Aushängebogen, welche die Verleger besonders viel versprechenden Zeitschriften schon vor der Herausgabe eines Buches zusenden. Die „Grenzboten" sind vor solchen „freundlichen Zufällen," wenigstens gewissen Verlegern gegenüber, ein für allemal gesichert. Wir tragen unser Schicksal mit Ergebung und ohne jeden Neid. Können wir uns nun aber einen glänzenderen Erfolg davon wünschen, daß wir uns jahrelang durch Spott und Anfeindung aller Art in unsern Be¬ strebungen nicht haben irre machen lassen, als daß eine Zeitschrift wie „Nord und Süd" uns jetzt eine Kritik, wie sie vor zwei oder drei Jahren nur die „Grenzboten" zu schreiben gewagt hätten, vorwegnimmt, sodaß wir unsrerseits nichts besseres thun können als an sie anknüpfen? Der Verfasser der angeführten Besprechung verfährt nach dem üblichen Rezepte der sogenannten „wohlwollenden" Besprechungen: er „äußert etliche Bedenken vorweg" und „wendet sich dann dem Rühmenswerten zu." Leider thut er dies nicht stillschweigend, sondern begeht die Bosheit, durch die er sein ganzes Wohlwollen wieder aufhebt, den Leser auf diese Gruppirung seiner Bemerkungen aufmerksam zu machen. „Denn, sagt er, zählt man erst auf, was man lobenswert gefunden hat, und hinkt am Schlüsse mit einer Einwendung nach, so erhält diese durch ihr nachklingen einen unberechenbaren Nach¬ druck." Der „Haupteinwand," den der Rezensent gegen den illustrirten Heine zu machen hat, geht „gegen die Wahl des Stoffes." „Das Buch der Lieder ist für die Illustrirung wenig geeignet. Es ist dafür wirklich spröder Stoff. Einzelne der Gedichte fordern szwar^j den Stift förmlich heraus, die meisten aber, in ihrem verschwimmenden Gefühle, in ihrer verklingenden Melodik, ihrer häufig rein sprachlichen Wirkung sind durchaus unbildlich. Heines Dichtungen sind wie die Goethes in ungewöhnlichem Grade musikalisch, und es ist ein alter Erfahrungssatz, daß in den meisten Füllen, wo der Komponist hingerissen wird, der Zeichner ruhig bleibt, daß für solchen Ausdruck nicht bloß Gedanken, sondern auch Formen zu fern stehen." Schade nur, daß der Rezensent von dem, wovon er seinen Hcmpteinwand hernimmt, selber keine recht klare Vorstellung, sondern mehr ein „verschwimmendes Gefühl" gehabt zu haben scheint. Schon in unserm Aufsatz über den illustrirten Goethe haben wir seiner Zeit auseinandergesetzt, welche Verirrung es überhaupt ist, einen Lyriker „illustriren" zu wollen, mag er nun Goethe oder Heine heißen. Was bildlich dargestellt werden kann, das ist doch immer nur eine äußere Handlung oder eine äußere Situation. Ein lyrisches Gedicht aber, wenigstens ein rein lyrisches, beschäftigt sich mit innern, seelischen Vorgängen, es spricht Empfindungen aus. Wie soll mau diese anschaulich machen? „Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht" — „Mir ist, als ob ich die Hände aufs Haupt dir legen sollt'" — „Ich wollt', meine Schmerzen ergossen sich" — wie in aller Welt soll man so etwas „illustriren"? Grenzboten IV. 1883. - 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/635>, abgerufen am 01.09.2024.