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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

Wunderwirkung nachsagte, und die man eifrig rühmte, damit kein Zweifel an
ihrer Schärfe aufkomme oder man gar zu den Kosten einer Neubcschaffung ge¬
nötigt werde. Im Frühling und im Herbste holte man sie hervor, Putzte, rieb
und säuberte sie mit Fleiß, und wenn sie hell in der Sonne blinkte, stellte man
sie zufrieden wieder an ihren Ort und erklärte, sie sei noch immer die beste von
der Welt und eine gründliche Untersuchung nicht nötig; eine solche könne wohl
gar schaden, da das kunstvolle Werk bei der Handhabung und Bearbeitung durch
eine" ungeschickten Waffenschmied leicht auseinanderfallen könne."

Die falsche Pietät, welche die Reform des preußischen Heeres vor 1806
verzögerte, bis es zu spät war, entsprang zum guten Teile dem Gefühle, daß
der Verbessernngsvorschlag einen Vorwurf für den Schöpfer des Alten einschließe.
Dem gegenüber ist zu betonen, daß jede Heeresverfassung mit den Mitteln, der
Denkweise und den Gewohnheiten eines bestimmten Zeitalters zusammenhängt,
und daß selbst die beste dieses nicht überdauern kann. Napoleon hat geäußert,
man müsse alle zehn Jahre seine Taktik ändern. Vielleicht darf man hinzufügen:
und seine Heeresversassung alle dreißig oder fünfzig Jahre. Jene falsche Pietät
war teilweise auch schuld, wenn die Preußen vor Jena ihren Gegner unter¬
schätzten. Man hatte sich infolge der wohlgemeinten Deklamationen von der
Trefflichkeit der Armee zuviel im Spiegel besehen und darüber den Blick für
fremden Wert eingebüßt. Das Ansehen, dessen man sich seit dem siebenjährigen
Kriege in ganz Europa und darüber hinaus erfreute, erschwerte die Selbster¬
kenntnis. Besonders der Sieg bei Roßbach hatte eine sehr geringe Meinung
von der Kriegstüchtigkeit der Franzosen erzeugt, und die Feldzüge am Rheine
hatten dieselbe scheinbar bestätigt. Jetzt erfuhr man, daß sie ein Irrtum war.

Und was war durch die Pietät gegen den großen König gewonnen worden?
Man ahmte das Verfahren nach, das er bei Prag, Roßbach, Leuthen, Torgau
beobachtet hatte, aber wir wissen jetzt aus seinen Schriften, daß er selbst später
nicht mehr so, sondern anders zu handeln gedachte, daß er Fortschritte darüber
hinaus gemacht hatte, daß er frühere Grundsätze für veraltet und nicht mehr
anwendbar hielt. Die Führer der Preußen im Kriege von 1306 hätten, auf
Erfahrung gestützt, ebenso denken sollen, aber in dieser Hinsicht war Friedrichs
Geist aus dem Heere verschwunden. Er hatte bei all seiner Größe sich klug
den Verhältnissen gefügt und sorgfältig den Wert der eignen Mittel an dem
der gegnerischen erwogen. Als sich die österreichische Reiterei bei Mollwitz über¬
legen gezeigt hatte, nahm er ohne Verzug auf Hebung der seinigen Bedacht und
schuf sie damit zur Siegerin um. Als die Stärke und Güte seines Fußvolks
abgenommen hatte, gab er ihm eine vermehrte und verbesserte Artillerie zur
Stütze. Seine Methode der geschlossenen Angriffe hatte große Menschenver¬
luste zur Folge, und so beschloß er, in Zukunft mit dem ersten Treffen tirail-
lirend vorzugehen. Das mangelte den Strategen und Taktikern von 1806.
Statt zu verfahren, wie Friedrich ein halbes Jahrhundert früher verfahren war,


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

Wunderwirkung nachsagte, und die man eifrig rühmte, damit kein Zweifel an
ihrer Schärfe aufkomme oder man gar zu den Kosten einer Neubcschaffung ge¬
nötigt werde. Im Frühling und im Herbste holte man sie hervor, Putzte, rieb
und säuberte sie mit Fleiß, und wenn sie hell in der Sonne blinkte, stellte man
sie zufrieden wieder an ihren Ort und erklärte, sie sei noch immer die beste von
der Welt und eine gründliche Untersuchung nicht nötig; eine solche könne wohl
gar schaden, da das kunstvolle Werk bei der Handhabung und Bearbeitung durch
eine» ungeschickten Waffenschmied leicht auseinanderfallen könne."

Die falsche Pietät, welche die Reform des preußischen Heeres vor 1806
verzögerte, bis es zu spät war, entsprang zum guten Teile dem Gefühle, daß
der Verbessernngsvorschlag einen Vorwurf für den Schöpfer des Alten einschließe.
Dem gegenüber ist zu betonen, daß jede Heeresverfassung mit den Mitteln, der
Denkweise und den Gewohnheiten eines bestimmten Zeitalters zusammenhängt,
und daß selbst die beste dieses nicht überdauern kann. Napoleon hat geäußert,
man müsse alle zehn Jahre seine Taktik ändern. Vielleicht darf man hinzufügen:
und seine Heeresversassung alle dreißig oder fünfzig Jahre. Jene falsche Pietät
war teilweise auch schuld, wenn die Preußen vor Jena ihren Gegner unter¬
schätzten. Man hatte sich infolge der wohlgemeinten Deklamationen von der
Trefflichkeit der Armee zuviel im Spiegel besehen und darüber den Blick für
fremden Wert eingebüßt. Das Ansehen, dessen man sich seit dem siebenjährigen
Kriege in ganz Europa und darüber hinaus erfreute, erschwerte die Selbster¬
kenntnis. Besonders der Sieg bei Roßbach hatte eine sehr geringe Meinung
von der Kriegstüchtigkeit der Franzosen erzeugt, und die Feldzüge am Rheine
hatten dieselbe scheinbar bestätigt. Jetzt erfuhr man, daß sie ein Irrtum war.

Und was war durch die Pietät gegen den großen König gewonnen worden?
Man ahmte das Verfahren nach, das er bei Prag, Roßbach, Leuthen, Torgau
beobachtet hatte, aber wir wissen jetzt aus seinen Schriften, daß er selbst später
nicht mehr so, sondern anders zu handeln gedachte, daß er Fortschritte darüber
hinaus gemacht hatte, daß er frühere Grundsätze für veraltet und nicht mehr
anwendbar hielt. Die Führer der Preußen im Kriege von 1306 hätten, auf
Erfahrung gestützt, ebenso denken sollen, aber in dieser Hinsicht war Friedrichs
Geist aus dem Heere verschwunden. Er hatte bei all seiner Größe sich klug
den Verhältnissen gefügt und sorgfältig den Wert der eignen Mittel an dem
der gegnerischen erwogen. Als sich die österreichische Reiterei bei Mollwitz über¬
legen gezeigt hatte, nahm er ohne Verzug auf Hebung der seinigen Bedacht und
schuf sie damit zur Siegerin um. Als die Stärke und Güte seines Fußvolks
abgenommen hatte, gab er ihm eine vermehrte und verbesserte Artillerie zur
Stütze. Seine Methode der geschlossenen Angriffe hatte große Menschenver¬
luste zur Folge, und so beschloß er, in Zukunft mit dem ersten Treffen tirail-
lirend vorzugehen. Das mangelte den Strategen und Taktikern von 1806.
Statt zu verfahren, wie Friedrich ein halbes Jahrhundert früher verfahren war,


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[0621] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. Wunderwirkung nachsagte, und die man eifrig rühmte, damit kein Zweifel an ihrer Schärfe aufkomme oder man gar zu den Kosten einer Neubcschaffung ge¬ nötigt werde. Im Frühling und im Herbste holte man sie hervor, Putzte, rieb und säuberte sie mit Fleiß, und wenn sie hell in der Sonne blinkte, stellte man sie zufrieden wieder an ihren Ort und erklärte, sie sei noch immer die beste von der Welt und eine gründliche Untersuchung nicht nötig; eine solche könne wohl gar schaden, da das kunstvolle Werk bei der Handhabung und Bearbeitung durch eine» ungeschickten Waffenschmied leicht auseinanderfallen könne." Die falsche Pietät, welche die Reform des preußischen Heeres vor 1806 verzögerte, bis es zu spät war, entsprang zum guten Teile dem Gefühle, daß der Verbessernngsvorschlag einen Vorwurf für den Schöpfer des Alten einschließe. Dem gegenüber ist zu betonen, daß jede Heeresverfassung mit den Mitteln, der Denkweise und den Gewohnheiten eines bestimmten Zeitalters zusammenhängt, und daß selbst die beste dieses nicht überdauern kann. Napoleon hat geäußert, man müsse alle zehn Jahre seine Taktik ändern. Vielleicht darf man hinzufügen: und seine Heeresversassung alle dreißig oder fünfzig Jahre. Jene falsche Pietät war teilweise auch schuld, wenn die Preußen vor Jena ihren Gegner unter¬ schätzten. Man hatte sich infolge der wohlgemeinten Deklamationen von der Trefflichkeit der Armee zuviel im Spiegel besehen und darüber den Blick für fremden Wert eingebüßt. Das Ansehen, dessen man sich seit dem siebenjährigen Kriege in ganz Europa und darüber hinaus erfreute, erschwerte die Selbster¬ kenntnis. Besonders der Sieg bei Roßbach hatte eine sehr geringe Meinung von der Kriegstüchtigkeit der Franzosen erzeugt, und die Feldzüge am Rheine hatten dieselbe scheinbar bestätigt. Jetzt erfuhr man, daß sie ein Irrtum war. Und was war durch die Pietät gegen den großen König gewonnen worden? Man ahmte das Verfahren nach, das er bei Prag, Roßbach, Leuthen, Torgau beobachtet hatte, aber wir wissen jetzt aus seinen Schriften, daß er selbst später nicht mehr so, sondern anders zu handeln gedachte, daß er Fortschritte darüber hinaus gemacht hatte, daß er frühere Grundsätze für veraltet und nicht mehr anwendbar hielt. Die Führer der Preußen im Kriege von 1306 hätten, auf Erfahrung gestützt, ebenso denken sollen, aber in dieser Hinsicht war Friedrichs Geist aus dem Heere verschwunden. Er hatte bei all seiner Größe sich klug den Verhältnissen gefügt und sorgfältig den Wert der eignen Mittel an dem der gegnerischen erwogen. Als sich die österreichische Reiterei bei Mollwitz über¬ legen gezeigt hatte, nahm er ohne Verzug auf Hebung der seinigen Bedacht und schuf sie damit zur Siegerin um. Als die Stärke und Güte seines Fußvolks abgenommen hatte, gab er ihm eine vermehrte und verbesserte Artillerie zur Stütze. Seine Methode der geschlossenen Angriffe hatte große Menschenver¬ luste zur Folge, und so beschloß er, in Zukunft mit dem ersten Treffen tirail- lirend vorzugehen. Das mangelte den Strategen und Taktikern von 1806. Statt zu verfahren, wie Friedrich ein halbes Jahrhundert früher verfahren war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/621>, abgerufen am 28.07.2024.