Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

Vüen und Manöver" sowie bei Festessen, wo der Chef die Kouverts für die
Subalternen bezahlte, wurde die Gleichheit äußerlich hergestellt und die innere
Verschiedenheit von der Uniform bedeckt. Als der allgemeine Schiffbruch ein¬
trat, erschien sie in erschreckender Weise. Echte Kameradschaft, die Freud und
Leid teilt, war verschwunden, jeder sorgte nur für sich selbst.

Noch gedrückter als das gesellschaftliche Leben der meisten Offiziere war
das dienstliche. Nach Friedrichs Tode hatte man in der Armee durchaus nicht
unthätig bleiben wollen und die äußeren Anforderungen an den Soldaten jedes
Jahr höher geschraubt. Immer glatter, künstlerisch vollendeter verliefen die
Bewegungen, immer mehr Schwierigkeiten wurden überwunden. Dabei sollte
die Armee außerhalb ihrer Kreise um keinen Preis Anlaß zur Unzufrieden¬
heit geben, dem Bürger und dem Bauern in keiner Beziehung beschwerlich fallen,
nirgends Klagen hervorrufen. Wiederholt ermahnte Möllendorf die Wachen
und Posten, bei Aufkäufer mit Glimpf und Gelassenheit zu verfahren und wenn
gelinde Mittel nicht helfen sollten, "mäßige Strenge" anzuwenden, den verhaf¬
teten Excedenten aber "schlechterdings nicht übel zu behandeln," vielmehr müßte
ihm "gebührenderweise begegnet werden." Ganze Truppenteile mußten sich von
den Dorfschulzen Zeugnisse über ihre gute Aufführung ausstellen lassen. In
Breslau war 1793 ein ungarischer Schneidergesell wegen eines Verstoßes gegen
die Zunftordnung ausgewiesen worden. Die biedern und wttrdigeu Kollegen
desselben nahmen das übel, erregten, von andern GeWerken unterstützt, Unruhen
in der Stadt, zerstörten das Haus des Polizeichefs, befreiten Verhaftete und
verhöhnten die schließlich herbeigerufenen Truppen, die endlich, um den Aufruhr
nicht wachsen zu lassen, Feuer geben mußten. "Trotzdem wurde der Polizeichef
beseitigt, den Tumultuanten Straflosigkeit zugesichert, die Begräbnisse der Er¬
schossenen fanden unter Begleitung von Militärmusik statt. Um die Herren
Gesellen mit Behörden und Militär zu versöhnen, mußte dann ans Befehl des
Ministers Hoya der Kcunmerreferendarius Graf Kamele mit dem wieder zurück¬
geholten und durch einen Regimentsadjntanten geleiteten ungarischen Schneider
vor allen Herbergen öffentlich Willkommen trinken. Kein Wunder, daß sich die
Excesse nach drei Jahren wiederholten und nun strenge Strafen nötig wurden."
Scharnhorst schrieb damals: "Wenn ein Offizier mit dem Bürger Streit be¬
kommt und nicht gleich nachgiebt, wenn er gegen die Zivilobrigkeit einen kleine"
Fehler macht, wenn er einmal mit den Studenten sich schlägt, mit einem Worte,
wenn er einmal von der eingebornen und ihm zum Soldaten unentbehrlichen
Heftigkeit des Temperaments sich etwas merken läßt, so wird er weit stärker
als der Bürger bei gleichem Vergehen bestraft." Bei jeder Gelegenheit wurde
der Armee angedeutet, daß sie das Gnadenbrod des Landes äße. Die Erzäh¬
lungen von Schnödheiten und Ausschreitungen junkerlichen Offizicrsübermutes
betreffen nur einen sehr kleinen Teil des Standes und sind zum Teil nicht
einmal gut beglaubigt.


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

Vüen und Manöver» sowie bei Festessen, wo der Chef die Kouverts für die
Subalternen bezahlte, wurde die Gleichheit äußerlich hergestellt und die innere
Verschiedenheit von der Uniform bedeckt. Als der allgemeine Schiffbruch ein¬
trat, erschien sie in erschreckender Weise. Echte Kameradschaft, die Freud und
Leid teilt, war verschwunden, jeder sorgte nur für sich selbst.

Noch gedrückter als das gesellschaftliche Leben der meisten Offiziere war
das dienstliche. Nach Friedrichs Tode hatte man in der Armee durchaus nicht
unthätig bleiben wollen und die äußeren Anforderungen an den Soldaten jedes
Jahr höher geschraubt. Immer glatter, künstlerisch vollendeter verliefen die
Bewegungen, immer mehr Schwierigkeiten wurden überwunden. Dabei sollte
die Armee außerhalb ihrer Kreise um keinen Preis Anlaß zur Unzufrieden¬
heit geben, dem Bürger und dem Bauern in keiner Beziehung beschwerlich fallen,
nirgends Klagen hervorrufen. Wiederholt ermahnte Möllendorf die Wachen
und Posten, bei Aufkäufer mit Glimpf und Gelassenheit zu verfahren und wenn
gelinde Mittel nicht helfen sollten, „mäßige Strenge" anzuwenden, den verhaf¬
teten Excedenten aber „schlechterdings nicht übel zu behandeln," vielmehr müßte
ihm „gebührenderweise begegnet werden." Ganze Truppenteile mußten sich von
den Dorfschulzen Zeugnisse über ihre gute Aufführung ausstellen lassen. In
Breslau war 1793 ein ungarischer Schneidergesell wegen eines Verstoßes gegen
die Zunftordnung ausgewiesen worden. Die biedern und wttrdigeu Kollegen
desselben nahmen das übel, erregten, von andern GeWerken unterstützt, Unruhen
in der Stadt, zerstörten das Haus des Polizeichefs, befreiten Verhaftete und
verhöhnten die schließlich herbeigerufenen Truppen, die endlich, um den Aufruhr
nicht wachsen zu lassen, Feuer geben mußten. „Trotzdem wurde der Polizeichef
beseitigt, den Tumultuanten Straflosigkeit zugesichert, die Begräbnisse der Er¬
schossenen fanden unter Begleitung von Militärmusik statt. Um die Herren
Gesellen mit Behörden und Militär zu versöhnen, mußte dann ans Befehl des
Ministers Hoya der Kcunmerreferendarius Graf Kamele mit dem wieder zurück¬
geholten und durch einen Regimentsadjntanten geleiteten ungarischen Schneider
vor allen Herbergen öffentlich Willkommen trinken. Kein Wunder, daß sich die
Excesse nach drei Jahren wiederholten und nun strenge Strafen nötig wurden."
Scharnhorst schrieb damals: „Wenn ein Offizier mit dem Bürger Streit be¬
kommt und nicht gleich nachgiebt, wenn er gegen die Zivilobrigkeit einen kleine»
Fehler macht, wenn er einmal mit den Studenten sich schlägt, mit einem Worte,
wenn er einmal von der eingebornen und ihm zum Soldaten unentbehrlichen
Heftigkeit des Temperaments sich etwas merken läßt, so wird er weit stärker
als der Bürger bei gleichem Vergehen bestraft." Bei jeder Gelegenheit wurde
der Armee angedeutet, daß sie das Gnadenbrod des Landes äße. Die Erzäh¬
lungen von Schnödheiten und Ausschreitungen junkerlichen Offizicrsübermutes
betreffen nur einen sehr kleinen Teil des Standes und sind zum Teil nicht
einmal gut beglaubigt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154783"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1837" prev="#ID_1836"> Vüen und Manöver» sowie bei Festessen, wo der Chef die Kouverts für die<lb/>
Subalternen bezahlte, wurde die Gleichheit äußerlich hergestellt und die innere<lb/>
Verschiedenheit von der Uniform bedeckt. Als der allgemeine Schiffbruch ein¬<lb/>
trat, erschien sie in erschreckender Weise. Echte Kameradschaft, die Freud und<lb/>
Leid teilt, war verschwunden, jeder sorgte nur für sich selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1838"> Noch gedrückter als das gesellschaftliche Leben der meisten Offiziere war<lb/>
das dienstliche. Nach Friedrichs Tode hatte man in der Armee durchaus nicht<lb/>
unthätig bleiben wollen und die äußeren Anforderungen an den Soldaten jedes<lb/>
Jahr höher geschraubt. Immer glatter, künstlerisch vollendeter verliefen die<lb/>
Bewegungen, immer mehr Schwierigkeiten wurden überwunden. Dabei sollte<lb/>
die Armee außerhalb ihrer Kreise um keinen Preis Anlaß zur Unzufrieden¬<lb/>
heit geben, dem Bürger und dem Bauern in keiner Beziehung beschwerlich fallen,<lb/>
nirgends Klagen hervorrufen. Wiederholt ermahnte Möllendorf die Wachen<lb/>
und Posten, bei Aufkäufer mit Glimpf und Gelassenheit zu verfahren und wenn<lb/>
gelinde Mittel nicht helfen sollten, &#x201E;mäßige Strenge" anzuwenden, den verhaf¬<lb/>
teten Excedenten aber &#x201E;schlechterdings nicht übel zu behandeln," vielmehr müßte<lb/>
ihm &#x201E;gebührenderweise begegnet werden." Ganze Truppenteile mußten sich von<lb/>
den Dorfschulzen Zeugnisse über ihre gute Aufführung ausstellen lassen. In<lb/>
Breslau war 1793 ein ungarischer Schneidergesell wegen eines Verstoßes gegen<lb/>
die Zunftordnung ausgewiesen worden. Die biedern und wttrdigeu Kollegen<lb/>
desselben nahmen das übel, erregten, von andern GeWerken unterstützt, Unruhen<lb/>
in der Stadt, zerstörten das Haus des Polizeichefs, befreiten Verhaftete und<lb/>
verhöhnten die schließlich herbeigerufenen Truppen, die endlich, um den Aufruhr<lb/>
nicht wachsen zu lassen, Feuer geben mußten. &#x201E;Trotzdem wurde der Polizeichef<lb/>
beseitigt, den Tumultuanten Straflosigkeit zugesichert, die Begräbnisse der Er¬<lb/>
schossenen fanden unter Begleitung von Militärmusik statt. Um die Herren<lb/>
Gesellen mit Behörden und Militär zu versöhnen, mußte dann ans Befehl des<lb/>
Ministers Hoya der Kcunmerreferendarius Graf Kamele mit dem wieder zurück¬<lb/>
geholten und durch einen Regimentsadjntanten geleiteten ungarischen Schneider<lb/>
vor allen Herbergen öffentlich Willkommen trinken. Kein Wunder, daß sich die<lb/>
Excesse nach drei Jahren wiederholten und nun strenge Strafen nötig wurden."<lb/>
Scharnhorst schrieb damals: &#x201E;Wenn ein Offizier mit dem Bürger Streit be¬<lb/>
kommt und nicht gleich nachgiebt, wenn er gegen die Zivilobrigkeit einen kleine»<lb/>
Fehler macht, wenn er einmal mit den Studenten sich schlägt, mit einem Worte,<lb/>
wenn er einmal von der eingebornen und ihm zum Soldaten unentbehrlichen<lb/>
Heftigkeit des Temperaments sich etwas merken läßt, so wird er weit stärker<lb/>
als der Bürger bei gleichem Vergehen bestraft." Bei jeder Gelegenheit wurde<lb/>
der Armee angedeutet, daß sie das Gnadenbrod des Landes äße. Die Erzäh¬<lb/>
lungen von Schnödheiten und Ausschreitungen junkerlichen Offizicrsübermutes<lb/>
betreffen nur einen sehr kleinen Teil des Standes und sind zum Teil nicht<lb/>
einmal gut beglaubigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. Vüen und Manöver» sowie bei Festessen, wo der Chef die Kouverts für die Subalternen bezahlte, wurde die Gleichheit äußerlich hergestellt und die innere Verschiedenheit von der Uniform bedeckt. Als der allgemeine Schiffbruch ein¬ trat, erschien sie in erschreckender Weise. Echte Kameradschaft, die Freud und Leid teilt, war verschwunden, jeder sorgte nur für sich selbst. Noch gedrückter als das gesellschaftliche Leben der meisten Offiziere war das dienstliche. Nach Friedrichs Tode hatte man in der Armee durchaus nicht unthätig bleiben wollen und die äußeren Anforderungen an den Soldaten jedes Jahr höher geschraubt. Immer glatter, künstlerisch vollendeter verliefen die Bewegungen, immer mehr Schwierigkeiten wurden überwunden. Dabei sollte die Armee außerhalb ihrer Kreise um keinen Preis Anlaß zur Unzufrieden¬ heit geben, dem Bürger und dem Bauern in keiner Beziehung beschwerlich fallen, nirgends Klagen hervorrufen. Wiederholt ermahnte Möllendorf die Wachen und Posten, bei Aufkäufer mit Glimpf und Gelassenheit zu verfahren und wenn gelinde Mittel nicht helfen sollten, „mäßige Strenge" anzuwenden, den verhaf¬ teten Excedenten aber „schlechterdings nicht übel zu behandeln," vielmehr müßte ihm „gebührenderweise begegnet werden." Ganze Truppenteile mußten sich von den Dorfschulzen Zeugnisse über ihre gute Aufführung ausstellen lassen. In Breslau war 1793 ein ungarischer Schneidergesell wegen eines Verstoßes gegen die Zunftordnung ausgewiesen worden. Die biedern und wttrdigeu Kollegen desselben nahmen das übel, erregten, von andern GeWerken unterstützt, Unruhen in der Stadt, zerstörten das Haus des Polizeichefs, befreiten Verhaftete und verhöhnten die schließlich herbeigerufenen Truppen, die endlich, um den Aufruhr nicht wachsen zu lassen, Feuer geben mußten. „Trotzdem wurde der Polizeichef beseitigt, den Tumultuanten Straflosigkeit zugesichert, die Begräbnisse der Er¬ schossenen fanden unter Begleitung von Militärmusik statt. Um die Herren Gesellen mit Behörden und Militär zu versöhnen, mußte dann ans Befehl des Ministers Hoya der Kcunmerreferendarius Graf Kamele mit dem wieder zurück¬ geholten und durch einen Regimentsadjntanten geleiteten ungarischen Schneider vor allen Herbergen öffentlich Willkommen trinken. Kein Wunder, daß sich die Excesse nach drei Jahren wiederholten und nun strenge Strafen nötig wurden." Scharnhorst schrieb damals: „Wenn ein Offizier mit dem Bürger Streit be¬ kommt und nicht gleich nachgiebt, wenn er gegen die Zivilobrigkeit einen kleine» Fehler macht, wenn er einmal mit den Studenten sich schlägt, mit einem Worte, wenn er einmal von der eingebornen und ihm zum Soldaten unentbehrlichen Heftigkeit des Temperaments sich etwas merken läßt, so wird er weit stärker als der Bürger bei gleichem Vergehen bestraft." Bei jeder Gelegenheit wurde der Armee angedeutet, daß sie das Gnadenbrod des Landes äße. Die Erzäh¬ lungen von Schnödheiten und Ausschreitungen junkerlichen Offizicrsübermutes betreffen nur einen sehr kleinen Teil des Standes und sind zum Teil nicht einmal gut beglaubigt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/618>, abgerufen am 28.07.2024.