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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Desidena der Llementarlehrcr,

so oder so politisch Stellung nehmen -- und ein jeder soll seiner Überzeugung
folgen --, aber nicht für jeden Stund und für jedes Amt dürfte es passend
und geziemend erscheinen, sich allzu lebhaft und vordringlich für die eine oder
andre Partei zu engagiren. Das aber scheint uns außer Frage zu sein: Was
viele Lehrer den fortschrittlich gerichteten Parteien in die Arme treibt und sie
für diese gewinnt, das ist der Unistand, daß sie meinen, die Politiker gerade
dieser Richtung träten mit besondrer Energie und Schneidigkeit für die Interessen
des Lehrerstandes in die Schranken. Deshalb erscheint es geboten, zu unter¬
suchen, welches im Augenblick die wichtigsten und dringlichsten Desideria des
Lehrerstandes sind, und die Frage zu stellen: Welche dieser Wünsche und For¬
derungen können auch von den mehr rechts stehenden oder gemäßigt liberalen
Parteien gebilligt und vertreten werden?

Der Schreiber dieser Zeilen steht den Kreisen der Lehrer nahe, nimmt
teil an ihrem Wohl und Wehe und glaubt, ihre vornehmsten Wünsche und An¬
liegen ziemlich genau zu kennen, hat auch sonst schon wiederholt, in pädago¬
gischen und andern Zeitschriften, Gelegenheit genommen, sich, soweit er sie sich
aneignen konnte, für dieselben nuszusprecheu.

Zwei Fragen treten dabei in den Vordergrund und werden überall von den
Lehrern in erster Linie genannt werden, wenn sie ihren Destderien unverholener
Ausdruck geben wollen: 1. die Gehaltsfrage; 2. die Schnlaufsichtsfrage. Der
Abgeordnete Rickert hat mit Recht die immer noch recht dürftige Stellung und
Besoldung vieler emeritirten Lehrer hervorgehoben. Das preußische Kultus¬
ministerium hat diese Angelegenheit nicht erst seit gestern ins Ange gefaßt und
schon vor einigen Jahren Schritte gethan, um Übelstände zu beseitigen, welche
in dieser Hinsicht noch vieler Orten bestanden.

Man wird, wenn man gerecht und billig bleiben will, niemals verkennen,
daß es für einen Staat von dem Umfange Preußens schwierig erscheint, mit
einemmale die Gehaltsverhültnisse eines so zahlreichen und vielköpfigen Standes,
wie es der Elementarlehrerstaud ist, zu aller Zufriedenheit zu regeln. Wer
zählt die Schulen evangelischer und römisch-katholischer Konfession und israeli¬
tischer Religion und die Meister dieser Schulen alle von Trier bis Königsberg,
von Münster bis Posen und Bromberg? Um allen Ansprüchen und Er¬
wartungen gerecht zu werden, dazu ist Zeit und sind reiche Mittel von nöten,
und nur stufenweise, nach und nach, wird ein wesentlicher Fortschritt stattfinden
können. Es erscheint billig, daß man sich dieser Einsicht nicht verschließe.

Gleichwohl werden die Ansichten darüber kaum auseinander gehen, daß vor
allem für die emeritirten Lehrer reichere Mittel bereit gestellt werden müssen.
Wir kennen persönlich Emeriti, welche bis heute auf ein Ruhegehalt von 300 Mark
angewiesen sind, also täglich ans 82 Pfennige, und hiervon soll Wohnung, Kleidung
und Nahrung für den Emeritus und seine Familie bestritten werden. Auf Eingaben
behufs Erhöhung der Pension wurde hie und da erwiedert, da der Pensionär


Desidena der Llementarlehrcr,

so oder so politisch Stellung nehmen — und ein jeder soll seiner Überzeugung
folgen —, aber nicht für jeden Stund und für jedes Amt dürfte es passend
und geziemend erscheinen, sich allzu lebhaft und vordringlich für die eine oder
andre Partei zu engagiren. Das aber scheint uns außer Frage zu sein: Was
viele Lehrer den fortschrittlich gerichteten Parteien in die Arme treibt und sie
für diese gewinnt, das ist der Unistand, daß sie meinen, die Politiker gerade
dieser Richtung träten mit besondrer Energie und Schneidigkeit für die Interessen
des Lehrerstandes in die Schranken. Deshalb erscheint es geboten, zu unter¬
suchen, welches im Augenblick die wichtigsten und dringlichsten Desideria des
Lehrerstandes sind, und die Frage zu stellen: Welche dieser Wünsche und For¬
derungen können auch von den mehr rechts stehenden oder gemäßigt liberalen
Parteien gebilligt und vertreten werden?

Der Schreiber dieser Zeilen steht den Kreisen der Lehrer nahe, nimmt
teil an ihrem Wohl und Wehe und glaubt, ihre vornehmsten Wünsche und An¬
liegen ziemlich genau zu kennen, hat auch sonst schon wiederholt, in pädago¬
gischen und andern Zeitschriften, Gelegenheit genommen, sich, soweit er sie sich
aneignen konnte, für dieselben nuszusprecheu.

Zwei Fragen treten dabei in den Vordergrund und werden überall von den
Lehrern in erster Linie genannt werden, wenn sie ihren Destderien unverholener
Ausdruck geben wollen: 1. die Gehaltsfrage; 2. die Schnlaufsichtsfrage. Der
Abgeordnete Rickert hat mit Recht die immer noch recht dürftige Stellung und
Besoldung vieler emeritirten Lehrer hervorgehoben. Das preußische Kultus¬
ministerium hat diese Angelegenheit nicht erst seit gestern ins Ange gefaßt und
schon vor einigen Jahren Schritte gethan, um Übelstände zu beseitigen, welche
in dieser Hinsicht noch vieler Orten bestanden.

Man wird, wenn man gerecht und billig bleiben will, niemals verkennen,
daß es für einen Staat von dem Umfange Preußens schwierig erscheint, mit
einemmale die Gehaltsverhültnisse eines so zahlreichen und vielköpfigen Standes,
wie es der Elementarlehrerstaud ist, zu aller Zufriedenheit zu regeln. Wer
zählt die Schulen evangelischer und römisch-katholischer Konfession und israeli¬
tischer Religion und die Meister dieser Schulen alle von Trier bis Königsberg,
von Münster bis Posen und Bromberg? Um allen Ansprüchen und Er¬
wartungen gerecht zu werden, dazu ist Zeit und sind reiche Mittel von nöten,
und nur stufenweise, nach und nach, wird ein wesentlicher Fortschritt stattfinden
können. Es erscheint billig, daß man sich dieser Einsicht nicht verschließe.

Gleichwohl werden die Ansichten darüber kaum auseinander gehen, daß vor
allem für die emeritirten Lehrer reichere Mittel bereit gestellt werden müssen.
Wir kennen persönlich Emeriti, welche bis heute auf ein Ruhegehalt von 300 Mark
angewiesen sind, also täglich ans 82 Pfennige, und hiervon soll Wohnung, Kleidung
und Nahrung für den Emeritus und seine Familie bestritten werden. Auf Eingaben
behufs Erhöhung der Pension wurde hie und da erwiedert, da der Pensionär


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/609>, abgerufen am 27.07.2024.